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Dann ging er weiter, jeden einzelnen Schritt vorsichtig abwägend. Glum war schon am oberen Ende des tückischen Stufenverlaufs. Als Wayland zwischen seinen Füßen nach unten sah, hatte er Rauls Kopf und Schultern und die glatte Eisrinne im Blick, die in Richtung Klippenfuß abfiel. Wenn er jetzt ausrutschte, würde er Raul mit sich in die Tiefe reißen. Eissplitter rutschten an ihm vorbei. Glum zog sich über die letzte Stufe außer Sicht.

Benutzt die Stufen, die ich ins Eis schlage.

Wayland wartete, bis Raul bei ihm war, und streckte ihm die Hand hin. Der Deutsche war von Panik erfüllt und biss die Zähne fest zusammen.

«Du lässt uns besser das Seil herunter», rief Wayland.

Und das Seil kam.

«Du vertraust ihm?», keuchte Raul.

«Mehr als mir selbst.»

Damit stieg er an dem Seil hinauf. Seine Füße rutschten über das unebene Eis. Oben angekommen, entdeckte er Glum, der sich mit dem Seil am Ende der Rinne hinter ein paar Felsen verkeilt hatte, um sicheren Halt zu haben. Wayland sah an ihm vorbei. Er hatte gehofft, dass der Aufstieg von nun an einfacher werden würde, doch stattdessen sah er die nächste Eiskaskade vor sich, die sogar noch steiler war als die erste.

«Du hättest uns sagen sollen, wie gefährlich es ist.»

Glum sah ihn ruhig an. «Wärt ihr dann mitgekommen?»

Wayland kletterte den größten Teil der nächsten Steigung an den nackten Felsen am Rand der Eisrinne hinauf. Eine der vielen heiklen Erfordernisse dabei war, dass er sich um eine Felsnase herumschieben musste, die aus der Steilwand herausragte und sich aufgespalten hatte. Er hatte die Felsnase mit beiden Händen umfasst, ihr sein gesamtes Gewicht anvertraut, als er spürte, dass sie sich ganz langsam von der Steilwand zu lösen begann. Irgendwie kam er um die Felsnase herum, ohne dass sie abstürzte, doch dann hörte er ein knirschendes Geräusch und sah wie in Zeitlupe das oberste Stück abbrechen. Der Steinblock war doppelt so groß wie ein Männerkopf und schoss auf Raul zu die Eisrinne hinunter. Wayland biss sich auf die Faust, und das rettete den Deutschen. Hätte er eine Warnung ausgestoßen, dann hätte Raul aufgesehen und wäre mitten ins Gesicht getroffen worden. So aber duckte er sich konzentriert in die Rinne, um seine nächste Bewegung abzusichern. Er hörte den Steinblock nicht kommen, bis er unmittelbar vor ihm aufprallte und dann über ihn hinwegsprang. Er flog über die Eistreppe, und Wayland hörte, wie er an den Felswänden zersplitterte und als Geröllhagel in die Tiefe schoss. Starr vor Schreck, wartete er, bis Raul zu ihm aufgeschlossen hatte.

Der Deutsche lehnte sich stöhnend an die Felswand, legte den Kopf zurück und schloss die Augen.

«Ich würde es dir nicht übelnehmen, wenn du umkehrst», sagte Wayland.

«Zu spät. Das wäre jetzt genauso gefährlich, wie weiterzumachen.»

Er hatte recht. Ein grimmiger Fatalismus überkam Wayland, als er sich den nächsten vereisten Absatz emporarbeitete. Wenn er abstürzte, wäre alles aus – aufloderndes Entsetzen, ein schmetternder Aufprall, und dann nichts mehr.

Nach dem dritten Absatz wurde die Eisrinne etwas breiter und der Aufstieg einfacher. Wayland musste sich nicht mehr bei jedem Schritt mit den Händen festhalten. Dann schien sich eine Dachluke zum blauen Himmel aufzutun, und er taumelte aufs Gipfelplateau. Raul arbeitete sich hinter ihm hoch, drehte sich um und deutete auf die Eisrinne, als führte dieser Schacht in die Hölle. «Da gehe ich nicht wieder hinunter. Hast du gehört?»

Glum rollte das Seil über seine Schulter auf. «Doch, das musst du. Es ist der einzige Weg.»

