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«Wir werden nicht sinken», rief Raul. «Das Holz hält uns über Wasser, selbst wenn wir bis zum Dollbord volllaufen. Und jetzt schöpft, bevor uns die nächste Welle überrollt!»

Wayland hatte sich schon in die Arbeit gestürzt, tauchte den Eimer ein und schwang ihn zu Syth weiter. Garrick und Vallon machten sich ebenfalls an die Arbeit. Oben auf dem Deck nahm Hero einen Eimer nach dem anderen entgegen und kippte ihn über die Reling aus. Der Wind zog ab, und die Wolken lichteten sich.

Sie schufteten den gesamten Vormittag, doch anschließend stand das Wasser nur ein paar Zoll niedriger als zu Beginn. Irgendwann war Hero so erschöpft, dass er den Eimer nicht mehr anheben konnte.

«Das genügt für den Moment», sagte Vallon.

Durchnässt, wie sie waren, aßen sie ein wenig, dann machten sie weiter. Der Wind war zu einer leichten Brise aus Süden abgeflaut, und auch wenn der Wellengang noch hoch war, sank die Gefahr, überrollt zu werden. Raul zog sogar das Segel etwas hoch, um besser steuern zu können.

Es wurde später Abend, bis sie den Laderaum ausgeschöpft hatten. Hero ließ sich auf die Planken sinken. Tränen liefen ihm über die Wangen, so sehr schmerzten seine Hände. Das Wetter hatte sich beruhigt. Eine glutrote Wolkenbank lag über dem Horizont. Langsam färbte sich der gesamte Himmel rot, warf purpurfarbene Reflexe auf das Meer und badete die Gesichter in rötlichem Licht. Dann erstarb das Licht, und die Wolken wurden zuerst grünlich und dann schwarz. Die Venus schimmerte am westlichen Himmel, und der Mars blinkte rötlichgrün. Der Polarstern zeigte sich. Sie waren allein auf dem Ozean.

Hero klapperte mit den Zähnen. «Was glaubst du, wo wir sind?», fragte er Raul.

Rauls Bart war grau vom Seesalz. «Müssten inzwischen die Shetlands hinter uns haben. Also liegen die Färöer vermutlich zwei Segeltage im Nordwesten.»

Hero sah auf die hohen Wogen hinaus. «Wir könnten auch schon zu weit nördlich sein. Ich glaube, wir sollten unseren Kurs weiter westlich ausrichten.»

Raul drehte abwägend die Handflächen nach oben. «Bist du da sicher?»

«Nein.»

«Also weiter westlich», sagte Raul. Er lehnte sich an die Ruderpinne, und die Shearwater drehte sich langsam mit phosphoreszierendem Kielwasser.

Hero schlief vor Erschöpfung den gesamten nächsten Tag durch. Als er aufwachte, schaukelte das Schiff sanft auf den Wellen, und in dem Segel über ihm war kaum Wind. Die Sonne war untergegangen, und an der Stelle, an der sie hinter dem Horizont versunken war, stand noch eine goldfarbene Schleierwolke, die sich langsam rosa färbte. Weit draußen in den ruhigen Gewässern hob sich die glänzende, schwarze Schwanzflosse eines Wales aus dem Meer und ließ beim Wiedereintauchen eine geräuschlose Tröpfchenfontäne in die Höhe steigen.

Hero sah zum Ruder hinüber. «War irgendwo Land zu sehen?»

Raul schüttelte den Kopf. «Nichts.»

Diese Nacht auf See war so ruhig, dass sich die Sterne im Wasser spiegelten. Der folgende Tag war genauso wolkenlos, und unter dem klaren blauen Himmel, bei dem sie Land aus fünfzig Meilen Entfernung hätten sehen müssen, entdeckten sie nichts außer Delfinschwärmen und einen einsamen Eissturmvogel.

Zwei weitere Tage vergingen, bis sie wussten, dass sie die Färöer verpasst haben mussten. Sie segelten weiter, zuerst westlich, und dann, unsicher geworden, wieder in nördliche Richtung. Raul teilte alle zu Schiffswachen ein und wechselte sich am Ruder mit Garrick und Wayland ab. Am späten Nachmittag des sechsten Tages stand Hero allein im Bug Wache. Die Shearwater lag stabil auf dem Wasser, rundliche Wellen liefen an ihrem Rumpf entlang. Alle anderen schliefen. Garrick hing über der Ruderpinne, als würde er sich durch einen Traum steuern. Vallon lag auf dem Rücken und hatte die Hand über die Augen gelegt. Raul lehnte mit ausgestreckten Beinen und offenem Mund an der Reling. Wayland und Syth lagen, den Hund neben sich, Rücken an Rücken auf dem Deck.

