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Sie ritten über eine weite, flache Bergkuppe mit vielen Wassertümpeln, über denen balzende Odinshühnchen in Kreisen umeinanderflogen wie vom Wind aufgewirbelte Blätter. Abends schlugen sie ihr Lager an Seen auf, lagen in den langgezogenen Dämmerungen wach und lauschten auf die Rufe der Eistaucher, die so trostlos klangen, dass sich Waylands Nackenhaare aufstellten. Sie überwanden vereiste Ströme aus schwarzer Schlacke, ihre Pferde scheuten vor Spalten zurück, in denen geschmolzener Fels wie ein schlagendes Herz pulsierte oder zuckte wie ein Fötus, der in einem unterirdischen Mutterleib ausgebrütet wird. Sie sahen die Eruptionssäulen von Geysiren, und Blasen stiegen aus Schlammkesseln auf wie aus kochendem Brei.

Wann immer es möglich war, schliefen sie auf Bauernhöfen. Über Schalen mit Skyr hinweg fragten sie nach Gerfalken, und die Männer führten sie hinaus, beschirmten mit der einen Hand ihre Augen, deuteten mit der anderen auf weit entfernte, schneebedeckte Felshöhen, und erklärten, dort seien die Horste der Falken. Schließlich waren sie über die bewohnten Gebiete hinaus und wanderten unter der Kuppel einer Eiskappe über Moränen und Geröllfelder. Ein Dutzend Mal suchte sich Wayland an diesem Tag einen windstillen Platz und spähte zu den Felsklippen hinauf, bis seine Augen schmerzten.

Zwölf Tage später ritten sie so mitgenommen und erschöpft nach Ottarshall zurück, dass man ihnen von den Pferden herunterhelfen musste. Rauls Gesicht war mit Blasen übersät, seine Augenlider rot wie offene Wunden. Als Syth Wayland eine Schale Suppe in die Hand gab, hielt er sie wie ein Invalide mit beiden Händen auf dem Schoß und starrte einfach weiter geradeaus.

«Wir haben nur drei Falken entdeckt», sagte er schließlich. «Alle drei waren allein. Wir haben ungefähr ein halbes Dutzend Nester gefunden, aber alle waren leer. Ich habe mehrere Stellen entdeckt, an denen die Falken ihre Beute rupfen, aber es gab keinen Hinweis darauf, dass in letzter Zeit Beute geschlagen wurde.» Er kratzte sich über der Augenbraue. «Die Falken ernähren sich hier hauptsächlich von Schneehühnern, und davon gibt es in diesem Jahr sehr wenige. Die Bauern haben uns erklärt, dass die Falken nur brüten, wenn es viele Schneehühner gibt.»

«Du hast aber nur eine kleine Region erkundet», sagte Vallon. «Du wirst die Falken woanders finden.»

Wayland begann, die Suppe in sich hineinzulöffeln. «Ingolf meint, bei den Fjorden im Nordwesten gibt es reichlich Falken. Man braucht eine Woche bis dorthin.»

«Du hast genügend Zeit. Wir müssen erst Anfang August absegeln.»

Wayland wedelte mit seinem Löffel herum. «Es gibt noch eine andere Enttäuschung. Alle Falken, die ich gesehen habe, waren grau.»

«Vielleicht gibt es ja gar keine weißen Falken.»

«Doch. Aber nicht auf Island.»

«Was jetzt kommt, wird Euch bestimmt gefallen», sagte Raul. Der Deutsche hatte sich mit ausgestreckten Beinen und geschlossenen Augen auf seinem Stuhl zurückgelehnt.

«Die hellsten Falken leben auf Grönland», sagte Wayland. «Ingolf hatte schon häufig mit einem norwegischen Händler zu tun, der sie von einem Verkäufer aus der Westsiedlung von Grönland importiert hat. Sie werden von Fallenstellern in den Jagdgebieten des Nordens gefangen.»

Vallon schob seinen Stuhl zurück. «Du gehst nicht nach Grönland.»

«Wartet. Falken sind nicht die einzige kostbare Ware auf Grönland. Sie haben auch Walrosshäute und Elfenbein, die Stoßzähne von See-Einhörnern und weiße Bärenpelze.»

Hero brach das darauffolgende Schweigen. «Das klingt vielversprechender als die Waren, die es hier gibt. Abgesehen von ihren Pferden haben die Isländer nur Wollsachen und Fisch. Damit kann man in Norwegen oder Rus keine hohen Preise erzielen.»

