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Nun quollen all ihre Ängste, Hoffnungen und Sorgen aus ihr heraus, als sei ein Staudamm gebrochen.

Als Fidelma schwieg, fand Della noch eine ganze Weile keine Worte.

»Das einzige, was ich gelernt habe, Lady Fidelma, ist, nie jemandem einen Rat zu geben, wenn es um die Beziehung zwischen Mann und Frau geht«, sagte sie schließlich. »Deinen Worten entnehme ich, daß der Sachse es so wollte. Er muß die größere Verantwortung tragen. Gibt es nicht das alte Sprichwort in unserem Volk, daß ein Mann, der eine Frau aus einem engen Tal heiratet, das ganze Bergtal heiratet? War deinem Mann nicht klar, daß er mit dir auch deine Herkunft heiraten würde und damit akzeptieren muß, daß du eine Eoghanacht bist?«

»Vielleicht hat er vorher nicht geahnt, was damit alles verbunden ist.«

»Dafür kann er aber nicht dir die Schuld geben, Lady Fidelma.«

»Er ist hier nicht glücklich, Della, und in seinem Land könnte ich nicht glücklich sein.«

»Es gibt immer einen Kompromiß.«

»Doch wie soll der aussehen?«

»Das mußt du mit deinem Mann herausfinden.«

»Das ist nicht so einfach.«

»Vielleicht, weil du mit dem Verstand nach einer Lösung suchst. Manchmal klären sich emotionale Dinge am schnellsten, wenn man sich von seinen Gefühlen leiten läßt. Wenn du siehst, was du zur Wahl hast, ist immer noch Zeit genug, dich zu entscheiden.«

Fidelma schüttelte den Kopf. »Wo einen das Herz hinführt, muß auch der Verstand hingehen.«

»Du magst das Problem mit dem Verstand betrachten, Lady Fidelma, aber die Wahrheit erschließt sich dir nur durch deine Gefühle. Das Gefühl hat die Menschen gelehrt, die Vernunft zu gebrauchen.«

Auf einmal erhob sich Fidelma und lächelte. »Du bist eine kluge Frau, Della.«

Della stand auch auf. »Die Klugheit hat mich nicht gerade reich gemacht.«

»Klugheit übersteigt allen Reichtum, Della.«

»Das mag schon sein, doch bisher bin ich eine ehemalige bé-tâide, die man verdächtigt, mit Saraits Mord zu tun haben.«

Fidelma blickte Della in die Augen.

»Mein Instinkt sagt mir, daß du nichts damit zu tun hast. Er sagt mir aber noch etwas anderes - nämlich, daß du mir etwas verheimlichst.«

Della errötete. »Ich kann dir versichern, daß ich weder etwas mit der Ermordung von Sarait noch mit dem Verschwinden deines Babys zu tun habe.«

Fidelma senkte einen Augenblick den Kopf.

»Ich glaube dir so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist«, sagte sie leise, ehe sie sich zur Tür umwandte. Dann blieb sie stehen und fügte hinzu: »Versprich mir, Della, daß du niemandem verrätst, daß der Umhang fehlt und ich dich danach gefragt habe.«

Della lächelte gequält.

»Das tue ich gern. Ich wußte ja bis jetzt nicht einmal, daß er fehlt. Die Sache mit dem Umhang soll unser Geheimnis bleiben.«

Fidelma lächelte.

»Versprochen«, verkündete sie leise, ehe sie verschwand.

Kapitel 10

Während des Frühstücks saß Fidelma Eadulf gegenüber. Es gab Ziegenmilch, frischgebackenes Brot, Käse und Äpfel. Sie hatte ihm die Einzelheiten ihres Treffens mit Della nicht anvertraut. Doch hatte sie ihm von dem Jungen am Gasthaus berichtet und ihm mitgeteilt, daß Della einmal einen grünen Seidenum-hang besessen hatte. Sie hatte auch das Auftauchen von Gorman erwähnt, aber alles andere hatte sie verschwiegen. Eadulf hatte auch nicht weiter gefragt. Er war gestern abend erst spät wieder in ihre Räume zurückgekehrt, Fidelma war bereits eingeschlafen. Er hatte lange in der Bibliothek der Burg gesessen, weil ihm eine Kopie der Historia Francorum, eine Geschichte der Franken von Bischof Gregor von Tours, in die Hände gefallen war, in die er sich wißbegierig vertieft hatte. Der Schreiber in der Bibliothek hatte ihm erklärt, daß dieses Buch zu den letzten gehörte, die in dem großen Kopistenzentrum von Alexandria angefertigt worden waren. Mit viel Schwung und Begeisterung breitete der Bischof die Geschichte der Franken vor dem Leser aus. Eadulf stellte bald fest, daß Gregor gar kein Franke war, sondern ein Gallier, ein romanisierter Gallier, der nicht so sehr über den Dingen stand, daß er die Gewohnheiten der Franken mitunter kritisierte und sein eigenes Volk pries. Über der Lektüre war rasch die Zeit verstrichen.

