Mehrere Male wurde Cuthbert bei seiner Erzählung von heftigen Hustenanfällen unterbrochen. Hero fand seine röchelnde Atmung genauso beunruhigend wie den Gestank in der Klause.
«Ihr seid krank», sagte er. «Ihr solltet ein Hospiz aufsuchen.»
«Wenn es für mich Heilung gibt, dann finde ich sie hier durch dieselbe göttliche Macht, die Cuthberts Fleisch nach seinem Tod vor dem Verfall bewahrt hat.»
«Was sagt er da?», flüsterte Richard.
Hero hatte aufgehört zu übersetzen. Er begann zu frieren. «Wenn die Reliquien des Heiligen Eure Leiden heilen können, solltet Ihr nach Durham gehen, wo sein Körper bestattet ist.»
Cuthbert wurde erneut von würgendem Husten geschüttelt und schluckte Schleim hinunter. «Meine Ordensgemeinschaft hat mich ausgestoßen.»
Hero fasste sich an die Kehle. Er hatte solch einen quälenden Husten schon früher einmal gehört.
«Zündet Eure Lampe an. Wir haben Euch Geschenke mitgebracht. Auch Lampenöl.»
Cuthbert blies auf die glimmenden Kohlen und entzündete ein paar miteinander verdrehte Strohhalme daran. Die Flamme versengte ihm die Hand, als er den Fidibus an den Docht hielt, doch er zuckte nicht einmal zusammen. Schatten krochen an den Wänden hinauf. Cuthbert stellte die Lampe auf den Boden und hockte sich, den Kopf unter der Kapuze gesenkt, daneben. Hero nahm die Lampe auf.
«Zeigt uns Euer Gesicht.»
«Diesen Anblick will ich euch lieber ersparen.»
«Ich fürchte mich nicht davor. Ich weiß, woran Ihr leidet.»
Langsam hob Cuthbert den Kopf. Hero atmete heftig ein. Die Augen des Einsiedlers blinzelten klein zwischen schuppiger Haut voller Knötchen hervor. Die Hälfte der Nase war abgefault, von einem Infekt zersetzt, den er nicht einmal spüren konnte.
«Ein Aussätziger!», schrie Richard und sprang auf. «Wir haben mit einem Aussätzigen zusammengesessen!» Er hastete so entsetzt aus der Höhle, dass er den Windschutz von seinen Haken riss.
Cuthbert schaute Hero gequält an. «Hast du keine Angst?»
«Ich war Student der Medizin. Ich habe Leprahospize besucht.»
«Um zu heilen?»
«Es gibt keine Heilung.»
Cuthbert starrte an ihm vorbei. «Doch, es gibt eine. Ich war auf Lindisfarne Zeuge vieler Wunder.»
«Wie lange seid Ihr schon hier?»
«Das ist mein zweites Jahr. Die Fischer aus der Gegend bringen mir etwas zu essen an den Strand, und manchmal nehme ich mir Eier aus den Nestern der Seevögel. Der letzte Winter war streng, aber jetzt, wo der Sommer naht, werden wieder Pilger auf die Insel kommen. Manchmal kommen am Tag ein Dutzend und mehr über den Dammweg.»
«Dammweg?»
«Ach so. Du kennst ja die Insel nicht. Der Dammweg ist ein Pfad, der bei Ebbe freiliegt.»
«Ihr habt aber gesagt, niemand könnte nachts auf die Insel kommen.»
«Ich habe gesagt, niemand würde im Dunkeln hierhersegeln.»
Hero sah über die Schulter zum Eingang der Höhle. «Die Ebbe muss jetzt fast ihren niedrigsten Stand erreicht haben.»
«Aber wer sollte nachts über den Dammweg kommen?»
«Entschuldigt mich, ich muss gehen.» Hero stand auf. «Wir werden von den Normannen verfolgt. Sie werden bald hier sein. Ich rate Euch zu Eurem eigenen Besten, ihnen zu sagen, Ihr hättet uns nicht gesehen.» Dann fiel ihm das Bündel wieder ein, und er streckte es dem Einsiedler hin. «Das ist für Euch. Es ist nicht viel. Ein bisschen Brot und Fisch. Eine Decke. Etwas Lampenöl. Es tut mir leid, aber ich muss gehen.»
Cuthbert schickte Hero Segenswünsche nach, als dieser die Felsrinne hinunterstolperte. Am Ufer prallte er mit Raul und Richard zusammen. Der Deutsche lachte.
«Das wird dich lehren, nachts fremden Stimmen zu folgen.»