Vallon ging auf und ab. «Und wie willst du hinkommen?»

«Auf der Shearwater natürlich.»

Vallon schüttelte den Kopf. «Ich werde nicht das Schiff riskieren. Wenn du wirklich glaubst, dass sich eine Fahrt nach Grönland lohnt, musst du die Überfahrt auf einem anderen Schiff machen.»

Wayland gähnte. «Wir brauchen unser eigenes Schiff, um zu den Jagdgebieten zu kommen. Sie liegen von den Siedlungen aus sehr weit im Norden.»

Vallon sah zu Raul hinüber. «Was sagst du?»

Er zuckte mit den Schultern. «Wir sind hergekommen, um Handel zu treiben, und die Shearwater liegt nutzlos im Hafen. Warum nicht?»

«Woher wollt ihr die Mannschaft nehmen? Und ihr braucht einen Lotsen.»

«Arbeitskräfte zu finden ist kein Problem», sagte Wayland. «Im Grönlandhandel stecken hohe Gewinne.»

Vallon bemerkte, dass Syth ihre Hände ineinander verkrampft hatte und Wayland unentwegt anstarrte. «Also gut. Stellt fest, ob es möglich ist. Aber denkt daran, dass wir vor den Herbststürmen von Island wegmüssen.»

Waylands Erkundigungen waren bald von Erfolg gekrönt. Eine Gesandtschaft des Bischofs von Skálholt nahm den langen Tagesritt Richtung Westen auf sich, um im Palas eine Anfrage vorzubringen. Der Bischof hatte erfahren, dass die Ausländer eine Reise nach Grönland planten. Wie es der Zufall wollte, waren eine Woche vor ihrer Ankunft zwei Mönche aus der Erzdiözese Hamburg-Bremen auf Island gelandet. Der deutsche Erzbischof hatte sie entsandt, um festzustellen, ob die Mitglieder seiner am weitesten entfernten Gemeinde womöglich vom Glauben abzufallen drohten. Über einem Essen, das Gisla und Syth zubereitet hatten, erklärte der Gesandte, dass der isländische Bischof die Wachsamkeit dieser beiden heiligen Väter höchst entnervend fand. Er kam aus einer Wikingerfamilie. Sein eigener Vater war geradeheraus gesagt ein schrecklicher Heide gewesen, der gestorben war ohne gebeichtet zu haben, und seine eigenen Methoden, den neuen Glauben zu fördern, entsprachen oft nicht den Vorschriften. Kurz gesagt, der Bischof wollte die beiden Mönche loswerden und schlug vor, dass sie ihre Missionsarbeit in Grönland fortsetzen sollten.

«Wir brauchen eine Mannschaft und einen Lotsen», gab Wayland zurück.

«Das lässt sich ohne Probleme einrichten», sagte der Gesandte.

Nach drei Tagen hatten sie genügend erfahrene Männer angeheuert, und noch einmal zwei Tage später war die Shearwater bereit zum Auslaufen. Wayland packte gerade seine Sachen zusammen, als Vallon zu ihm trat.

«Willst du das Mädchen mitnehmen?»

Wayland sah an ihm vorbei. Syth stand verloren an der Tür.

«Du brauchst jemanden, der für dich kocht», sagte Vallon. «Die alte Frau wird sich hier um uns andere kümmern.»

Wayland zuckte mit den Schultern, als wäre ihm die Sache gleichgültig. «Es könnte schon sein, dass sie uns auf der Reise nützlich ist.»

«Du würdest uns einen Gefallen tun», sagte Vallon. «Sie würde in deiner Abwesenheit ohnehin nur vor Kummer vergehen.»

XXIII

Mitten in einer der ersten taghellen Juninächte legte Wayland mit Raul und Syth von Island ab. Ihr Lotse war ein Griesgram namens Gunnar, der häufig unter unerträglichen Kopfschmerzen litt. Ebenfalls an Bord waren die beiden Mönche. Der Fettwanst Vater Saxo besaß einen Schädel, der so kahl war wie geschälter Knoblauch, und nahm die Schwächen der menschlichen Natur mit Gelassenheit. Vater Hilbert dagegen war dünn, hatte Ohren wie eine Fledermaus und lebte in der unveränderlichen Überzeugung, der Mensch sei von Geburt an schlecht. Keiner der beiden hatte je zuvor seine Heimat verlassen, dennoch wussten sie ganz genau, was sie von Grönland und den Grönländern zu erwarten hatten.