Das dumpfe Gebetsgeleier erstarb. Der Priester kam zur Tür des Lettners und warf einen ärgerlichen Blick auf seine Schäfchen. «Bei seinem letzten Besuch», sagte er, «hat mich euer weltlicher Herr mit einer Beschwerde über diese Gemeinde zu sich bestellt. Er ist zutiefst verstimmt von die Sünde der Faulheit, der sich viele von euch ergeben haben.»
Raul stieß Wayland an. «Verdammt, bestimmt will er ihnen eine ewig lange Moralpredigt halten. Du behältst die Leute im Auge.» Der Deutsche stürmte den Mittelgang hinauf.
Der Priester starrte ihm erschrocken entgegen. «Wer bist du?»
«Tretet zur Seite. Ich werde an Eurer Stelle die Predigt halten, das wird uns Zeit sparen und genauso gut helfen, ein paar Seelen zu retten.»
«Faulheit», sagte er und ließ das Wort im Kirchenschiff widerhallen. «Die Faulheit ist der Feind jedes Vorhabens und der Blutsauger des Gewinns. Ich und mein Gefährte wurden von unserem Hauptmann ausgesandt, um zwei oder drei Männer anzuwerben, die uns auf unserer Handelsreise begleiten sollen. Wir suchen nach starken, entschlossenen Männern, bevorzugt nach solchen, die schon Erfahrungen im Kampf und auf Segelschiffen gemacht haben. Wir haben diese Gemeinde aufgesucht, weil wir gehört haben, dass hier viele tapfere Männer wohnen.»
Wayland, der von der Tür aus zusah, schüttelte den Kopf. Mit seiner fremdartigen Schläfenlocke, dem verfilzten Bart und der verdreckten Jacke sah Raul aus wie der Überrest einer geschlagenen Barbarenhorde. Und er stank wie ein Iltis.
Raul ließ ein paar Münzen klimpern. «Einen Halfpenny für jeden Tag, den ihr bei uns dient, einschließlich Ruhetage und Feiertage. Und außerdem», sagte er und hob einen Finger, als wolle er die Gemeinde segnen, «volle Verpflegung. Ihr werdet keinen Penny von eurem Lohn für Bett und Tisch ausgeben müssen.» Er führte den Trick vor, bei dem er eine Münze verschwinden ließ. «Und das ist immer noch nicht alles. Jeder Gewinn, den wir machen, wird aufgeteilt. Gerechte Anteile für alle. Stimmt das etwa nicht, Wayland?»
Die versammelte Gemeinde drehte sich um und gaffte Wayland an.
«Ihr werdet gut bezahlt und gut behandelt.»
«Habt ihr das gehört? Das Wort eines Engländers.» Raul grinste breit. «Es ist klar, dass wir nicht jeden nehmen. Wir sind wählerisch. Aber für zwei oder drei, die sich nicht vor ehrlicher Arbeit scheuen, ist das die Gelegenheit, im Leben weiterzukommen.»
Die Leute nickten und tauschten Bemerkungen aus. Wayland fing an zu glauben, dass Raul Erfolg haben könnte.
«Wie weit segelt ihr?», fragte jemand.
«So wie es aussieht, seid ihr zur Ernte im Herbst wieder da. Nicht, dass ihr euch dann noch mal auf den Feldern schinden müsstet – nicht bei eurem Anteil Silber.»
«Wie weit?»
«Richtung Norden.»
«Wohin im Norden?»
Raul funkelte den Fragesteller wütend an. «Orkney.»
Die Kirchgänger schoben ihre Unterlippen vor und zuckten mit den Schultern. «Liegt das am anderen Flussufer?», fragte einer.
«Klar, du Hohlkopf», schnaubte jemand. «Auf dieser Seite des Humbers gibt es schließlich kein Orkney.»
«Es ist weiter nördlich als der Humber», räumte Raul ein. «Nicht sehr weit.»
Eine Schwalbe tauchte zur Tür herein, verfehlte Waylands Kopf nur knapp und schwang sich zu ihrem Nest unter einem Deckenbalken hinauf.
Raul ließ die Silbermünzen von einer Hand in die andere gleiten. «Einen Halfpenny pro Tag bei freier Kost und Logis.»
Sie überdachten es wie ein Philosophenkongress. Kein einziger Mann trat vor.
