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Unten im Laderaum war es äußerst ungemütlich. Hero hörte, wie die Planken gegeneinanderarbeiteten und wie der Mast in seinem Sockel stöhnte. Jedes Mal, wenn ein Brecher an das Schiff lief, rechnete er damit, dass die Planken bersten und das Meer hereinströmen würde. Als die Shearwater aus dem Windschatten der Orkneys in die Dünung des offenen Atlantiks gesegelt war, kamen ihnen so hohe, langgezogene Wogen entgegen, dass es Hero bei jedem Eintauchen in ein Wellental den Magen hob. Die Mastspitze schwankte und zuckte nicht mehr einfach, sondern schwang in wilden Kreisen herum.

Hero stieg aus dem Laderaum an Deck. Sie jagten mit angerefftem Segel vor dem Wind dahin, und die Wellen schienen beinahe so hoch wie der Mast der Shearwater. Er ging bis zum Ruder, kämpfte um sein Gleichgewicht und stolperte über das schlüpfrige Deck gegen die Reling. Der Wind dröhnte so laut in der Takelung, dass er brüllen musste, um sich verständlich zu machen.

«Ich sehe kein Land mehr. Ich dachte, wir sollten an den Inseln entlangsegeln.»

«Der Wind dreht auf Süden», rief Raul. «Ich weiß nicht, bis wie weit nach Osten sich die Orkneys erstrecken. Wir dürfen uns nicht in den Windschatten einer Landzunge treiben lassen.»

Die Shearwater kippte ins nächste Wellental hinab und bohrte sich so tief in die Fluten, dass nur noch ein Fuß Abstand zwischen dem Wasser und dem Dollbord war. Schaumige Gischt wurde übers Deck geweht. Hero klammerte sich an eine Want. «Die Brecher werden uns überrollen.»

Raul schlug aufs Ruder. «Nein, werden sie nicht. Sieh doch mal, wie elegant die alte Dame auf ihnen reitet. Wir können sowieso nichts machen. Aber bind dich irgendwo fest, nur für den Fall.»

Hero verkroch sich zu Richard auf die Heckruderbank. Garrick schlang um jeden ein Tau und verknotete es durch eine Ruderpforte. Der Wind heulte im Tauwerk. Wie ein zusammengerolltes Tier nistete sich Angst in Heros Brust ein. Einmal warf ihn eine Welle von der Bank, von da an klammerte er sich an ihr fest. Er hatte das Gefühl, dass ihm jedes Mal, wenn sich das Deck hob, der Magen in die Füße rutschte, um ihm, wenn es sank, bis in die Kehle zu steigen. Richard kauerte neben ihm, gelbliche Fäden von Erbrochenem liefen über sein Kinn. Als es dunkel wurde, konnte Hero die ankommenden Wellen nicht mehr sehen, bevor sie aufs Schiff trafen, und musste vorausahnen, wann er sich festklammern sollte. Seine Hände waren zu Klauen erstarrt. Dann traf ein Brecher das Schiff breitseits und überschüttete ihn mit Wasser, sodass er keine Luft mehr bekam. Richard hängte sich an ihn.

«Wir sterben!»

«Mir egal!»

Eine Hand packte ihn an der Schulter. «Richard?», schrie Vallon.

«Ich bin Hero. Richard ist hier neben mir.»

«Brave Jungs. Wie kommt ihr klar?»

«Erbärmlich.»

«So ist’s recht.»

Mit einem Klaps auf Heros Schulter war Vallon verschwunden. Hero konnte sich nicht vorstellen, wie er die Nacht überstehen sollte. Nichts als Getöse und Dunkelheit, der brüllende Wind und die Sturzwellen. Irgendwann ließ ihn die schiere Gewalt der Elemente in eine Art Trance sinken, in der er seine Angst gedämpft wahrnahm und sein Verstand ausgeschaltet war.

Als er zum tausendsten Mal seine brennenden Augen hob, entdeckte er das erste milchige Grau der Morgendämmerung. Wie die Zahnreihen eines aufgerissenen Rachens stürzten sich die Schaumkronen der Wellen aus dem Dunkel herab, und Richards Gesicht war kaum mehr als ein verschwommener Umriss.

