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Kapitel 2

»Bruder Eadulf, der König erwartet dich.«

Capa, der Krieger, der die Leibgarde des Königs von Muman befehligte, begrüßte den sächsischen Mönch, als dieser den Vorraum zu den königlichen Gemächern in der alten Burg von Cashel betrat. Er war ein großer und schöner Mann mit hellem Haar und blauen Augen und trug seinen goldenen Amtsschmuck mit zurückhaltendem Stolz. Als Eadulf betrübt durch den Empfangsraum schritt, warf er ihm kein Lächeln zu. Auch die Würdenträger, die einzeln oder in Zweiergruppen darauf warteten, zum König gerufen zu werden, taten nichts dergleichen. Sie kannten Bruder Eadulf, doch nun blickten sie bedrückt nach unten und vermieden die Begrüßung. In seiner Geistesabwesenheit bemerkte Eadulf sie gar nicht.

Capa trat auf eine hohe Eichentür zu, klopfte rücksichtsvoll an und öffnete sie, ohne auf Antwort zu warten.

»Tritt ein, Bruder Eadulf«, forderte er ihn mit leiser und sanfter Stimme auf, als würde er ihm sein Beileid bekunden.

Bruder Eadulf schritt über die Schwelle. Leise wurde die Tür hinter ihm geschlossen.

Colgu, König von Muman, noch jung und mit glänzendem rotem Haar, stand breitbeinig und mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor einem großen Kamin, in dem ein Feuer knisterte. Sein Gesicht war ernst. Als Bruder Eadulf den Raum betrat, ging der König mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Er wirkte sehr besorgt, und seine grünen Augen, die sonst fröhlich funkelten, schienen farblos und leer.

»Tritt ein, Eadulf«, sagte er und griff nach der Hand des Sachsen. »Tritt ein, setz dich. Nicht so förmlich. Wie geht es meiner Schwester?«

Bruder Eadulfs Gesten wirkten etwas hilflos, als er mit eingesunkenen Schultern Platz nahm.

»Gott sei Dank, zum erstenmal seit Tagen schläft sie richtig«, sagte er. »Um ehrlich zu sein, ich mache mir große Sorgen um ihre Gesundheit. Seit wir aus Rath Raithlen zurück sind und deinen Boten mit der unheilvollen Nachricht vor dem Kloster von Finan dem Aussätzigen antrafen, hat sie kein Auge mehr zugetan.«

Colgu seufzte tief und ließ sich ihm gegenüber auf einen Stuhl sinken.

»Ich bin ebenfalls sehr besorgt. Meine Schwester läßt ihre Gefühle nie nach außen dringen, weil sie glaubt, es schicke sich nicht, andere an ihren inneren Regungen teilhaben zu lassen. Das ist unnatürlich.«

»Mach dir keine Gedanken«, erklärte Eadulf. »Unter uns gesagt, sie hat sich in den letzten beiden Nächten geradezu die Augen ausgeweint. Aber erwähne das ihr gegenüber bloß nicht, denn wie du schon sagtest, sie möchte gern vor anderen so wirken, als würde sie nie die Beherrschung verlieren.«

»Sogar vor ihrem eigenen Bruder?« Colgu verzog das Gesicht. »Nun, zumindest dir gegenüber hat sie ihren Gefühlen freien Lauf gelassen.« Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er trübsinnig: »Ich glaube, ich bin für das große Leid verantwortlich, das unsere Familie getroffen hat.«

Eadulf zog fragend eine Augenbraue hoch. »Welcher Art sollte deine Schuld denn sein?«

»Habe ich nicht Fidelma dazu überredet, nach Rath Raithlen zu reiten und ihren Sohn der Obhut der Amme Sarait anzuvertrauen? Sarait wurde ermordet und Alchu, mein Neffe, wurde entführt.«

Bruder Eadulf schüttelte den Kopf. »Du hast das Unheil nicht voraussehen können, weshalb solltest du schuldig sein? Du wußtest doch ebensowenig wie wir, was in unserer Abwesenheit geschehen würde. Woher solltest du ahnen, daß unser Sohn«, ganz unmerklich betonte er Fidelmas Bruder gegenüber demonstrativ das Wörtchen >unser<, »entführt werden würde?«

Doch er konnte Colgu damit nicht beruhigen. Der ging nicht einmal näher auf Eadulfs Bemerkung ein.

