Basil Nestorios tat die Sache mit einem Schniefen ab. »Das ist das Dogma von Rom und Konstantinopel. Sie sprechen sogar von den drei göttlichen Naturen neben der menschlichen - der von Gott, Christus und dem Heiligen Geist.«
»Nun, die Menschen hier haben kein Problem damit, an dreieinige Götter und Göttinnen zu glauben, da können sie auch leicht die Heilige Dreifaltigkeit akzeptieren.«
Basil Nestorios schüttelte traurig den Kopf. »Wir glauben, daß es in Christus eine göttliche und eine menschliche Natur gibt, die sich aber nicht zu einer Person verbunden haben.«
»Das sind altbekannte Argumente«, entgegnete Eadulf. »Hat nicht Arius behauptet, daß Christus nicht vollkommen göttlich war, sondern von Gott geschaffen wurde, um uns zu erlösen? Und da gibt es noch die Gnostiker, die behaupten, daß Christus nie ein Mensch war, seine menschliche Erscheinung nur eine Illusion war, damit er unter den Menschen leben konnte. Außerdem sind da noch jene, die meinen, daß Christus ein ganz normaler Mann gewesen sei, der von Gott an Sohnes Statt angenommen wurde, als er im Jordan getauft wurde. Es gibt viele solcher Theorien.«
Basil Nestorios schien unbeeindruckt zu sein.
»Maria kann nicht die Mutter eines Gottes sein, weil sie selbst aus menschlichem Fleisch und Blut war und nichts Göttliches gebären konnte. Doch die Leute, schwach und menschlich wie sie waren, lehnten die logischen Gedankengänge von Nestorios ab.«
»Was geschah dann?«
»In der Stadt Ephesus tagte im Jahre 431 eine Synode, und Bischof Cyril exkommunizierte Nestorios und seine Anhänger. Kaiser Theodosius wies Nestori-os aus dem Land. So hat sich unsere Kirche, das sind all jene, die den Lehren von Nestorios anhängen, verselbständigt und ist gewachsen. Wir haben den Glauben bis tief in den Osten verbreitet, bis hinter die große Gebirgskette, die die fremden und exotischen Länder dahinter beschützt. Wir haben die Lehre durch die Wüsten getragen, und Jundishapur ist eines der größten Zentren unserer Lehre.«
Eadulf war fasziniert. »Ich habe noch nie von dieser Kirche gehört, deren Namen du trägst.«
»Nun ja, mein Freund, ich hatte auch nicht gewußt, daß die Kirche in diesem Land hier sich so von dem Diktat Roms abhebt. Man kann nicht alles auf Erden kennen. Aber wir müssen unseren Verstand offen halten und empfänglich sein für das, was wir erfahren können.«
»Da stimme ich dir zu.«
Gorman war mit den Vorbereitungen zum Frühstück fertig.
»Ich habe euch nicht ganz folgen können«, gestand er. »Ich kann nur ein paar Worte Latein. Vermutlich habt ihr euch über theologische Dinge unterhalten, nicht wahr?«
Eadulf lächelte. »Das klingt ja nicht gerade begeistert.«
Gorman griff nach dem corma. »Religion immer dann, wenn sie dran ist, Bruder Eadulf.«
»Und das wäre?«
»Gewöhnlich in Zeiten der Not. Es gibt doch das alte Sprichwort, wenn es allen gut geht, sieht man von keinem Altar Rauch aufsteigen, nicht wahr? Ich wende mich wie jeder andere der Religion zu, wenn es vonnöten ist.«
Eadulf schaute ihn mißbilligend an. »Eine sehr pragmatische Haltung.«
Gorman sah über das Wasser hinüber, wo immer noch dunkel und finster der Turm auf der Insel stand.
»Die Fackeln schwelen nur noch«, stellte er fest. »Sie sind abgebrannt. Die Tore stehen noch offen. Das bedeutet, daß dort niemand mehr herumläuft. Wenn die Ebbe einsetzt, können wir hinübergehen und die Habseligkeiten unseres fremden Freundes holen.« Er zeigte auf Basil Nestorios.
»Sehr gut. Von welcher Siedlung hast du gestern nacht gesprochen? Wenn man uns dort etwas über Daire Donn sagen kann, könnten wir unsere nächsten Schritte festlegen.«
»Ich werde hinreiten, ihr brecht das Lager hier ab«, stimmte ihm der junge Krieger zu.
Es verstrich einige Zeit, bis er wiederkehrte. Er preschte heran, als würde ihn jemand verfolgen. Vor ihnen riß er abrupt die Zügel herum und sprang vom Pferd.
»Was ist los?« rief Eadulf und sah besorgt hinter ihn.
