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Wanda schauderte es, doch im nächsten Moment schüttelte sie schon wieder übermütig ihr frisiertes Haupt.

»Als er vorgestern erfuhr, daß Sobolew kommt - ich dummes Luder hab's ihm selbst erzählt, wollte mich wohl brüsten - da wurde er nicht wieder. Sobolew sei der Erzfeind aller Deutschen, fing er an und hat von irgendeinem Militärputsch gefaselt. >Wenn man Sobolew nicht aus der Welt schaffe, hat er gesagt, >bedeutet das einen großen Krieg!< und Deutschland wäre dafür noch nicht gerüstet. >lch zerbrech mir

den Kopf, wie ich diesem Skythen das Handwerk lege, und plötzlich dieser Zufall!

Das ist die Vorsehung!< Und dann brachte er das Fläschchen mit dem Gift. Er hat mir das Blaue vom Himmel versprochen, aber ich wollte nicht. Da fing er an zu drohen. Ergebärdete sich wie rasend. Ich mochte mich nicht mit ihm zanken und hab es ihm versprochen. Aber ich habe Sobolew das Gift nicht gegeben, Ehrenwort! Er ist von allein gestorben, an Herzschlag. Glaub mir, Nikolai. Ich bin ein mieses Stück, eine zynische Hexe, eine Hure - aber eine Mörderin bin ich nicht.«

Jetzt war in ihren grünen Augen ein Flehen zu erkennen - doch von Erniedrigung keine Spur. Eine stolze Frau. Leider durfte sie nicht am Leben bleiben.

Ahimaaz seufzte und legte ihr die rechte Hand an den entblößten Hals. Der Daumen lag an der Schlagader, der Mittelfinger am vierten Halswirbel, unterhalb der Schädelbasis. Nun mußte er nur noch kräftig zudrücken, und diese klaren Augen, die ihn zutraulich von unten her anblickten, würden trübe werden und erlöschen.

Und da geschah das Unerwartete. Wanda packte Ahimaaz ihrerseits beim Hals, zog ihn zu sich heran und preßte ihre heiße Wange an seine Stirn.

»Bist du es, auf den ich so lange gewartet habe?« flüsterte sie. Ahimaaz sah auf ihren zarten weißen Hals. Ihm widerfuhr etwas Seltsames.

12

Als er im Morgengrauen ging, schlief Wanda fest, den Mund auf kindliche Art leicht geöffnet.

Eine Minute lang hatte Ahimaaz dagestanden, über sie gebeugt, und in der linken Brusthälfte dieses seltsame Ziehen gespürt. Dann war er leise gegangen.

Sie hält dicht! dachte er, während er auf die Petrowka hinaustrat. Wenn sie Fandorin gestern nichts erzählt hatte, würde sie es jetzt noch viel weniger tun. Es gab keinen Grund, sie zu töten.

Doch seine Gefühle waren in Aufruhr. Die Arbeit mit persönlichen Dingen zu vermischen ging nicht an. Solches hätte er sich früher nie gestattet.

Und Jewgenija? gemahnte ihn eine Stimme von da, wo auch das alarmierende Ziehen herkam.

Es war wohl wirklich an der Zeit, sich zur Ruhe zu setzen.

Was letzte Nacht geschehen war, durfte sich nicht wiederholen. Zu Wanda keinerlei Kontakt mehr.

Gab es irgend jemanden, der einen gewissen Kaufmann Klonow, bis gestern im »Metropol« einquartiert, mit der Sängerin des Restaurants »Alpenrose« in Verbindung bringen konnte? Nein. Oder doch: Timofej, der Hoteldiener aus dem »Metropol«. Es war wenig wahrscheinlich, doch Ahimaaz durfte kein Risiko mehr eingehen. Die Sache kostete ihn nicht viel Zeit, und es war sicherer so.

Aha! wisperte die Stimme, der Diener muß sterben, damit Wanda am Leben bleiben darf!

Egal. Dieser deutsche Spion war jedenfalls ein Glücksfall. Herr Fandorin mußte gestern abend auf ihn gestoßen sein, nachdem er Wandas Wohnung verlassen hatte. Tüchtig und aufgeweckt, wie dieser Detektiv war, mußte er sich für den späten Besucher interessiert haben. Und daß die russischen Behörden über den wahren Charakter von Herrn Knabes Tätigkeit gut unterrichtet waren, durfte man annehmen. Offizier eines ausländischen Geheimdienstes - das war nicht irgendwer.

