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«Nein. Wie es der Zufall will, wurde der Statthalter in Amtsangelegenheiten weggerufen, bevor das Schreiben eintraf, und konnte sich der Sache daher nicht sofort annehmen. Er wird nicht vor morgen früh zurück sein, dann aber, versteht sich, die Befehle des Königs mit aller gebotenen Eile ausführen.»

Vallon schnalzte mit der Zunge. «Wie bedauerlich, dass ich mich nicht von Seiner Exzellenz verabschieden und ihr für all die Freundlichkeit danken kann. Wir haben nämlich unsere Handelsgeschäfte hier abgeschlossen und werden noch heute Abend die Segel setzen. Es bleibt uns lediglich, unsere persönlichen Gegenstände an Bord zu bringen.»

Der Sekretär nickte und ging zur Tür. Dort blieb er mit der Hand auf dem Riegel noch einmal stehen. «Von Süden kommt gutes Wetter. Zwei Segeltage sollten Euch aus der Reichweite des königlichen Erlasses bringen. Wenn ich an Eurer Stelle wäre, würde ich davor nirgends an Land gehen.»

Sie verbeugten sich knapp voreinander, und der Sekretär ging. Vallon wartete am Fenster, bis seine Schritte auf dem Pflaster verklungen waren, dann hastete er an die Treppe und rief hinunter: «Raul! Wayland! Alle hören zu! Bewegt euch! Wir segeln heute Abend ab!»

Als die Waffenknechte des Statthalters früh am nächsten Morgen zum Kai gingen, fanden sie die Unterkunft verlassen und den Liegeplatz der Shearwater leer. Eine Hand deutete in Richtung der aufgehenden Sonne, und der Milizhauptmann konnte gerade noch den Umriss eines Seglers auf Nordkurs ausmachen.

Zurück auf See, musste sich die Mannschaft wieder an die Alltagsroutine auf dem Schiff gewöhnen. In der Woche an Land hatten sie sich erholt, und sie sahen ihrer Reise guten Mutes entgegen. Sie widmeten sich ihren Pflichten, arbeiteten gut zusammen, waren aber auch selbstbewusst genug, um auf eigene Initiative zu handeln. Als Vallon beobachtete, wie Garrick das Ende einer Want um eine Klampe schlug, konnte er kaum glauben, dass dieser Mann vor einem Monat zum ersten Mal den Fuß auf ein Schiff gesetzt hatte. Alles in allem war Vallon zufrieden. Der April war dem Mai mit seinen langen Dämmerungen gewichen. Die Shearwater legte achtzig Meilen am Tag zurück. Am nächsten Tag um dieselbe Zeit wären sie außerhalb von Drogos Reichweite.

Nur eine einzige Wolke verdüsterte die Zukunft. Alle waren sich ihrer bewusst, doch niemand sprach sie an. Schließlich gingen Hero und Richard zu Vallon, der im Bug stand und träumerisch übers Meer sah. Die beiden waren angespannt, keiner von ihnen wollte das Wort ergreifen. Richard hielt ein Bündel Papiere in der Hand. Vallon bat sie, sich mit ihm hinzusetzen.

«Wie ich sehe, habt ihr den Tag damit verbracht, unsere Kontenführung auf den neuesten Stand zu bringen. Wie sieht es aus?»

«Nach all unseren Ausgaben haben wir nur noch etwas mehr als sechzig Pfund übrig. Ich kann die Geldausgänge einzeln nennen, wenn Ihr möchtet.»

«Nicht nötig», sagte Vallon. Sechzig Pfund war weniger, als er erwartet hatte. «Was schätzt ihr, wie viel unsere Ladung in Island einbringt?»

«Wir werden bestimmt Gewinn machen – in Sachleistungen.»

«Und darin besteht das Problem», sagte Hero. «Die Isländer zahlen nicht mit Geld. Wir werden kein Silber einnehmen, bevor wir in Norwegen oder Rus sind. Bis dahin könnte aber möglicherweise unsere Kasse leer sein. Wir werden ein Schiff mieten müssen, um nach Island zu kommen, und dann noch eins, um weiter nach Süden zu fahren. Raul denkt, wir können von Glück reden, wenn wir einen Schiffsmeister finden, der uns pro Überfahrt weniger als dreißig Pfund berechnet. Aber damit fließt unser gesamtes Geld allein in den Transport.»

Syth kochte auf dem Achterdeck, und appetitanregende Düfte zogen zu Vallon herüber. «Ich weiß, dass ihr nicht mit diesem Problem zu mir gekommen wärt, wenn ihr euch keine Lösung überlegt hättet.»

Hero warf Richard einen Seitenblick zu. «Wir sind sicher, dass Ihr schon darüber nachgedacht habt, als Ihr David angeheuert habt.»