«Er hat mich mit seiner ekelhaften Spucke bespritzt!», schrie Richard.
«Ihr haltet jetzt beide den Mund!»
Schweigend ruderten sie zum Schiff zurück. Hero berichtete Vallon von dem Dammweg und von sonst nichts. Cuthbert war mit seiner Lampe wieder zum Strand hinuntergestiegen. Vallon ließ seinen Blick zum dunklen Himmel hinaufwandern.
«Der Wind wird ständig schwächer. Holt den Anker ein.»
Sie legten sich in die Riemen und nahmen Kurs auf die Landspitze. Cuthbert begleitete sie am Strand, als wolle er ihnen den Weg leuchten. Sie hatten die Spitze von Lindisfarne beinahe erreicht, als eine Reihe Fackeln sichtbar wurde, die sich vom Festland her in einer Prozession übers Meer hinwegzubewegen schien, als wären Gläubige auf dem Weg zur Mitternachtsmesse.
«Mein Ausbruch vorhin tut mir leid. Ich hoffe, du verzeihst mir», sagte Richard und legte Hero die Hand auf die Schulter. «Ich war einfach so erschrocken.»
Hero hob die Hand, und einen Moment lang verschränkten sich ihre Finger. «Natürlich verzeihe ich dir.» Dann stieß er ein tiefes Stöhnen aus. «Was war das nur für ein schrecklicher Tag.»
Schwach klang Cuthberts Stimme übers Wasser zu ihnen.
«Was hat er gesagt?», fragte Richard.
Hero schluckte seine Tränen hinunter. «Benedicti sitis peregrini. Seid gesegnet, ihr Pilger.»
XIX
Sie dümpelten mühsam weiter nordwärts. Am späten Nachmittag des zweiten Tages umfuhren sie einen gewaltigen Basaltfelsen, der hinter schwärmenden Seevögeln kaum zu sehen war, und stießen in eine breite Förde vor. Die Shearwater segelte mitten durch die Fischgründe der Vögel. Zu Tausenden zogen Tölpel über den Himmel, falteten ihre Flügel und schossen wie Pfeile ins Wasser hinunter. Als sie aus dem Vogelsturm heraus waren, fanden sie sich auf einer belebten Seestraße wieder. Edinburgh lag nur ein kleines Stück weiter am Südufer der Förde. Vallon wies Snorri an, Nordkurs zu halten.
«Legen wir denn in der Hauptstadt nicht an?», fragte Raul. «Wir werden keine bessere Gelegenheit finden, Handelsware aufzunehmen.»
«Die Normannen haben dort bestimmt eine Gesandtschaft. Wenn sie mitbekommen, dass wir im Hafen sind, werden sie unsere Verhaftung fordern. Und weil sie vom Einmarsch bedroht sind, werden die Schotten ihre Bitte nicht ablehnen.»
«Unsere Auslieferung würde die Normannenüberfälle aber nicht beenden.»
«Ich weiß. Trotzdem wollen die Schotten vermutlich jede Provokation vermeiden», sagte Vallon. «Uns zu übergeben wäre ein kostenloses Beruhigungsmittel.»
Raul war nicht sehr glücklich mit Vallons Entscheidung und tat sein Missvergnügen Wayland gegenüber kund. «Wir werden bestimmt nicht reich, wenn wir bei jedem Risiko den Kopf einziehen.»
Auch wenn sich Wayland nicht von Rauls Stimmung anstecken lassen wollte, begann seine Begeisterung für die Reise abzukühlen. Zu essen hatten sie nur noch Brot und zu trinken für jeden zwei Becher Wasser täglich. Es fand kaum noch eine Unterhaltung statt, und Syth sang nicht mehr bei der Arbeit. Waylands Haut juckte und brannte von dem scharfen Salzwasser.
Um Mitternacht hatten sie die Nordspitze der Förde passiert. Und immer weiter segelten sie unter dem Licht eines schmalen Mondes. Früh am nächsten Morgen, als pastellfarbene Wolken über den Himmel zogen, ruderten sie erschöpft in das Gebiet des Bistums von St. Andrews und ankerten hinter einem Wellenbrecher.
Wayland hatte eine größere Stadt erwartet, und Raul beschwerte sich entrüstet darüber, dass die Siedlung nicht einmal einen ordentlichen Hafen aufzuweisen hatte. Auf einer Landzunge nördlich der Stadt arbeiteten Maurer an einem Kirchturm. Davon abgesehen waren nur ein paar wenige Schindelhäuser am Wasser höher als ein Stockwerk. Die restliche Ansiedlung bestand aus einem Wirrwarr schäbiger Hütten.