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«Ihr hattet vor, das Seil in der Leiter zu verhaken und sie herunterzuziehen», sagte Hero.

«Nicht ganz. Die Leiter war schwer und die Öffnung zu klein, um sie hineinzuziehen. Das Beste, was ich erhoffen konnte, war, dass es mir gelänge, die Leiter über die Öffnung zu ziehen, um sie als Balken benutzen zu können. Ich versuchte es mindestens hundertmal. Die meisten Würfe verfehlten die Öffnung ganz, und manchmal traf mich das beschwerte Ende beim Herunterfallen. Denk daran, wie schwach ich war und dass ich im Halbdunkel stehend eine Öffnung von höchstens zwei Fuß Durchmesser zu treffen versuchte. Ein paar wenige Male traf der Stein die Leiter, doch nur, um an dem Holz abzuprallen. Nur einmal verhakte er sich, löste sich aber sofort wieder, als ich zu ziehen begann. Mein Nacken und mein Rücken schmerzten von der Anstrengung. Ich war beinahe froh, als es Nacht wurde und ich nicht weitermachen konnte. Ich ließ mich völlig erschöpft mit dem Rücken an einer Wand in die Hocke gleiten. Ich hatte zwei Tage lang nichts gegessen, und ich fror jämmerlich. Sommer oder Winter, in meiner Zelle war es kalt wie in einem Grab. In der Nacht wachte ich ständig in der Überzeugung auf, dass dies auch meine letzte Nacht wäre, und irgendwann überkam mich eine Art Frieden. Das Ende war nahe, und ich freute mich beinahe darauf. In dieser resignierten Stimmung wachte ich am Morgen auf und sah, wie die Helligkeit die Umrisse der Öffnung über mir hervortreten ließ.»

Vallon zuckte mit den Schultern. «Ich kann mich nicht einmal mehr an meinen letzten Wurf erinnern. Aber als ich danach an dem Seil zog, hielt es. Ich zerrte daran, um es von der Leiter zu lösen, und dieser falschen Hoffnung ein rasches Ende zu bereiten. Es hielt. Ich hängte mich mit meinem ganzen Gewicht daran. Die Leiter verrutschte ein Stück und rührte sich dann nicht mehr. Sie hatte sich an der Falltür verklemmt. Als sich das Seil nicht und nicht lösen wollte, ging ich zur Zellenwand zurück, hockte mich auf den Boden, und starrte an dem Seil hinauf. Jetzt, wo meine Chance gekommen war, wagte ich nicht, sie wahrzunehmen.

Es war schon später Vormittag, als ich mich dazu zwang, das Seil fest zu packen. Bei meinem ersten Versuch kam ich kaum vom Boden hoch, bevor ich wieder abrutschte. Ich versuchte es erneut, rutschte erneut zurück. Ich wurde wütend auf mich selbst. Jeder Moment, den ich vergeudete, war ein Moment weniger, bevor mein Wärter auftauchen würde. Ich betete mir vor, dass sich eine solche Chance kein zweites Mal ergeben würde. Dass ich, wenn ich jetzt nicht entkam, in ein paar Tagen tot wäre. Erneut packte ich das Seil, und es gelang mir, zwei oder drei Fuß daran hochzuklettern, bevor mich die Kräfte verließen. Da hing ich und stützte mich mit den Füßen auf einen Knoten, bis ich mich genügend erholt hatte, um weiterzumachen. Und auf diese Art, Zoll für Zoll und Fuß um Fuß, kam ich bis nach oben zu der Öffnung.»

Hero klatschte in die Hände.

«Ich kroch in die Kammer. Sie wurde von einem schmalen Fenster hoch oben in der Wand erhellt. Ich ging die Treppe zu der Tür hinauf. Sie war abgeschlossen und verriegelt. Als ich mein Ohr an die Tür legte, hörte ich nichts. Also wartete ich einfach auf der obersten Stufe ab und war beinahe eingeschlafen, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Schnell versteckte ich mich in dem Winkel hinter der Tür. Mein Wärter schob die Riegel zurück und kam herein.»

«Ihr habt ihn getötet.»

«Es ging schnell – schneller als der Tod, der ihn von der Hand des Emirs erwartet hätte. Ich nahm sein Schwert und sein Messer, stieß seine Leiche in meine Zelle und klappte die Falltür zu. Dann ging ich hinaus und schloss die Tür hinter mir ab.

Ich befand mich in einem Lagerhaus voller Wein, Mais und Öl. Am anderen Ende stand in einer schweren Doppeltür eine Luke aus Flechtwerk halb offen. Ich hatte beinahe ein Jahr lang die Sonne nicht gesehen, und das Licht blendete mich. Als ich wieder etwas sah, stellte ich fest, dass auf dem Festungshof lebhaftes Treiben herrschte. Es war ein wolkenloser Morgen. Ich dachte, es wäre Anfang September, in Wahrheit aber hatten wir schon fast Oktober.