«Seid ihr denn so zufrieden mit eurem Dasein?», bohrte Raul. «Geht euer Grundherr so gut mit euch um?»
«Er geht mit uns um wie mit den Weidenbäumen», rief jemand von hinten. «Er denkt, je mehr er uns zusammenstutzt, desto besser treiben wir aus.»
Dem Gelächter folgten weitere Beschwerden. «Er verhängt Geldstrafen, wenn wir heiraten. Und er verhängt Geldstrafen, wenn wir sterben.»
«Er verbietet uns, unser Getreide zu Hause zu mahlen, und verlangt, dass wir seine Mühle benutzen und dafür bezahlen.»
«Und dann müssen wir drei Tage auf Mehl warten, das aus der schimmligen Nachlese des letzten Jahres gemahlen worden ist.»
Raul breitete mit missionarischem Eifer die Arme aus. «Brüder, hier ist die Gelegenheit, euer Joch abzuwerfen. Hier ist die Erlösung aus euren irdischen Leiden.» Er machte einen Schritt auf einen der Misstrauischen zu, einen kräftigen Mann von etwa dreißig Jahren. «Du bist ein mutiger Redner. Du gefällst mir. Ich vermute, du hast schon auf dem Schlachtfeld gestanden, oder?»
«Ich habe mit der Fyrd des englischen Königs bei Stamford gekämpft.»
«Ich wusste es. Du gehörst zu genau der handfesten Sorte, die wir suchen.»
Der Mann schüttelte den Kopf. «Ich habe eine Frau, drei Kinder und eine schwerkranke Mutter.»
«Ah, aber denk daran, wie gut du sie versorgen kannst, wenn du zurückkommst.»
«Ich kann nicht. Ich bin an meine Felder gefesselt.»
«Kein Mann ist an irgendetwas gefesselt. Komm schon, klopf dir den Schlamm von den Schuhen.»
«Lass ihn», sagte Wayland.
Raul sah ihn böse an und wandte sich an einen anderen Fronarbeiter. «Und was ist mit dir?»
Der Mann rieb sich übers Kinn und sagte dann etwas Unhörbares. Raul legte die Hand hinters Ohr. «Was war das?»
Wayland machte einen Schritt auf ihn zu. «Er sagt: ‹Wer kümmert sich um meine Bienen?›»
Raul warf seine Schläfenlocke zurück. «Lieber Gott. Das ist ja, als wollte man einer Kröte die Federn ausrupfen.»
Er ging von einem Mann zum nächsten und erhielt eine gemurmelte Ablehnung nach der anderen. Schließlich legte er den Kopf in den Nacken und rief: «Was? Kein Einziger von euch? Eure Wikinger-Vorfahren drehen sich im Grabe herum. Na gut. Dann träumt weiter von euren Runkelrüben. Zählt eure Heuhaufen. Verbringt den Rest eures Lebens damit, den Arsch eures Ochsen anzustarren, während ihr durch den Dreck stapft, mit durchlöcherten Schuhen, zerlumpten Kleidern und Kindern, die zu Hause verhungern.»
«Ich komme mit.»
Raul drehte sich um. «Zeig dich.»
Aus der Versammlung humpelte ein großer, magerer Arbeiter hervor, dessen Kleidung aus selbstgewebtem Leinen so durchgescheuert war, dass man Knie und Ellbogen sah. Seine enormen Hände hingen an knochigen Handgelenken.
Raul betrachtete ihn zweifelnd. «Und wer bist du?»
«Garrick, ein Witwer und armer Freibürger. Der Tod hat mir all meine Verwandten genommen, und ich werde ihnen bald Gesellschaft leisten, wenn ich hierbleibe, weil meine Felder zu klein sind, als dass ich mich davon ernähren könnte.»
Raul umrundete den Bauern und versuchte ihn einzuschätzen. «Du hinkst. Stammt diese Verletzung vom Schlachtfeld?»
Jemand lachte. «Er ist als Kind vom Baum gefallen. Pech und Ärger verfolgen Garrick schon sein ganzes Leben.»
Raul schob ihn zur Seite. «Es tut mir leid, wir brauchen kräftige, gesunde Männer.»
«Ich will ihn mir ansehen!», rief Wayland.
«Vallon wird nicht begeistert sein, wenn wir ihm so eine Vogelscheuche bringen.»