Der Aufstieg hatte beinahe den gesamten Vormittag in Anspruch genommen, und der Himmel bezog sich. Von dem Plateau aus konnten sie die gewaltige Polarwüste im Inland sehen. Ein kalter Gletscherwind ließ ihre Gesichter prickeln, als sie über das Plateau stapften. Es ging weiter leicht bergauf, und sie sahen nichts außer Schnee und Himmel und ihren eigenen Fußspuren, die sich hinter ihnen verloren. Dann begann der Hang abzufallen, und die Schneedecke war nicht mehr geschlossen, sodass weite Flächen frostgesprengter Felsen frei lagen. Wayland sah die eisumgürteten Felskuppen auf der anderen Seite des Fjords, und dann kam der Rand des Gipfelplateaus in Sicht – zerbrochene Felssäulen und Pfeiler, die durch messerscharfe Grate mit der Felswand verbunden waren. Glum ging auf einen der weiten Vorsprünge hinaus. Er wirkte sehr verletzlich auf diesem luftigen Felssporn.

Dann hob er den Arm über den Kopf und deutete nach links. Sie gingen weiter gegen den Wind.

«Da!», rief Wayland und deutete auf einen klobigen Umriss, der auf einem Gesims in der Steilwand saß.

«Ja, das ist der Falke», sagte Glum. «Ich glaube, sein Nest ist ganz in der Nähe.»

Wayland vergaß die Gefahren des Aufstiegs und hastete voran. Er hatte den halben Weg zu dem Gesims hinter sich, als sich der Falke abstieß und in einer Kurve um den Wachfelsen herum außer Sichtweite glitt. Das Tier war nicht so groß, wie Wayland erwartet hatte. «Das muss das Männchen sein», sagte er. «Der Terzel.» «Wartet hier», sagte Glum und balancierte leichtfüßig auf einen anderen Klippenvorsprung hinaus. Am Rand hakte er sich mit seiner Axt in einer Felsspalte ein und beugte sich weit vor. Dann zischte er und winkte sie zu sich.

Waylands Herzschlag beschleunigte sich, als er sich vorsichtig auf den Felsvorsprung schob. Ganz vorn angekommen, drückte ihn ein heftiger Aufwind auf die Fersen zurück. Mit tränenden Augen spähte er über den Rand. Die Welt begann sich zu drehen. Benommen und furchtsam zog er sich zurück.

«Nimm meine Hand», sagte Glum. «Siehst du, meine Axt hält mich ganz fest.»

Wayland vertraute dem Griff des Jungen sein Leben an und beugte sich über die Felskante. Der Wind blies ihm das Haar aus dem Gesicht. Das Schiff unter ihnen schien kaum größer als ein Reiskorn. Dann hörte er einen klagenden Schrei, und der Gerfalke glitt von einem Felsüberhang zu seiner Linken. Wayland sah auf ihn hinab, nahm seine Größe und sein weißes Gefieder wahr, seine muskulösen Schultern, die breiten Flügelansätze. Ein Weibchen. Es ließ sich vom Aufwind tragen, schwebte mit leicht abwärts geneigten Flügeln an der Steilwand entlang und flog so nahe an ihm vorbei, dass Wayland den Lichtreflex in seinen Augen sehen konnte.

Er drehte sich zu Raul um. «Schneeweiß! So groß wie ein Adler!»

«Das Nest liegt unter dem Überhang», sagte Glum. «Es ist unmöglich, direkt hinzukommen. Ich finde heraus, ob es von der anderen Seite aus einfacher ist.»

Der Falke entfernte sich, gewann an Höhe. Bei dem Gedanken, die Jungen dieses Vogels zu besitzen, noch bevor es Abend war, kribbelte Wayland das Blut in den Adern.

Glum kam zurück und wiegte den Kopf. «Auf dieser Seite ist es nicht so schwierig, glaube ich. Jetzt müssen wir eine Stelle finden, an der wir die Seile befestigen können.»

Sie musterten die Umgebung oberhalb des Horsts. Ungefähr fünfzehn Fuß hinter der Felskante entdeckte Glum eine Spalte, in die sie die Eisenstange einen Fuß tief versenken konnten.

Raul wischte sich mit dem Ärmel unter der Nase entlang. «Wer steigt hinunter?»

Glum sah Wayland an. «Ich glaube, das muss ich machen. Für euch ist es nicht so einfach.»

Beinahe hätte ihm Wayland zugestimmt. Die Aussicht darauf, an diesem Felshang hinunterzuklettern, brachte sein Herz zum Flattern und ließ ihm die Beine weich werden. Doch als er in die Weite blickte und das Falkenweibchen ihr Territorium überwachen sah, wusste er, dass sein Triumph nicht vollkommen wäre, wenn er die Nestlinge nicht selbst holte.

«Ich gehe», sagte er. «Zeig mir den Weg.»

Glum führte ihn auf den Felsvorsprung und deutete den Steilhang hinunter. «Zuerst musst du bis zu diesem Sims dort absteigen. Dann folgst du ihm bis zu einem Fels, der aussieht wie die Nase eines Riesen.»

Wayland sah eine Felsnase aus dem Hang ragen. «Und wie komme ich um diese Nase herum?»