Immer noch jagten schwarze Wolkenfetzen über den Himmel, doch die Bewölkung lichtete sich. Die Sonne kam durch und tauchte das Schiff in fahles Licht. Hero drehte den Kopf von einer Seite auf die andere, um Sehnen zu lockern, die so hart wie Hanftaue geworden waren. Dann tastete er mit steifen Fingern an den Knoten seiner Sicherungsleine herum, ohne sie aufzubekommen. Er stand auf, fiel wieder um, schob sich dann zitternd an der Reling hoch und sah über die weißbekrönten Brecher hin. Raul stand immer noch am Ruder und versuchte, die Shearwater, so gut es ging, auf der Dünung aufrecht zu halten. Ständig sah er über die Schulter, um die anrollende See einschätzen zu können. Hero wollte sich gerade weiter nach vorn schieben, als Raul erneut hinter sich blickte und nach Luft schnappte.

Hero drehte sich um. Was er sah, war so unerwartet, dass er anfänglich dachte, die Erschöpfung hätte seine Wahrnehmungsfähigkeit getrübt. Der Horizont stand drohend wie eine grünschwarze Wand über ihm, nur dass sich diese Wand bewegte, und Hero blieb beinahe das Herz stehen, als ihm klar wurde, dass lautlos eine ungeheuerliche Welle auf sie zurollte. Dann setzte auf einmal der Wind aus, und es wurde totenstill. Die Shearwater befand sich vom Sturm abgetrennt im Windschatten der Welle. Hero warf sich aufs Deck, klammerte sich an die Ruderbank, und die Welle brach. Sie traf am Heck auf die Shearwater und schob das Schiff höher und höher, bis Hero, der in namenlosem Entsetzen auf das schrägstehende Deck hinabstarrte, sicher war, dass die Shearwater der Länge nach umschlagen würde. Für einen Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, hing das Schiff schwerelos dort oben, dann brandete der Wellenkamm vorbei, und Hero wurde auf den Rücken geschleudert, als die Shearwater in das Wellental hinabstürzte. Raul schrie irgendetwas, und Hero schlang seine Arme noch fester um die Ruderbank, weil ihm klar war, dass gleich der nächste Brecher auf das Schiff laufen würde. Die Woge raste hoch aufspritzend übers Heck, schickte brodelnde Gischt über die Decksplanken, riss ihn von der Ruderbank und schwemmte ihn über die Reling. Die Sicherungsleine spannte sich mit einem Ruck, und er bekam Wasser in die Lunge.

Er war unter die Wasseroberfläche gezogen worden, wurde durch ein grünliches Chaos voller Luftblasen geschleudert, ohne sagen zu können, wo oben und wo unten war. Dann kam er an die Oberfläche und sah einen Moment lang Wayland und Garrick, die sich über die Reling beugten, um seine Sicherungsleine zu greifen. Sogleich erfasste ihn die nächste Welle und saugte ihn weit in die Tiefe. Das Meer brüllte in seinen Ohren, dann spürte er, wie an der Leine gezerrt wurde, und kam mit rudernden Armen nach oben. Wayland zog ihn zum Schiff, und Garrick hievte ihn an Deck, wo er japsend und hustend liegenblieb.

Besorgt sah Wayland ihn an. «Bist du verletzt?»

Hero konnte nicht sprechen. Seine Lungen fühlten sich an, als wären sie mit Sand ausgescheuert worden.

Wayland fasste ihn unter den Armen und zog ihn in eine sitzende Position. Die Heckruderbank war leer. Er sah das zerfaserte Ende einer Sicherungsleine übers Deck hängen.

«Richard!»

«Er lebt», sagte Wayland. «Die Welle hat ihn in den Laderaum geschleudert. Es geht allen gut, aber wir sind ziemlich vollgelaufen. Wir müssen den Laderaum ausschöpfen, bevor uns noch so eine Welle trifft.»

Hero nickte, während er vom nächsten Hustenanfall geschüttelt wurde. Wayland zog ihn auf die Füße. Unten im Laderaum sah er Richard bis zu den Hüften im Wasser stehen. Garrick half ihm, die Salzfässer abzuhalten, die sich aus ihrer Vertäuung gelöst hatten und gefährlich im Laderaum auf dem Wasser tanzten. Die Shearwater hatte mindestens einen Fuß Auftrieb verloren und lag so schwerfällig im Wasser wie ein Holzklotz . Vallon warf Hero einen Eimer zu.

«Du stellst dich mit Richard an Deck auf.»

Hero starrte in den überfluteten Laderaum hinunter. Das Ausschöpfen mit Eimern schien in diesem Fall in etwa so, als wollte man einen See auslöffeln.