Er betrachtete die Sterne, und ihm wurde klar, dass er sie zurücklassen musste. Als er gedroht hatte, die Expedition zu verlassen, hatte er französisch gesprochen. Syth konnte ihn nicht verstanden haben, also konnte sie auch nicht den Eindruck haben, er würde sein Wort brechen. Sie musste verstehen, dass auf diesem Schiff kein Platz für sie war. Es wäre gefühllos, sie dazubehalten. Er hatte sein Leben riskiert, um sie vor den Normannen zu retten. Mehr konnte sie nicht erwarten. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr näherte er sich Vallons Standpunkt an. Sie mussten das Mädchen bei der ersten Gelegenheit an Land setzen.
Sobald er zu diesem Entschluss gekommen war, wickelte sich Wayland in seine Decke und rollte sich zum Schlafen auf die Seite.
Als er am nächsten Tag aufwachte, fühlte er sich wie neugeboren. Vallon hatte ihn lange schlafen lassen, die Sonne war schon auf gleicher Höhe mit der Rah und schien warm auf sein Gesicht. Seine Übelkeit war verschwunden, sein Kopf klar. Er setzte sich auf. In der spritzenden Gischt über dem Bug flimmerten die Farben des Regenbogens. Wasser rauschte am Schiffskörper entlang. Er sah, wie sich das Deck bog, als die Shearwater über eine Woge in ein Wellental glitt. Wie Snorri gesagt hatte, war das Schiff beinahe wie ein lebendiges Wesen. Wayland stand auf und lehnte sich an den Vordersteven aus dem Holz einer Eiche, die sein Großvater berührt haben konnte. Eine Schule Delfine begleitete sie, manche Tiere sprangen trudelnd und Tropfenkaskaden schleudernd vor dem Bug aus dem Wasser, und zwei ließen sich von der Bugwelle mittragen.
Er hörte Schritte auf dem Deck. Als er sich umdrehte, erstarb sein Lächeln. Syth kam mit einer Schale Brei zügig auf ihn zu. All ihre eiligen Gänge erledigte sie barfuß und beinahe lautlos. Sie hatte sich ungeschickt die Haare abgeschnitten, was ihre mädchenhaften Züge nur noch mehr zur Geltung brachte. Die Männerkleidung, die sie trug, konnte niemanden täuschen.
Wayland nahm die Schale entgegen. Syth ermunterte ihn mit einer Kopfbewegung zum Essen. Er wappnete sich.
«Wir gehen in ein oder zwei Tagen an Land.»
Ihr Mund war leicht geöffnet, und sie sah ihn mit ihren großen Augen forschend an. Sie wirkte wie ein Kind, das alles richtig machen will.
«Du wirst an Land gehen.»
«Mit dir?»
«Nein, natürlich nicht. Ich fahre nach Island.»
Entsetzen trat in ihren Blick. Sie wich ein paar Schritte zurück. Der Hund stand neben ihr und starrte Wayland an.
«Wir geben dir Geld. Du musst nicht ins Marschland zurück. Du könntest nach Norwich.»
«Ich will nicht nach Norwich. Ich will bei dir bleiben.»
«Das geht nicht. Wir werden monatelang unterwegs sein. Stell dir vor, mit lauter fremden Männern auf einem Schiff zusammengepfercht zu sein.»
Syth warf einen Blick über das Deck. «Das stört mich nicht.»
«Aber mich.»
Ihre Lippen zitterten. «Ich dachte, du magst mich. Warum sonst hast du mich gerettet?»
«Weil dich sonst die Normannen getötet hätten. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich für immer um dich kümmern muss. Und es liegt nicht nur an mir. Alle wollen dich vom Schiff haben. Du bist uns im Weg. Du störst uns.»
«Und womit?»
Wayland fuhr auf. «Mit deiner Art zu singen, ohne dass es dir überhaupt bewusst ist. Das macht mich verrückt.»
«Raul hat gesagt, es gefällt ihm. Es erinnert ihn an zu Hause.»
«Und wie du über Sachen lachst, die überhaupt nicht lustig sind.»
«Was denn zum Beispiel?»
«Zum Beispiel gestern, als Vallon geübt hat, wie man die Rah herunterlässt und sie herumgeschwungen ist und ihn zu Boden geworfen hat.»
«Das war lustig.»
«Nein, war es nicht. Er hatte sich gerade die Seele aus dem Leib gekotzt. Man lacht nicht über den Hauptmann.»