Ein Manöver bot sich an, das hervorragend geeignet war, die polizeilichen Ermittlungen in seichteres Fahrwasser zu lenken.

Und das, ohne Wanda erdrosseln zu müssen! fügte die innere Stimme spitz und gnadenlos hinzu.

Ahimaaz bezog auf dem Dachboden eines Hauses gegenüber von Knabes Wohnung Quartier. Ein geeigneter Ort, um die Fenster im zweiten Stock, wo der Spion residierte, gut einsehen zu können.

Es wurde ein heißer Tag, was Ahimaaz gelegen kam. Zwar hatte sich das Dach, unter dem er hockte, schon gegen acht Uhr morgens so aufgeheizt, daß die Luft in der Kammer schwül wurde, doch kleineren Inkommoditäten gegenüber war Ahimaaz nicht empfindlich. Dafür standen Knabes Fenster sperrangelweit offen. Somit konnte er dessen Verrichtungen, seine Gänge von Zimmer zu Zimmer wie auf dem Präsentierteller verfolgen: Erst rasierte Knabe sich vor dem Spiegel, dann trank er Kaffee, blätterte in den Zeitungen, strich dort mit dem Bleistift etwas an. Nach den munteren Bewegungen und dem Gesichtsausdruck zu urteilen (die Beobachtung erfolgte mit einem zwölffach vergrößernden Binokel), schien der Herr bei vorzüglicher Laune zu sein.

Ein paar Minuten nach zehn trat er unten aus dem Hauseingang und lief in Richtung Petrowskije Worota. Ahimaaz hängte sich an seine Fersen. Dem Äußeren nach durfte man ihn für einen Kontoristen oder Kaufmannsgehilfen halten: Mütze mit rissigem Lackschirm, langer Gehrock aus rustikalem Gewebe, graues Ziegenbärtchen.

Energisch die Arme schwenkend, hatte Knabe in kaum mehr als einer Viertelstunde das Postamt erreicht. Im Inneren des Gebäudes erlaubte sich Ahimaaz, die Distanz etwas zu verringern, und als der Spion zum Telegraphenschalter trat, stellte er sich hinter ihm an.

Fröhlich grüßte Herr Knabe den Schalterbeamten, der offensichtlich nicht zum ersten Mal Telegramme von ihm entgegennahm, und reichte einen Zettel über den Tresen.

»Nach Berlin, Kompagnie Kerbl & Schmidt, wie üblich. Börsendaten. Nur seien Sie so nett, Pantelejmon Kusmitsch«, fügte der Deutsche lächelnd hinzu, »und lassen es nicht wieder Serdjuk telegraphieren. Er hatte beim letzten Mal einen Zahlendreher dabei, den mir meine Vorgesetzten verübelt haben. Nichts für ungut! Geben Sie's Semjonow, der macht es besser.«

»Jawohl, Iwan Jegoritsch«, entgegnete der Beamte in ebenso aufgeräumtem Ton. »Wird gemacht.«

»Ich rechne mit einer baldigen Antwort, drum schaue ich nachher noch mal vorbei«, sagte der Spion und begab sich, den hinter ihm stehenden Ahimaaz mit einem Blick streifend, zum Ausgang.

Knabes Gang war jetzt ein anderer: In gemütlichem Spazierschritt, ein flottes Liedlein pfeifend, lief er das Trottoir entlang. Ein Mal nur vergewisserte er sich auf routinierte Weise, ob ihm auch niemand folgte. Wohl eher aus Gewohnheit - es sah nicht so aus, als vermutete er eine Überwachung.

Dabei wurde er tatsächlich überwacht, und das nicht ungeschickt. Auch Ahimaaz war es nicht sogleich aufgefallen. Nur daß der Fabrikarbeiter auf der anderen Straßenseite etwas zu konzentriert die Auslagen der noblen Geschäfte beäugte, die seinem Geldbeutel gewiß nicht entsprachen. Es war klar, daß er im Spiegel der Schaufensterscheibe seine Beobachtungen anstellte. Und etwa fünfzig Schritt hinter ihnen fuhr im Schildkrötentempo eine Droschke. Ein Passant wollte einsteigen und wurde abgewiesen, einem zweiten erging es kurze Zeit später ebenso. Für eine Droschke recht sonderbar.