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Frage: Wer konnte sowohl von der Operation Sobolew als auch von dem Portefeuille wissen?

Antwort: nur Monsieur N.N. und seine Leute.

Wäre es nur darum gegangen, Ahimaaz aus dem Weg zu räumen: Es hätte ihn geärgert, doch er hätte Verständnis dafür gehabt.

Geärgert hätte es ihn, weil er, ein Professional der Spitzenklasse, die Situation falsch eingeschätzt, sich verrechnet und zugelassen hatte, daß man ihm eine Falle stellte. Verstanden hätte er es, weil man bei einer derart hoch angebundenen und heiklen Sache natürlich darauf bedacht sein mußte, den Akteur aus dem Verkehr zu ziehen. Er selbst hätte an Stelle seiner Auftraggeber nicht anders gehandelt. Das Schwurgericht von des Zaren Gnaden konnte eine Erfindung sein. Klug ersonnen, zugegeben - so daß selbst der erfahrene Herr Weide sie ihnen abgekauft hatte. Jedenfalls wäre das alles einleuchtend und nicht einmal verwunderlich gewesen. Nur das Verschwinden des Portefeuilles paßte nicht dazu.

Monsieur N.N. - ein Geldschrankknacker? Lächerlich. Greift sich die Million und läßt das Archiv der Verschwörer liegen? Undenkbar. Erst recht die Vorstellung, daß diese nächtliche Haudraufvisage auch nur das Geringste mit N.N. oder »Baron von Steinitz« zu tun haben konnte.

»Scharbe« hatte der Typ ihn genannt. Wenn er nicht irrte, war dies im Verbrecherjargon das Ärgste und Verächtlichste, was sich über einen Menschen sagen ließ - kein Dieb und kein Räuber wurde so angesprochen, sondern der brave Spießbürger.

Ein Subjekt aus der kriminellen Unterwelt also? Einer aus der Chitrowka?

Rede und Gebaren konnten darauf schließen lassen. Bei N.N. hingegen hatte selbst der Kutscher die Manieren eines Offiziers. Etwas paßte hier nicht zusammen.

Da es Ahimaaz für eine schlüssige Analyse an Informationen mangelte, suchte er die Sache vom anderen Ende zu packen.

Solange die Gegebenheiten im Dunkel lagen, sollte er vielleicht erst einmal das Ziel ins Auge fassen. Was war zu tun?

Erstens waren die Spuren der Operation zu tilgen.

Zweitens mußte er das Portefeuille finden.

Drittens galt es, sich diejenigen vorzuknöpfen, die mit Ahimaaz Weide ein unredliches Spiel spielten.

Und zwar in eben dieser Reihenfolge. Zuerst ging es um die eigene Verteidigung, dann um die Rückgewinnung von Eigentum. Schließlich die Rache zum Dessert. Letztere war süß, und sie war nötig: Es ging ums Prinzip, um die Ethik seines Berufsstandes.

Praktisch daraus abzuleiten war die folgende Vorgehensweise:

Erstens mußte er Wanda beseitigen. Unschön, aber nicht zu vermeiden.

Zweitens hatte er sich mit dem rätselhaften Kleinen Mischa zu befassen.

Drittens würde er über selbigen Mischa an sein Dessert gelangen. Irgendwer im Umkreis von Monsieur N.N. pflegte sonderbare Bekanntschaften.

Nun, da sein Plan feststand, drehte Ahimaaz sich auf die Seite und war im nächsten Moment eingeschlafen.

Die Erledigung von Punkt eins war für den Abend vorgesehen.

11

Es gelang ihm, unbemerkt in Wandas Wohnung einzudringen. Wie erwartet, war die Sängerin noch nicht aus der »Alpenrose« zurück. Zwischen Boudoir und Diele befand sich eine kleine Garderobe, die mit Kleidern vollgehängt und mit Hut- und Schuhschachteln zugestellt war. Eine Tür führte von dort ins Boudoir, eine zweite in die Diele - es konnte nicht günstiger sein.

Falls Wanda allein nach Hause kam, war das Ganze schnell und reibungslos zu erledigen. Sie würde zum Umkleiden die Garderobe öffnen und im nächsten Moment tot sein, nicht einmal Zeit haben zu erschrecken. Todesangst und Schmerzen wollte Ahimaaz ihr unbedingt ersparen.

Er überlegte, was angemessener war: einen Unglücksfall oder einen Selbstmord vorzutäuschen. Er wählte den Selbstmord. Für eine Dame der Halbwelt ließen sich genügend Gründe denken, um Hand an sich zu legen.