Vallon mimte Unverständnis. «Ich habe David nur als Lotsen für das erste Stück bis Orkney angeheuert.»

Die beiden jungen Männer wechselten erneut einen Blick. «Er würde auch bis zu den Färöern auf dem Schiff bleiben», sagte Hero. «Wenn David navigiert, können wir Orkney auslassen.»

Vallon gab seine Schauspielerei auf. «Ihr schlagt vor, dass wir Snorris Schiff stehlen.»

Richards Geburtsmal verdunkelte sich. «Wenn wir nicht auf der Shearwater bleiben, geht uns das Geld aus, bevor wir am Ziel unserer Reise sind.»

«Und was soll aus Snorri werden?»

Hero rückte ein Stück näher an Vallon heran. «Setzt ihn mit dem an Land, was wir ihm schulden. Zahlt ihm einen Ausgleich, wenn Ihr es wünscht. Mit zwanzig Pfund kann er in Norwegen einen sehr guten Neuanfang machen.»

Vallon blickte übers Meer. Sie hatten das Kap umrundet, das die nördlichste Grenze des schottischen Königreichs bildete, und nun standen sie am Anfang der langen Passage westwärts Richtung Sutherland und Caithness. «Unsere nächste Landung wird auf norwegischem Territorium stattfinden. Wenn ich Snorri unter seinesgleichen aussetze, wird er uns wegen Diebstahls verfolgen lassen. Und nachdem Island durch Blutsbande und den Handel mit Norwegen verbunden ist, wird er seine Sache gegen uns auch dort betreiben.»

Hero und Richard sagten nichts darauf.

«Ihr findet, ich sollte ihn umbringen.»

Richard zog den Kopf ein und blinzelte, als hätte er etwas im Auge. Hero antwortete in drängendem Flüsterton. «Wayland und Raul sind sicher, dass uns Snorri aufs Kreuz legen will. Als wir im Hafen gelegen haben, hat ihn Raul mit einer norwegischen Schiffsmannschaft reden sehen, die ein paar Tage vor uns Richtung Orkney abgesegelt ist. Raul sagt, er hätte sich bei den Blicken, die ihm die Männer zugeworfen haben, gefühlt wie eine Gans kurz vor dem Rupfen.»

Vallon musterte das Schiff. Snorri lehnte am Ruder. Raul stand hinter ihm, ließ das Ende eines Taus vor sich kreisen, und beobachtete unauffällig die Zusammenkunft im Bug.

«Wenn wir ihn ermorden, würde dieses Verbrechen unser ganzes Vorhaben vergiften. Wie könnten wir so etwas auf unser Gewissen laden? Und David würde nicht mit Männern arbeiten, die den Schiffsmeister ermordet haben.»

«Ich möchte natürlich keinen einzigen Toten auf dem Gewissen haben», sagte Richard. «Wir dachten einfach, Ihr solltet unsere Bedenken kennen.»

«Ich teile sie, und ich glaube, ich habe eine Lösung. Sie wird allerdings teuer werden. Jetzt schaut nicht mehr so schuldbewusst, und richtet Snorri aus, dass ich mit ihm reden will.»

Als er den Norweger nach vorn kommen sah, fragte sich Vallon, ob Snorri wohl wusste, dass sein Leben an einem seidenen Faden hing. Er war selbstbewusster geworden und gab sich weniger schmeichlerisch, seit sie aus dem Hafen von St. Andrews ausgelaufen waren.

Vallon heuchelte Freundlichkeit und sprach übers Wetter und den Segelkurs, bevor er zur Sache kam. «Hast du immer noch vor, unsere Zusammenarbeit zu beenden, wenn wir in Orkney sind?»

«Ja, ich will nach Hause zurück.»

«Angenommen, ich erhöhe mein ursprüngliches Angebot – ein Drittel von allem, was wir durch den Handel verdienen. Das sind in jeder Hinsicht großzügige Bedingungen.»

«Ich kann in Orkney eigene Ladung aufnehmen. Um diese Jahreszeit fahren die Handelsschiffe wieder los. Kein Problem, in Kirkwall ein neues Schiff zu finden. Ich such’s selber für Euch.»

«Und wie viel wird es kosten?»

«Zwanzig Pfund.»

«Und noch mal zwanzig bis Norwegen.»

«Ja. So um den Dreh.»

Vallon dachte über die Summen nach. «Ich sag dir was. Ich gebe dir vierzig Pfund als Kaufpreis für die Shearwater. Und zwar zusätzlich zu der Summe, die wir dir schon schulden. Damit haben wir zwar kaum noch etwas in der Kasse, aber wir können uns frei bewegen. Mit fünfzig Pfund in bar kannst du dir ein Schiff kaufen, das genauso gut ist wie die Shearwater, und hast sogar noch Silber übrig.»