»Was können wir also tun?« fragte Eadulf nun am Frühstückstisch, während er sich Ziegenmilch eingoß.

»Außer abzuwarten, bleibt uns nicht viel«, erwiderte Fidelma. »Wollen wir hoffen, daß wir bald etwas von den Entführern hören.«

»Meinst du, daß sie sich melden?«

»Wenn Alchu wirklich entführt wurde und ihn seine Entführer ernsthaft austauschen wollen - dann ja. Doch vorher können wir nichts unternehmen. Außerdem hat mich der alte Conchobar gefragt, ob ich nicht heute vormittag mit ihm brandubh spiele. Vermutlich weiß er, daß ich ein wenig Ablenkung nötig habe.«

Brandubh - schwarzer Rabe - war ein altes Brettspiel, das Eadulf zu seinem Stolz recht gut beherrschte. Es hieß, daß damals, bevor sich der neue Glaube in den fünf Königreichen durchgesetzt hatte, Lugh, der Gott der Künste und des Handwerks, dieses Spiel erfunden hätte. Könige und Helden galten zu der Zeit erst wirklich etwas, wenn sie dieses Spiel meisterlich beherrschten.

Conchobar war der bejahrte Apotheker und Arzt von Cashel. Er kannte Fidelma von Geburt an.

»Du könntest ihn fragen, ob er nicht herauszufinden vermag, wo Alchu steckt«, sagte Eadulf in bitterem Ton, denn Conchobar war nicht nur Arzt, sondern er verstand sich auch auf die Sterndeutung. Medizin und Astrologie wurden oft von einer Person zugleich ausgeübt. Das Studium der Gestirne, nemgnacht, war in Éireann eine alte Wissenschaft. Es war sehr verbreitet, daß diejenigen, die es sich leisten konnten, sich von dem Zeitpunkt, an dem ihre Kinder geboren wurden, eine Sternenkarte anfertigen ließen, eine nemindithib, die einem Horoskop glich.

»Das ist gar nicht so lustig«, entgegnete Fidelma mürrisch.

Eadulf lehnte sich zurück und betrachtete sie nachdenklich.

»Wer sagt denn, daß ich mich darüber lustig mache?« erwiderte er. »Eure Astrologen behaupten doch, alle möglichen Geheimnisse aufzudecken und sogar Menschen finden zu können, nicht wahr?«

Fidelma erhob sich plötzlich. Ihr Mund war ganz schmal.

»Ich gehe jetzt zu Conchobar und spiele mit ihm eine Partie brandubh

Sie stürzte geradezu aus dem Raum und schlug die Tür hinter sich zu.

Eadulf schniefte verwirrt und rekelte sich. Alles, was er sagte, schien Fidelma aus der Fassung zu bringen. Dabei war seine Bemerkung durchaus ernst gemeint gewesen. Er wußte, daß Fidelma die alten Traditionen und Bräuche ihres Volkes nicht völlig abtat. Conchobar selbst hatte ihm anvertraut, daß sie ein ausgesprochenes Talent für das Erstellen von Horoskopen besaß und daß diese Fähigkeiten mehrmals zur Lösung von rätselhaften Fällen beigetragen hatten. Eadulf hatte sie nicht ärgern wollen, als er sagte, man könne vielleicht mit Hilfe einer astrologischen Sternenkarte herausfinden, wohin Alchu entführt worden war.

Langsam beendete er das Frühstück und stand schweren Herzens auf. Was sollte er heute tun? Unter den gegebenen Umständen wollte er die kostbare Zeit nicht mit Lesen verschwenden, sondern lieber überlegen, wie man am besten weiter vorging. Er trat zum Fenster und blickte über die grauen Mauern der Burganlage hinweg. Es war ein strahlender Spätherbsttag. Am blauen Himmel konnte er keine einzige Wolke entdecken, und kalt war es auch nicht sonderlich. Nor-malerweise war es eisig, und Reif überzog den Boden, wenn zu dieser Jahreszeit der Himmel so klar war.

Von seinem Fenster konnte er nach Süden blicken, wo sich die Wälder hinter der Stadt bis zum fernen Fluß Suir erstreckten.