Die Aufgabe wurde dadurch erleichtert, daß Wanda nicht die Dienste eines Zimmermädchens in Anspruch nahm. Wer von Kind an gewohnt ist, für sich selbst zu sorgen, läßt sich ungern bedienen - das wußte er aus eigener Erfahrung. Auf Santa Croce würde die Dienerschaft getrennt von ihm wohnen, er plante ein extra Gebäude in einigem Abstand zur gräflichen Wohnstatt. Wenn er sie doch einmal benötigte, konnte er sie rufen.

Und wenn Wanda nun nicht allein nach Hause kam?

Dann würde es eben ein Doppelselbstmord sein. Das war gerade in Mode.

Ahimaaz hörte, wie sich der Schlüssel im Türschloß drehte. Schwerelose Schritte.

Sie war allein.

Bei der Erinnerung an den Klang ihrer Stimme, als sie ihn gefragt hatte: »Betrügst du mich auch nicht, mein Lieber?« verzog sich sein Gesicht. Im selben Moment ging die Tür vom Boudoir her einen Spalt auf, und eine schmale Frauenhand nahm den chinesischen Seidenmantel mit aufgesticktem Drachen vom Haken.

Der Moment war verpaßt. Ahimaaz sah durch den Spalt. Wanda stand vor dem Spiegel, hatte das Kleid noch nicht abgelegt, hielt den Kittel in der Hand.

Drei lautlose Schritte, und die Sache wäre getan. Sie würde die hinterrücks aus dem Boden gewachsene Gestalt nicht einmal richtig im Spiegel zu sehen bekommen.

Behutsam schob Ahimaaz die Tür auf und prallte im selben Moment zurück: Soeben hatte die elektrische Klingel angeschlagen.

Wanda ging hinaus in die Diele, wechselte mit irgendwem ein paar Worte und erschien im nächsten Augenblick wieder mit einem Kärtchen in der Hand, das sie aufmerksam betrachtete. Eine Visitenkarte?

Sie stand jetzt Ahimaaz halb zugewandt, und er konnte ein Zucken in ihrem Gesicht sehen. Kurz darauf klingelte es erneut.

Auch diesmal erfuhr er nicht, was in der Diele gesprochen wurde, die Tür nach dort war geschlossen. Doch es dauerte nicht lange, bis Wanda mit ihrem späten Gast das

Boudoir betrat, so daß Ahimaaz jetzt nicht nur alles hören, sondern auch sehen konnte.

Und an dieser Stelle bereitete ihm das Schicksal eine faustdicke Überraschung.

Kaum war der Besucher, ein schlanker junger Mann in modischem Gehrock, in den Lichtkegel der Stehlampe getreten, als Ahimaaz das Gesicht erkannte. Zwar hatte es sich inzwischen deutlich verändert, die jugendliche Weichheit der Konturen verloren - doch es gab keinen Zweifeclass="underline" Er war es. Ahimaaz pflegte die Physiognomie seiner Objekte in Erinnerung zu behalten, vergaß nicht die geringsten Einzelheiten - bei diesem schon gar nicht.

Die Geschichte lag lange zurück. Sie fiel in jene interessante Zeit, da Ahimaaz bei der Organisation »Asasel« fest unter Vertrag stand. Diese Herrschaften wußten durchaus, was sie wollten, und sie zahlten höchste Honorare, doch es waren Romantiker. Was zum Beispiel sollte die strikte Anweisung bezwecken, vor Ausführung jedweder Operation das Wort »Asasel« auszusprechen? Sentimentalitäten. Wobei Ahimaaz der skurrilen Forderung stets nachgekommen war. Vertrag ist Vertrag.

Den schwarzhaarigen Schönling von damals wiederzusehen war für Ahimaaz keine Freude. Vor allem, weil er immer noch munter auf Erden wandelte. In Ahimaaz' Laufbahn waren nur ganze drei Aktionen mißglückt, und nun stand die leibhaftige Erinnerung an einen dieser Fälle vor ihm. Eigentlich hatte er wenig Grund zum Hadern: Drei Fehlschläge in zwanzig Berufsjahren - das ergab eine sehr passable Quote. Doch seine Stimmung, ohnehin nicht die beste, war jetzt endgültig verdorben.

Wie hatte dieser Milchbart noch mal geheißen?

Irgend etwas mit »F«.

»Auf Ihrer Karte, Herr Fandorin, steht: Ich weiß alles. Was alles? Wer sind Sie überhaupt?« fragte Wanda ihn ungehalten.