»Und du bist?« fragte Fidelma, setzte sich hin und betrachtete ihn mit regloser Miene.
»Ich bin Cuirgi von Ciarraige. Das sind meine Cousins Cuan und Crond.«
»Nehmt Platz, wir werden uns unterhalten«, sagte Fidelma und winkte dem Wärter, daß er gehen könne. Überrascht sahen sich die Ui Fidgente an.
»Hast du keine Angst, mit den Todfeinden deines Volkes allein zusammenzusein?« höhnte Cuirgi.
»Müßte ich denn Angst haben?« erwiderte Fidelma.
Auf einmal fiel den Männern auf, daß sie immer noch vor ihr standen. Cuirgi setzte sich prompt hin und rekelte sich arrogant. Er antwortete einfach nicht auf ihre Frage.
»Und, Fidelma von Cashel, bist du gekommen, um uns zu belehren?« fragte er, und in seiner Stimme lag immer noch ein höhnischer Ton. »In welcher Rolle bist du eigentlich hier? Als eine Prinzessin der Eogha-nacht? Als Nonne? Oder als ddlaigh?«
Fidelma verschränkte die Hände auf dem Schoß. »Als Mutter komme ich.«
Cuan, einer der jüngeren Männer, lächelte düster.
»Wir haben gehört, daß du dich mit irgendeinem Ausländer zusammengetan und ihm einen Balg geschenkt hast.«
Die Farbe von Fidelmas Augen schien auf einmal von grün zu einem kalten Blau zu wechseln. Ihr Blick ließ das Lächeln im Gesicht des Mannes erstarren.
»Ich bin mit Eadulf von Seaxmund’s Ham aus dem fernen Land des Südvolks hinter dem Meer verheiratet«, sagte sie ruhig. »Unser Sohn heißt Alchu.«
»Und was haben deine familiären Umstände mit uns zu tun, Fidelma von Cashel?« fragte Cuirgi.
»Habt ihr gehört, was mit meinem Sohn geschehen ist?«
Zu ihrer Überraschung sahen die Männer sie verständnislos an. Cuirgi sprach: »Wir bekommen hier in unserem Kerker nur wenig mit. Was treibst du für ein Spiel mit uns?«
Fidelma beherrschte sich.
»Heißt das, daß ihr weder durch Gerede in der Burg noch über andere Wege erfahren habt, was in der letzten Woche geschehen ist?«
Cuirgi beugte sich angriffslustig vor.
»Du - eine Eoghanacht - stellst das Wort eines Ui Fidgente in Frage? Sage, was du zu sagen hast, und dann geh wieder.«
»Nun gut. Mein Sohn ist entführt worden. Offenbar wird er von euren Anhängern festgehalten, die mit ihm eure Freilassung erwirken wollen.«
Ganz offensichtlich verstellten die Männer sich nicht, sie waren wirklich verblüfft.
Cuirgi, der anscheinend ihr Anführer war, gewann als erster die Fassung wieder.
»Du bringst uns da gute Nachrichten, Fidelma von Cashel.«
»Ihr werdet freigelassen.«
Die beiden jüngeren Krieger stießen Freudenschreie aus.
»Ihr werdet freigelassen und dürft nach Norden in eure Heimat reiten. Eure Verbündeten haben versprochen, meinen Sohn zurückzugeben, sobald ihr die Berge überquert habt. Ihr wußtet nichts von dem Plan?«
Cuirgi lächelte triumphierend und ging nicht auf ihre Frage ein.
»Wann können wir aufbrechen?«
»Welche Garantie haben wir, habe ich, daß eure Verbündeten zu ihrem Wort stehen?«
»Das Wort der Ui Fidgente gilt genausoviel wie das einer Eoghanacht!« fuhr Cuan sie an.
Fidelma erwiderte schroff: »Dann hat sich der Wert eines Versprechens der Ui Fidgente geändert, denn als euer Prinz Eoganan meinem Bruder einen Eid schwor, verging kaum ein Jahr, und er führte wieder die Ui Fidgente an, um Colgu vom Thron von Muman zu stoßen. Ich möchte mich hier nicht über die Wertigkeit eines Versprechens der Ui Fidgente und der Eog-hanacht streiten. Ich bin hier, um herauszufinden, ob die Zusage, die eure Anhänger gaben, gilt oder ob sie falsch ist. Schließlich ist mein Sohn das Pfand in diesem Spiel.«
Cuirgi lehnte sich wieder zurück und sah sie nachdenklich an. Dann zuckte er mit den Achseln.