»Fidelma schläft jetzt also?«

Bruder Eadulf nickte. »Mit Hilfe eines kleinen Beruhigungsmittels, das ich zubereitet habe - einem Aufguß aus wilden Stiefmütterchen, Helmkraut und Maiglöckchen.«

»Ich verstehe nichts von Apothekerkünsten, Eadulf.«

Eadulf lächelte. »Die wenigen Heilkenntnisse, über die ich verfüge, habe ich an der medizinischen Hochschule von Tuam Brecain gelernt, im Königreich von Breifne.«

Colgu lächelte müde. »Ach ja. Ich vergaß ganz, daß du an unserer größten medizinischen Hochschule studiert hast. Meine Schwester schläft also? In welcher Gemütsverfassung befindet sie sich?«

»Wie nicht anders zu erwarten ist sie zutiefst erschüttert und steht Todesängste aus. Am Anfang hat sie kaum begriffen, was geschehen ist, aber in den letzten beiden Tagen hat sie in der Gegend, wo Sarait ermordet und Alchu entführt worden ist, Nachforschungen angestellt. Sie hat mit verschiedenen Leuten gesprochen, doch dabei ist nichts herausgekommen. Es ist, als sei das Kind mitsamt dem Täter wie vom Erdboden verschluckt.«

»Was für ein finsteres Verbrechen«, sagte Colgu leise.

Er erhob sich und kehrte zum Kamin zurück. Wieder stand er breitbeinig und mit auf dem Rücken verschränkten Händen da, so wie er Eadulf empfangen hatte.

Nach einer Weile sagte er: »Eadulf, ich habe dich rufen lassen, weil ich in dieser Angelegenheit den Kronrat, meine engsten Berater, zu mir gebeten habe. Ich halte es für klüger, die Sache ohne meine Schwester zu erörtern.« Er zögerte. »Meine Schwester ist viel zu mitgenommen von dem Ganzen. Ich habe bemerkt, wie verstört sie in den letzten beiden Tagen herumgelaufen ist. Hierhin und dorthin ist sie geeilt und hat Aussagen überprüft, ohne je richtig über die Dinge nachzudenken. Ihr Herz ist von Sorge um ihr Kind erfüllt.«

Bruder Eadulf fühlte sich ein wenig schuldig. Zwei Tage lang hatte er alles versucht, um Fidelma zur Ruhe zu bringen. Colgu hatte recht, ihr Zustand grenzte fast an Raserei. Dennoch wandte er ein: »Fidelma ist eine ausgebildete und qualifizierte ddlaigh, Colgu. Du weißt, welch hohes Ansehen sie genießt. Wenn Fidelma diesen Fall nicht lösen kann, wer dann?«

Der König gab Eadulf mit einer hilflosen Geste zu verstehen, daß er eigentlich recht hatte.

»Ja, ja. Meine Schwester wird inzwischen in allen fünf Königreichen von Éireann für ihre besonderen Fähigkeiten bei der Lösung von mysteriösen Kriminalfällen, die kein anderer sonst enträtseln könnte, hochgeschätzt. Und auch dein Name, Eadulf, ist unmittelbar damit verbunden. Doch wir reden hier von ihrem Kind.«

»Und meinem«, warf Eadulf nachdrücklich ein.

»Natürlich. Aber eine Mutter - jede Mutter - hat Gefühle, die manchmal jegliche Vernunft ausschalten können, wenn es um das eigene Kind geht. Als ich den Suchtrupp losschickte, mußte ich mich ganz auf deine Beschreibung der fehlenden Kindersachen verlassen, sonst hätten wir nicht gewußt, wie Sarait den Jungen an jenem Abend angezogen hatte. Fidelma brachte es nicht über sich, seine Kleidung durchzusehen.«

Stillschweigend stimmte Eadulf ihm zu. Er hatte die kleine Truhe durchforstet, in der Alchus Babykleider aufbewahrt wurden.

»Nun, Eadulf«, fuhr Colgu fort, »du bist der Vater. Das ist richtig. Ein Mann reagiert immer besonnener als eine Frau, und du im besonderen, Eadulf. Seit ich dich kenne, wirkst du wie ein Fels in der Brandung, gerade in stürmischen Zeiten. Ausgeglichen und beherrscht.«

Eadulf seufzte tief auf. Er fand nicht, daß er zur Zeit ausgeglichen und beherrscht war, aber er stimmte mit dem jungen König überein, daß Fidelma in den beiden letzten Tagen ihre ganze Professionalität als Ermittlerin von Verbrechen eingebüßt hatte. Da er sich aber mit Fidelma seelisch sehr verbunden fühlte, wäre es ihm wie ein Betrug an ihr vorgekommen, wenn er Colgu beigepflichtet hätte.

»Was schlägst du vor?« fragte er leise.

»Daß der Kronrat zusammentritt und wir gemeinsam - meine Ratgeber, du und ich - alles zusammentragen, was wir über den Tathergang wissen. Zuerst die Fakten. Dann reden wir über die Möglichkeiten, die zur Ergreifung des Täters führen können. Die anderen warten schon draußen. Ist das in deinem Sinne, Eadulf?«

Bruder Eadulf dachte einen Moment nach und zuckte dann mit den Schultern.