Als er in die Unendlichkeit der See und des Himmels hinausschaute, hatte Hero das Gefühl, in eine Dimension zwischen Zeit und Ewigkeit hinüberzugleiten. Das Meer sah seltsam aus, so als hätte sich der Horizont unglaublich weit zurückgezogen und eine konkave Krümmung angenommen. Was war, wenn sie aus der Welt hinaussegelten und in ein Gebiet kamen, in dem die Naturgesetze nicht mehr galten? Meister Cosmas hatte ihm einmal erzählt, dass unter dem Achspunkt des Polarsterns, jenseits der Nordwinde, das Land der Hyperboreer lag, das lieblicher und gesegneter sein sollte, als es sich irgendein Mensch ausmalen konnte.

Dann sah er Land. Von einer zerklüfteten Hochfläche mit windumtosten Graten liefen tief eingeschnittene, eisgefüllte Felsspalten herab, und ostwärts dahinter staffelten sich senkrecht abfallende Klippenvorsprünge.

«Land! Land voraus!»

Als wäre ein Bann von ihnen genommen worden, wachten alle auf, rieben sich die Augen und hasteten in den Bug.

«Du hast recht», sagte Raul.

«Wie lange brauchen wir bis dorthin?», fragte Vallon.

«Schwer zu sagen. Mit gutem Wind einen Segeltag.»

Alle betrachteten ihr Ziel mit neugierigen Blicken, deuteten auf Berge und Eiskappen und Fjorde. Dann tauchte die Sonne hinter den Horizont, und über den Himmel zogen verwaschene rosafarbene und lapislazuliblaue Streifen. Die Insel begann zu verschwimmen und schien wegzutreiben.

Vallon rieb sich über die Augen. «Was ist das?»

«Das Land verblasst», sagte Wayland.

Hero hielt ungläubig den Atem an, als sich seine Insel in Luft auflöste.

Richard seufzte. «Das war nur ein Trugbild. Eine Märcheninsel.»

«Aber sie muss echt sein. Wir alle haben sie gesehen.»

«Das Meer treibt seine Spielchen mit uns», sagte Raul. «Es zeigt uns, was wir sehen wollen.»

Hero war den Tränen nahe. «Aber warum kann ich sie dann jetzt nicht mehr sehen?»

Am folgenden Tag trieb die Shearwater ziellos unter einer dunstverhüllten Sonne dahin. Hero spielte lustlos eine Partie Schatrandsch mit Richard, als Raul schrie: «Wir haben einen Besucher!»

Alle blickten auf einen kleinen Vogel, der sich auf der Rah niedergelassen hatte.

Hero stand auf. «Woher ist er gekommen?»

«Er ist einfach aufgetaucht», sagte Raul. «Wayland hat bemerkt, dass der Hund wie der Fuchs in der Fabel zu ihm hinaufgestarrt hat.»

Der Vogel hatte einen rauchgrauen Rücken, eine schwarze Augenmaske und eine weiße Brust. «Ich habe solche Vögel in Sizilien gesehen», sagte Hero. «Sie müssen wohl für den Sommer nach Norden ziehen.»

«Lasst ihn nicht aus den Augen», sagte Vallon. «Stellt fest, in welche Richtung er fliegt.»

Der einsame Zugvogel hatte es mit dem Abflug nicht eilig. Er putzte sich, spreizte seine Schwanzfedern und begann zu zwitschern. Hero sah kaum noch richtig hin, als der Vogel einen scharfen, klickenden Ton von sich gab und wie ein Pfeil davonschoss.

«Pass auf, wohin er fliegt!»

Der Vogel war nur noch ein dunkler Fleck, als ihn Hero schließlich mit einem losen grauen Schwarm verschmelzen sah, der niedrig übers Meer zog.

«Raul, steuere auf denselben Kurs.»

«Ich habe nichts, das ich anpeilen könnte.»

«Versuch, dem Zugweg der Vögel zu folgen. Lass das Schiff nicht treiben.»

Hero hastete zu seinem Bündel und nahm den geheimnisvollen Richtungsfinder aus dem Kasten. Vorsichtig stellte er ihn auf eine Ruderbank. Die fischförmige Nadel wanderte über den Skalenkreis und blieb schließlich zitternd über einem Kreissegment stehen. Als Hero aufblickte, deuteten die Übrigen wie unsichere Schauspieler immer noch mit ausgestreckten Armen in die Richtung der verschwundenen Vögel. «Norden», rief er. «Die Vögel fliegen genau nach Norden.»

«Folgen wir ihnen», sagte Vallon.

Raul warf einen skeptischen Blick auf den Kompass. «Diesem Ding vertraust du?»

«Ich habe es erprobt, und es ist ein genauso sicherer Führer wie der Polarstern.»