Hero warf Vallon einen Blick zu, sah aber schnell wieder weg. «Ihr seid nach Hause gegangen.»
Vallon strich sich über den Mund, als hätte eine Spinne ihr Netz darüber gewebt. «Bei jedem einzelnen Schritt dieses Weges habe ich von meiner Ankunft dort geträumt. Die Trauben wären bald reif, die Bienen würden über den Lavendel summen. Ich würde das Tor aufdrücken und den Pfad hinaufgehen, durch die Tür treten und aus der Wohnhalle die Stimmen meiner Frau und meiner Kinder hören. Ich würde eintreten, und meine Frau würde von ihrer Nadelarbeit aufsehen, und das Feuer würde einen warmen Schein auf ihr Gesicht werfen. Im ersten Augenblick würde sie mich nicht erkennen, dann würde das Erschrecken langsam aufkeimender Hoffnung weichen, und sie würde aufstehen und sich über den Rock streichen und einen Schritt auf mich zu machen, als hätte sie einen Geist vor sich.»
Vallon lachte bitter in sich hinein. «Ich bin mitten in der Nacht zu Hause angekommen, ein Unwetter zog auf. Blitze hoben die Gebäudemauern aus der Dunkelheit. Wie ein Dieb ging ich auf mein Haus zu. Die Türen und Fenster waren verriegelt, die Läden geschlossen, alle schliefen. Ich drückte ein Fenster auf und stieg ein. Das Unwetter kam näher. Ich ging in die Eingangshalle. Ein Blitz erleuchtete mir ein Schwert, das auf einem Kasten lag. Es war mein Schwert, das ich dem Emir von Saragossa hatte übergeben müssen. Ich nahm es und ging die Treppe hinauf zum Zimmer meiner Frau.
Ich öffnete die Tür. Inzwischen war das Unwetter direkt über dem Haus. Grelle Blitze enthüllten mir, dass meine Frau neben einem Mann lag. Die Wolken rissen auf, und Regentropfen von Traubengröße klatschten aufs Dach. Ich öffnete die Läden und atmete den staubigen Geruch von Regen ein, der auf ausgedörrte Erde fällt. Ich wusste, dass ich mein Haus niemals mehr wiedersehen würde.»
Vallons Gesicht hatte sich zu einem starren Lächeln verzogen.
«Ich stand da und wartete. Mit dem Regen kam der Wind und rüttelte an den Fensterläden. Mit einem Ruck wachte Roland auf. Es donnerte, und der Blitz erfüllte den Raum mit bläulichem Licht. Roland fuhr hoch. ‹Wer ist da?›, rief er.»
Hero griff sich an die Kehle.
«Ich antwortete nicht. Meine Frau erwachte ebenfalls und klammerte sich an ihren Liebhaber. Ich wartete auf den nächsten Blitz, und das war das Letzte, was sie sahen. Ich habe sie nicht lange leiden lassen. Ich habe ihr Leben mit zwei Hieben beendet.»
Hero schwieg eine Weile. Dann sagte er: «Und Eure Kinder?»
«Ich wollte auch sie töten.» Vallon sah Hero ins Gesicht. «Die Ehre verloren, die Zukunft verloren, alles verloren. Was hättest du getan?»
Hero schüttelte den Kopf.
«Ich bin ins Kinderzimmer gegangen. Das Unwetter hatte sie geweckt, und ihre alte Kinderfrau beruhigte sie. Meinen Sohn, der noch nicht geboren war, als ich nach Spanien aufbrach, hielt sie in den Armen. Nicht einmal meine älteste Tochter wusste, wer ich war, und schrie vor Angst. Ihre Kinderfrau war auch meine gewesen, und sie war es, die in dem blutbespritzten Dämon ihren Herrn erkannte. Sie zog die Kinder an sich und flehte um Gnade. Sie schwor, dass meine Frau geglaubt hatte, ich wäre tot. Roland hatte ihr erzählt, ich wäre im Kampf verletzt worden und in der Gefangenschaft gestorben. Er selbst hätte bei meiner Bestattung geholfen. Ich vermute, er hatte den Emir bestochen, damit er mich tötet, aber der alte Fuchs hatte es wohl vorgezogen, mich lebendig zu begraben, für den Fall, dass ich ihm in Zukunft noch einmal zu irgendetwas nütze sein könnte. Die Kinderfrau erzählte mir, wie Roland angefangen hatte, meine Frau zu besuchen, um sie in ihrem Kummer zu trösten. Die Freundschaft vertiefte sich und … Ach, wen kümmert das? Ich habe meinen Kindern nichts getan, habe ein Pferd und meine Rüstung genommen und bin weggeritten. Richtung Osten, um über die Grenze nach Italien zu kommen. Drei Wochen später habe ich dich und deinen einäugigen Meister getroffen.»
