Der Hafenmeister ging vom Schiff und sprach mit einem jungen Mann zu Pferd. Der Jüngling ritt davon. Die Menschenmenge verlief sich. Vallon und seine Leute brachten das Schiff in Ordnung, bevor sie etwas aßen. Danach ging Wayland von Bord, aber es gab wenig zu sehen, und so kehrte er aufs Schiff zurück und legte sich schlafen.
Als der Hund Wayland mit der Schnauze anschubste, um ihn zu wecken, wurde es langsam hell. Drei Männer mit zwei Ersatzpferden ritten die Mole entlang. Der Hafenmeister ging neben dem Reiter an der Spitze her.
«Wacht auf», rief Wayland. «Wir bekommen Gesellschaft.»
Die Abordnung hielt bei der Shearwater, und die Männer stiegen ab. Der Hafenmeister deutete auf den Reiter, den er begleitet hatte. «Dieser Mann hat ein großes Haus zu vermieten.»
Wayland warf Vallon einen Blick zu. «Bitte ihn aufs Schiff.»
Die Besucher stiegen an Deck. Ihr Anführer war ein würdiger alter Herr mit strahlenden blauen Augen und einem säuberlich gestutzten weißen Bart. Er ließ seinen Blick über alle Gesichter wandern, bevor er Vallon die Hand entgegenstreckte.
«Er ist ein Stammesführer», erläuterte Wayland. «Sein Name ist Ottar Thordarson. Er besitzt einen Palas, der uns zusagen könnte. Er liegt etwa zehn Meilen von der Küste entfernt.»
Ottar blickte mit höflichem Interesse in den Laderaum hinunter.
«Was will er dafür haben?»
«Er ist daran interessiert, unser Balkenholz zu kaufen.»
Vallon sah Ottar in die freimütigen blauen Augen. «Er kann es sich gern genauer anschauen.»
Die Besucher gingen durch den Laderaum und sprachen über die Qualität des Balkenholzes. Schließlich blieb Ottar stehen, strich sich mit der Hand über den Mund und nickte.
«Er sagt, er nimmt die ganze Partie», erklärte Wayland.
Vallon lachte. «Wir verhandeln, wenn wir das Haus gesehen haben.»
«Wir können es heute besichtigen. Deshalb hat er die Ersatzpferde mitgebracht.»
«Wir beide reiten mit ihm», sagte Vallon. «Raul, du bist für das Schiff verantwortlich.»
Die Sonne ging auf, als sie sich Richtung Inland auf den Weg machten. Bald lagen die Felder der Bauern hinter ihnen, und sie folgten einem grob aus einem Lavafeld herausgehauenen Weg. Wayland hatte noch niemals solch eine ungastliche Landschaft gesehen. Ottar wies mit Stolz auf ihre teuflischen Besonderheiten hin – unterirdische Glutströme, schmelzende Berge, die wie Flüsse davonströmten, heiße Quellen, in denen man ein ganzes Rind kochen konnte.
«Und gibt es hier auch Falken?», fragte Wayland. «Weiße?»
«Ja, es gibt Falken», sagte Ottar. Er deutete ostwärts auf die Gipfel einer Gebirgskette, die in der klaren Luft zu schwimmen schienen. «Zwei Tagesritte. Drei Tagesritte.»
Wayland ließ sich zu Vallon zurückfallen. «Er sagt, es gibt Falken.»
Vallon lächelte. «Gut.» Er klopfte Wayland auf den Arm. «Gut.»
Sie ritten weiter und kamen in eine so karge Gegend, dass sich dort nicht einmal ein Grashalm oder eine Flechte halten konnte. Dampf stieg aus der Erde auf, und Schwefelgestank setzte sich in Waylands Kehle fest. Etwas entfernt zu ihrer Linken erhob sich ein rauchender schwarzer Berg, der an die Überreste eines gigantischen Lagerfeuers erinnerte. Sie ritten weiter auf einen kahlen Horizont zu, bis sie an den Abhang eines breiten Flusstals kamen, das teilweise von Lavaströmen überschwemmt worden war. In der Nähe des Flusses stand einsam ein großes Gehöft zwischen erkalteten Schlackewellen. Der Weg beschrieb eine Kurve zu dem Haus und schlängelte sich dann Richtung Osten weiter.
«Was ist hier passiert?», fragte Vallon.
«Das ist Ottars Palas», sagte Wayland. «Seine Familie hat ihn bei der ersten Besiedlung gebaut. Sie haben hier zweihundert Jahre lang als Bauern gelebt. Das hier war eines der fruchtbarsten Täler Islands, doch im letzten Frühjahr wachte Ottar mitten in der Nacht auf und sah den Berg dort drüben Feuer speien. Am Vormittag wälzten sich Flüsse aus geschmolzenem Gestein ins Tal. Drei Monate lang schoben sich Lavaströme über die Felder, und als es Winter wurde, musste Ottar den Palas aufgeben. Er baut auf der anderen Seite seines Landbesitzes einen neuen. Eigentlich wollte er die Balken aus dem alten Haus zur Weiterverwendung holen, aber dann hat er beschlossen, den Palas in Ruhe sterben zu lassen. Er sieht in ihm ein Denkmal für seine Vorfahren. Deshalb will er unser Balkenholz haben.»