»Wie gesagt, wir kennen diese Verbündeten nicht. Wir haben keine Ahnung von ihren Plänen. Aber es ist gut zu hören, daß bei unserer Niederlage bei Cnoc Äine nicht die ganze Mannhaftigkeit der Ui Fidgente untergegangen ist. Wenn sie zu solchen Mitteln gegriffen haben, um uns aus den grauen Kerkermauern von Cashel zu befreien, dann singt mein Herz ganze Lobeshymnen auf sie, und ich sage, was immer sie auch tun, ich bin dabei.«
Fidelmas Augen wurden zu zwei glühenden Spitzen.
»Nun gut. Wenn du auf eure Verbündeten triffst, Cuirgi von Ciarraige, dann richte ihnen folgendes von mir aus - sie müssen sich an ihr Versprechen halten und mir Alchu wohlbehalten übergeben. Wenn sie auch nur daran denken sollten, das nicht zu tun, so schwöre ich, werde ich sie bei allem, was mir heilig ist, jagen und niederstrecken lassen. Jeden von ihnen, und jeden einzelnen Sohn von ihnen - bis ins jüngste Glied werde ich sie auslöschen, damit es nicht einen mehr geben wird, der sich an sie erinnern kann.«
Ihre Stimme war leise, aber so kalt, daß die Aufrichtigkeit ihrer Worte nicht angezweifelt werden konnte. Cuirgi war von der Vehemenz ihres Auftretens überrascht.
»Eine Nonne, die Flüche ausstößt?« Es sollte spöttisch klingen, tat es aber nicht.
»Es ist nicht die Nonne, sondern die Mutter, die hier flucht«, erwiderte Fidelma leise. »Und falls du Zweifel haben solltest, so kenne ich mich in den alten Bräuchen genausogut aus wie in den neuen. Ich werde keine Gewissensbisse haben und mir keinerlei Zurückhaltung auferlegen, den glam dicin zu verkünden.«
Cuirgis Kiefer klappte nach unten.
»Aber das ist vom neuen Glauben ausdrücklich untersagt worden.«
Die drei Stammesfürsten der Ui Fidgente entdeckten etwas in ihren Augen, das sie unfreiwillig erschauern ließ.
»Es gibt viele Dinge, die der neue Glaube nicht billigt, Cuirgi«, sagte sie ruhig. »Mißbilligung allein heißt nicht, daß diese Dinge sich in Luft auflösen oder daß man sie nicht mehr anwendet. Vor tausend und abertausend Jahren kannten unsere Druiden die Macht des glam dicin und haben diesen Brauch weitergereicht. Was sind wir Nonnen und Mönche denn anderes, als Druiden in neuem Gewand?«
Ein glam dicin war ein mächtiger Zauberspruch, der sich gegen eine oder mehrere Personen richtete - ein Fluch, der sehr gefürchtet wurde, denn er bewirkte, daß die Verfluchten voller Schmach erkrankten oder gar starben und sogar ihre Wiedergeburt im Jenseits verhindert wurde. Menschen, die unter dem Bann des glam dicin standen, wurden von ihren Familien und von allen Schichten der Gesellschaft verstoßen, und sie waren dazu verurteilt, als Ausgestoßene ein Leben ohne Hoffnung in dieser oder in der nächsten Welt zu fristen, bis der Zauberbann wieder aufgehoben wurde. Es war ein Zauberspruch aus uralten Zeiten, noch vor Anbeginn der Zeit überhaupt.
»Das würdest du nicht tun«, murrte Cuirgi, aber seine Stimme klang nicht zuversichtlich.
»Falls du glaubst, ich würde vor irgendeinem Mittel zurückschrecken, mein Baby zu schützen, kennst du den Schmerz einer Mutter nicht, deren Kind in Gefahr ist«, erwiderte Fidelma unbeeindruckt.
Cuirgi musterte sie eindringlich, dann zog er die Schultern hoch.
»Wenn wir auf unsere Befreier treffen, werde ich ihnen deine Botschaft ausrichten.«
Fidelma erhob sich.
»Dann sucht eure Sachen zusammen. Der Wärter wird euch gleich zu den Toren bringen. Man wird euch bis zur Straße nach Norden begleiten.«
Noch ehe die Männer antworten konnten, hatte Fidelma die Zelle verlassen.
Der Gefängniswärter führte sie aus dem Duma na nGiall in den Burghof. Fidelma ging sogleich in ihre Gemächer und goß sich einen Becher corma ein. Sie leerte ihn in einem Zug. Sie fühlte sich erschöpft und war über sich wütend, denn sie hätte nie geglaubt, jemals so weit gehen und mit der Verkündung eines glam dicin drohen zu müssen. Wenn Bischof Ségdae, der ein aufrichtiger und fortschrittlicher Vertreter des neuen Glaubens war, davon etwas zu Ohren bekäme, konnte sie exkommuniziert werden. Die Lage war ziemlich ernst. Ihr Zorn hatte sie überwältigt. Ihr war kein anderes Mittel eingefallen, mit dem sie den Ui Fidgente hätte drohen können.