Hero zupfte am Stoff seiner Kniehose. «Wenn Ihr gewusst hättet, dass Roland Eure Frau getäuscht hat, hättet Ihr sie dann verschont?»
«Nein. Natürlich nicht.»
«Habt Ihr sie geliebt?»
«Was hat das damit zu tun?»
Hero bemerkte, dass sich die Morgendämmerung ankündigte. «Wie hieß sie?»
Vallon schüttelte den Kopf. «Das ist gleichgültig.»
XVII
Als Wayland frierend und mit einem flauen Gefühl im Magen aufwachte, kroch gerade die trübe, graue Dämmerung über den Himmel. Er blieb liegen, lauschte auf den Wind, der klagend durch die Wanten fuhr, und hörte, wie sich jemand übergab. In seine Decke gehüllt stellte er sich an die Reling und blinzelte auf die endlosen weißen Schaumkronen hinunter. Nirgendwo war ein Segel oder Land in Sicht. Sie segelten immer noch auf Nordwestkurs, durchpflügten unruhige Wellen und peitschenden Regen. Bei dem Gestank nach Talg und Teer und Erbrochenem hob sich sein Magen. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er klammerte sich mit beiden Händen an die oberste Seitenplanke und erbrach sich über die Reling. Als der Würgereiz nachgelassen hatte, lehnte er sich ans Dollbord und sah sich nach dem zweiten Opfer der Seekrankheit um. Es war Vallon, der sich über die Reling krümmte.
Mit Ausnahme von Snorri und Syth hatten sie alle einen elenden Tag vor sich. Syth war auf Segelbooten mitgefahren, seit sie laufen konnte und flitzte so unbekümmert auf dem Schiff herum wie eine Lerche über den Himmel. Trotz der Übelkeit schonte sich Vallon nicht, und er erlaubte auch den anderen nicht, sich vor ihren Aufgaben zu drücken. Zwischen manchen Plankenverbindungen hatten sich während der Zeit, in der das Schiff an Land lag, Trockenheitsfugen gebildet, und Wayland wurde damit beauftragt, den Laderaum auszuschöpfen und geteerte Wolle in die Holzspalten zu hämmern. Er lud Ballast um, damit die Trimmung verbessert wurde, und half, die Takelung nachzuspannen. Auf Vallons Anweisung hin unterrichteten Raul und Snorri die anderen in den Grundlagen der Seefahrt. Wayland erlernte die notwendigen Handgriffe zum Reffen und Absenken des Segels und den Einsatz des Wendebaums, um das Segel gebläht zu halten, wenn hart am Wind gesegelt wurde.
Als es Abend wurde, war er immer noch seekrank und suchte sich, ohne etwas zu essen und ohne seine nasse Kleidung zu wechseln, mittschiffs einen Schlafplatz. Nur durch die Körperwärme des Hundes an seiner Seite fand er in den Schlaf. Irgendwann wachte er zitternd vor Kälte unter einem klaren Himmel voller Sterne auf. Der Wind hatte gedreht und brachte eiskalte Luft aus dem Osten. Der Hund lag nicht mehr neben ihm. Wayland setzte sich auf und piff leise.
«Er ist hier unten bei mir.»
Wayland ging zum Rand des Landeraums. Syth war das Halbdeck auf der Achterseite als Schlafplatz zugewiesen worden. Ihre Augen glänzten hell im Sternenlicht.
Sie kicherte. «Er wollte ein warmes Plätzchen haben.»
«Es ist gut. Er kann bei dir bleiben.»
«Du zitterst. Warum kommst du nicht auch herunter? Ich möchte mit dir reden.»
Wayland warf einen Blick über die Schulter. «Nein, da unten wird mir wieder schlecht.»
Syth gähnte. «Armer Wayland. Dann gute Nacht.»
Doch die Nacht war noch lang. Was sollte er wegen Syth unternehmen? Das Problem schien sich wie ein Widerhaken in seinem Inneren zu verfangen. Natürlich konnte sie bei dieser gefährlichen Reise nicht mitfahren, aber was bedeutete das für ihn selbst? Auf keinen Fall wollte er zusammen mit einem Mädchen, das er kaum kannte, an einer fremden Küste festsitzen. Er wand sich ein bisschen, als er an das lächerliche Ultimatum dachte, das er Vallon gestellt hatte. Und was er von einem Schwur gefaselt hatte. Er hatte keinerlei Schwur geleistet. Er hatte einfach an seine Schwester gedacht – und Syth war nicht seine Schwester.