Zwei Bauern mit Maultieren gingen auf die Doppeltür zu. Hinter dem Eingang stand ein Karren, der mit Weinfässern beladen war. Ich klopfte auf die Dauben und entdeckte, dass die Fässer leer waren. Mir blieb gerade noch genug Zeit, um in ein Fass zu steigen und den Deckel über mich zu ziehen, bevor die Fuhrmänner hereinkamen.

Sie hatten es anscheinend überhaupt nicht eilig, doch irgendwann hörte ich endlich, dass sie die Maultiere anschirrten. Bevor sie damit fertig waren, kam ein Soldat herein. ‹Ist Yasin bei dem Franken?›, fragte er und bezog sich damit auf meinen Wärter. Ich hörte die Antwort nicht, aber es musste eine gegeben haben, weil der Soldat sagte: ‹Komisch. Ich habe ihn nach dem Morgengebet auf dem Weg hierher gesehen.› Dann hörte ich ihn durch das Lagerhaus gehen. Darauf folgte eine schreckliche Stille, die – da war ich sicher – gleich von Alarmrufen unterbrochen werden würde. Stattdessen aber hörte ich den Soldaten zurückkommen. ‹Wenn er auftaucht, sagt ihm, dass der Hauptmann ihn sprechen will.›

Darauf folgte die schönste aller Antworten. ‹Wir brechen gerade auf›, sagte einer der Fuhrmänner. ‹Wir wären schon längst weg, wenn unser Begleitschutz pünktlich wäre.› Also überstand ich gezwungenermaßen noch eine Wartezeit, bis dieser Mann auftauchte. Er war beritten. Die Fuhrmänner kletterten auf den Karren und fuhren damit in den Hof. Am Festungstor hielten sie an, und ein Wachmann fragte sie nach ihrem Ziel.

‹Wir holen Wein aus Peñaflor›, sagte der berittene Begleitschutz. Ich kannte diesen Ort. Es ist ein Dorf etwa zehn Meilen nördlich von Saragossa.

Der Karren setzte sich den Festungshügel hinunter in Bewegung. Als wir ein gutes Stück geschafft hatten, hob ich den Deckel meines Fasses an und spähte vorsichtig durch den Spalt. Es war aussichtslos, einfach weglaufen zu wollen. Die Straße war sehr belebt, und ich war so schwach, dass mich der Begleitschutz nach ein paar Schritten eingeholt hätte. Wir fuhren durch Saragossa und wandten uns nordwärts. Ich war sicher, dass die Mauren meine Flucht inzwischen bemerkt haben mussten. Die Wachen würden bald genug darauf kommen, wie ich aus der Festung geflohen war, und Reiter würden die Verfolgung aufnehmen. Jede Meile, die wir so voranzockelten, erhöhte für mich die Gefahr. Doch obwohl es auf der Straße jetzt ruhig zuging, war ich durch das Kauern in dem engen Fass so steif geworden, dass ich es nicht wagte, hinauszuklettern.

Schließlich hielten wir an. Ich hört die Fuhrmänner etwas rufen und vom Karren steigen. Kurz darauf brachte ein Kind Futter und Wasser für die Maultiere. Dann wurde alles still. Ich drückte den Deckel auf. Es war inzwischen später Nachmittag, und mein erster Anblick war ein Hügel mit Rebterrassen. In der anderen Richtung lag ein Bauernhaus, vor dem das Pferd des Mannes vom Begleitschutz angebunden worden war. Zwei Kinder spielten im Staub. Dann rief eine Frau nach ihnen, und die Kinder rannten ins Haus. Ich stieg unbeholfen aus dem Fass. Meine Beine waren eingeschlafen, und ich polterte wie ein Holzklotz von dem Karren. Dann schleppte ich mich in den Weinberg. Als ich wieder stehen konnte, ohne dass meine Beine jeden Moment unter mir nachgeben wollten, ging ich langsam den Hügel hinauf.»

Hero sah, wie Vallon der Kopf auf die Brust sank. Er schien eingeschlafen zu sein. Hero berührte ihn am Arm, und Vallon hob den Kopf wieder. Er sah alt aus.

«Viel gibt es nicht mehr zu erzählen. Ich habe mich am Sonnenstand orientiert und bin, bevorzugt nachts, Richtung Norden gezogen. Ich habe keinerlei Anzeichen für eine Verfolgung entdeckt. Ich hatte keine Schuhe, und spitze Steine schnitten mir die Fußsohlen auf. Ich war kurz vorm Verhungern. Einmal bin ich in einen Hühnerstall eingebrochen und habe ein paar Eier gestohlen. Auch als ich die Grenze nach Aragon überschritten hatte und auf eine spanische Patrouille traf, war ich noch nicht in Sicherheit. Aragon lag mit Kastilien im Krieg, also tat ich so, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf. Ich war in einem so verlausten und heruntergekommenen Zustand, dass die Soldaten nichts mit mir zu tun haben wollten und mich mit einer Brotrinde und ein paar Münzen weiterschickten. Irgendwie gelang es mir, die Pyrenäen zu überqueren.»