»Ich mußte mich beeilen, um euch zu warnen«, erwiderte Gorman. »Die Leute wollen Uamans Turm plündern und dann niederbrennen, jetzt, wo sie wissen, daß er keine Gefahr mehr für sie darstellt. Sie bereiten sich zum Aufbruch vor, trinken sich Mut an und feiern ausgelassen. Wir müssen vorher zum Turm und alles retten, was wichtig ist.«
Eadulf schaute zu Basil Nestorios und dolmetschte ihm rasch, was er erfahren hatte.
»Und wir müssen vorher diesen Krieger aus der Zelle holen«, fügte Basil Nestorios hinzu. »Ich hätte ihn fast vergessen. Er kann uns nicht mehr gefährlich werden. Ich möchte nicht, daß noch jemand stirbt. Noch wertvoller ist meine Kiste mit der Medizin. Die sollte lieber nicht in die Hände von Leuten fallen, die ihren Wert nicht einschätzen können.«
Gorman hatte sein Pferd neben Eadulfs angebunden.
»Laßt uns aufbrechen. Uaman hat diese Gegend mit eiserner Hand regiert«, meinte er und drehte sich um. »Als ich den Leuten in der Siedlung erzählte, daß er tot ist, wurden sie vor Freude ganz ausgelassen. Diese Freude schlug bald in Zorn um. Also sollten wir uns beeilen. Das Wasser steht jetzt so niedrig, daß wir hinüberkönnen.«
»Nehmen wir die Pferde mit?«
»Es ist besser, wenn wir sie hierlassen. Wir müssen ja noch andere Tiere vom Turm herführen. Und der Dünen weg wird für sie nicht leicht werden. Die Bewohner der Siedlung werden bald hier sein.«
Als sie über die Sanddüne zum Turm hinübereilten, mußte Eadulf noch einmal an Uamans Untergang denken. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken, die Leiche des Leprakranken war ganz in der Nähe in den weichen Sand hinuntergezogen worden. Er zitterte unwillkürlich und blickte zu Gorman, der voranging.
»Konntest du nach den Bergen fragen, in denen es angeblich spukt?«
Der Krieger zeigte ein breites Lächeln.
»Keine Sorge, Bruder. Das habe ich gleich als erstes erledigt. Und ich hatte auch Erfolg.«
Eadulfs Herz fing an zu klopfen.
»Und?« fragte er ungeduldig.
»Ihnen war Daire Donn bekannt. Einer alten Legende nach war er der König der Welt und ging mit einer großen Armee auf dieser Halbinsel an Land. Der General des Hochkönigs, Fionn Mac Cumhail, stellte sich ihm entgegen, und es kam am Ende der Halbinsel bei dem Ort Fionntragha zu einer blutigen Schlacht.«
»Wie hilft uns das weiter?« fragte Eadulf ungeduldig.
»Daire Donn wurde besiegt und seine Armee geschlagen. Aber er hatte eine Tochter, die wahnsinnig wurde, als sie ihren Vater niedergemetzelt auf dem Schlachtfeld fand, und in die Berge floh. Es heißt, daß ihr Geist dort umgehen soll.«
»Weiter«, bedrängte Eadulf ihn.
»Diese Tochter hieß Mis.« Gorman zeigte mit dem Daumen hinter sich. »Die Bergspitzen dort sind nach dem höchsten Berg benannt, dem Sliabh Mis - dem Berg von Mis. Dein Sohn befindet sich in diesem Gebirge.«
Eadulf blieb stehen und sah sich um. Seine Augen blickten auf die Gipfel hinter sich, von denen einige bestimmt tausend Meter hoch waren.
»Irgendwo dort, irgendwo in diesen Bergen ist Alchu«, flüsterte er. »Aber wo? Wie sollen wir einen einzelnen Schäfer in solch einem Gebiet nur finden?«
»Es scheint einen Weg zu geben«, verkündete Gorman. »Hinter uns Richtung Norden befindet sich ein Tal, dessen Zugang durch einen alten, aufrecht stehenden Stein markiert wird. Wir folgen dem Fluß in diesem Tal so lange, bis wir an einer Furt einen weiteren Stein finden, auf dem eine Inschrift in der alten Sprache Ogham steht. Man hat mir gesagt, daß ich dort auf einen alten Mann namens Ganicca treffen kann. Angeblich kennt er die Berge sehr gut. Wir werden ihn fragen.«
Eadulf jauchzte vor Freude. Dann erklärte er dem Arzt, was Gorman erzählt hatte.
»Wohin wirst du reisen, wenn wir von hier aufbrechen?« fragte er ihn dann.