Vallon sah Ottar an. Dann betrachtete er den Palas. «Sag ihm, er hat das Vorkaufsrecht.»
Sie ritten zu dem Haus hinunter. Die Pferde bewegten sich vorsichtig und geschickt auf der kalten Lava. Der Palas ähnelte einem gewaltigen umgedrehten Schiff, das vollkommen mit Torf bedeckt war. Eine alte Frau kam aus einem windschiefen Nebengebäude und humpelte weinend über eine winzige Weide, auf der eine einzige Kuh graste. Sie bedeckte Ottars Hand mit Küssen, und er sprang aus dem Sattel, küsste sie auf die Wangen, hielt sie an den Schultern fest und sprach mit beruhigender und zärtlicher Stimme auf sie ein.
«Ihr Name ist Gisla», erklärte Wayland Vallon. «Sie war die Amme von Ottars Kindern. Ihre eigene Sippe liegt auf einem Friedhof, der jetzt von Lava bedeckt ist, und sie will sie nicht verlassen. Sie wird für uns kochen und putzen. Ottar sagt, sie redet ziemlich viel. Sie ist einsam.»
Vallon glitt vom Pferd und musterte das Haus. Die Traufe des Torfdachs war so niedrig, dass es aussah, als sei der ganze Bau aus der Erde emporgewachsen. Wildblumen blühten auf dem Dach. Ottar öffnete die Tür und führte sie in den schattigen Innenraum. Ein Vogel wie der, den sie auf dem Schiff gehabt hatten, flatterte von Balken zu Balken, bevor er ins Licht entkam. Wayland hatte das Gefühl, schon einmal in diesem Palas gewesen zu sein. Er sah genauso aus wie das Zuhause, von dem ihm sein Großvater erzählt hatte. Hier war der große Hauptraum mit der langgezogenen Grube der Feuerstelle, um die sich die Männer zum Essen und Reden versammelten, und dort an der Wand waren die Schlafnischen der Bediensteten. Am Ende der Wand befand sich der abgetrennte Bereich, in den sich der Hausherr mit seiner Familie zurückziehen konnte, und darüber verlief eine Galerie für die Töchter. Wayland strich über Figuren, die in die Stützbalken geschnitzt worden waren.
«Ottars vier Söhne und vier Töchter sind hier aufgewachsen. Es war ein glückliches Haus.»
«Entschuldige uns für einen Moment», sagte Vallon.
Sie gingen zur Tür. Durch die Öffnung sah Wayland ein Stück blauen Himmel, an dem weiße Wolken standen. Ein Reiter zog als langsamer Umriss auf dem Weg vorbei.
«Was meinst du?», fragte Vallon.
«Ich finde, wir sollten es nehmen.»
«Ich auch. Es wird uns guttun, eine Zeitlang einen Ort zu haben, den wir als Zuhause ansehen können.»
Als Teil der Abmachung sorgte Ottar für vier Pferde und die Bewachung der Shearwater. Innerhalb von zwei Tagen hatten sich Vallon und die anderen in Ottarshall niedergelassen.
Vallon nahm den Bereich des Hausherrn in Besitz, und die Männer schliefen in den Nischen im Erdgeschoss. Syth hatte die Schlafplattform auf der Galerie, von wo aus sie kleine Steine auf Raul niederprasseln ließ, wenn sein Geschnarche unerträglich wurde.
Zwei Tage später ritten Wayland, Raul und ein Führer namens Ingolf ins Landesinnere, um nach Falkenhorsten zu suchen. Sie folgten den engen Schlaufen eines Flusses über eine grasbewachsene Talaue. Wayland hatte es aufgegeben zu zählen, wie oft sie den Fluss überquert hatten, bevor sie am Ende des Tales angekommen waren und durch einen Wald aus Zwergbirken ritten, die kaum bis zu ihren Steigbügeln reichten. Nach dem nächsten Hügelkamm kamen sie durch eine karge Moorlandschaft und zogen die Köpfe vor den Graupelschauern ein, die in Böen auf sie zugeweht wurden. Dann legte sich der Wind, und staubfeiner Schnee fiel aus einem klaren Himmel. An diesem Abend betrachteten sie die Sonne dabei, wie sie rauchend hinter der Wasserscheide versank, die sie in der Morgendämmerung überquert hatten. Vier Jahreszeiten an einem Tag. Am nächsten Morgen suchten sie sich ihren Weg zu Fuß um einen Sumpf herum, führten die Pferde am Zügel und sprangen von einem grüngelben Mooskissen zum anderen. Auf der anderen Seite ritten sie eine Schlucht hinauf, die von Säulen in Menschenform bewacht wurde. Ingolf erzählte, es seien Riesen, die zu Stein geworden waren, weil sie sich beim Wechsel von einem unterirdischen Schlupfwinkel zum anderen von der Sonne hatten erwischen lassen.