Syth sah auf ihre bloßen Füße hinunter Sie wackelte mit den Zehen. «Es tut mir leid. Ich werde nicht mehr singen oder lachen.»
Wayland schluckte. «Das ändert nichts. Du gehst.»
Syths Gesicht verzog sich, dann wirbelte sich herum und floh zusammen mit dem Hund. Alle hatten mit der Arbeit aufgehört und zugesehen. Vallon rief sie zu ihren Pflichten zurück. Wayland drehte sich um und klammerte sich an den Vordersteven. In seiner Brust breitete sich ein schmerzhafter Druck aus.
«Zurück zu Wasser und Brot», sagte Vallon und warf die Abfälle einer kalten und kargen Mahlzeit über Bord. Syth hatte sich mit dem Hund in den Laderaum zurückgezogen und war seit ihrem Auftritt mit Wayland nicht mehr gesehen worden.
Vallon betrachtete seine Gefährten. Bis auf Snorri, der allein am Ruder aß, waren sie alle um ihn versammelt. «Morgen versuchen wir, noch ein paar Männer zu finden. Snorri glaubt, dass wir spätestens bei Tagesanbruch in Küstennähe sind. Wenn dieser Wind anhält, werden wir irgendwo im Mündungsgebiet des Humbers ankommen.»
«Und dort wird uns Drogo erwarten», sagte Raul. «Er hat bestimmt an der gesamten Küste Späher aufgestellt.»
Vallon nickte. «Er weiß, dass wir es nicht riskieren können, in einen Hafen einzulaufen. Er wird sich denken, dass wir versuchen werden, in Fischerdörfern eine Mannschaft zusammenzubekommen, also setzt er in den größeren Dörfern Wachen ein und zu den kleineren schickt er regelmäßig Kundschafter. Am besten versuchen wir es also in einer Siedlung etwas weiter im Landesinneren. Snorri kennt ein paar geeignete Dörfer südlich des Humbers. Wir schleichen uns hin, bevor es hell wird.» Vallon sah Wayland und Raul an. «Glaubt ihr beiden, dass ihr das zu zweit schafft?»
Raul schabte mit dem Fingernagel ein Stück Knorpel zwischen seinen Zähnen heraus. «Wir sollen sie uns also einfach schnappen.»
«Ich glaube nicht, dass ihr Freiwillige finden werdet.»
Die Shearwater rollte in der abnehmenden Dünung etwa eine Meile vor der Küste. Möwen kreisten über ihr durch die Dunkelheit. England war unter dem Sternenhimmel zu einer länglichen schwarzen Masse geschrumpft. Eine Lücke in der Küstenlinie zeigte das Mündungsgebiet des Humbers an. Wayland konnte das Ende einer Landzunge erkennen, die sich am nördlichen Ufer erstreckte.
«Das Dorf liegt etwa eine Meile landeinwärts», murmelte Snorri. «Die Bauern gehen schon vor Sonnenaufgang auf die Felder.»
Vallon drehte sich um. «Seid ihr bereit?»
Wayland nickte, ihm wurde die Kehle eng.
«Geht keine Risiken ein. Wir können es genauso gut ein anderes Mal versuchen. Wir bleiben so lange wie möglich in der Nähe. Wenn ihr heute Abend nicht zurück seid, gehe ich davon aus, dass man euch gefangen genommen hat.»
Wayland und Raul wechselten einen Blick und nahmen ihre Waffen.
Snorri grabschte nach Waylands Arm. «Vergiss das Mädchen nicht.»
Wayland sah nach achtern. Syth war aus dem Laderaum aufgetaucht und stand mit dem Hund auf dem Achterdeck.
Vallon tastete nach seiner Börse. «Gib ihr das mit.»
Wayland starrte die Münzen an.
«Du hast zu mir gesagt, du hättest die Sache geklärt», sagte Vallon.
«Das habe ich auch. Ich meine, ich dachte, ich hätte sie geklärt.»
Syth biss sich auf die Fingerknöchel. Der Hund saß aufrecht und angespannt neben ihr.
«Worauf wartest du dann noch?»
«Sie will nicht gehen.»
«Was sie will, ist unerheblich. Du hast dich entschieden.»
«Ich habe gedacht …»
«Es ist zu spät, um noch länger zu überlegen. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Hol sie.»
Wayland drehte den Kopf weg. Vallon biss die Zähne zusammen, sodass die Kieferknochen hervortraten. «Raul, setz das Mädchen in das Boot.»