Выбрать главу

Poirot unterbrach sie. »Einen kleinen Moment. Waren Sie bis dahin alle zusammen?«

»Nein. Ich war die meiste Zeit mit meinem Bruder Raymond und Miss King zusammen. Dann ging ich allein weiter.«

»Vielen Dank. Sie sagten, dass Sie ins Camp zurückkehrten. Um welche Uhrzeit war das?«

»Ich glaube, es war ziemlich genau zehn Minuten nach fünf.«

Poirot notierte sich »C.B. 17.10«.

»Und was taten Sie dann?«

»Meine Mutter saß noch dort, wo sie gesessen hatte, als wir aufbrachen. Ich ging hinauf und sprach mit ihr und ging dann hinunter in mein Zelt.«

»Können Sie sich genau erinnern, worüber Sie miteinander sprachen?«

»Ich sagte nur, dass es sehr heiß sei und dass ich mich hinlegen werde. Meine Mutter meinte, sie würde bleiben, wo sie war. Das war alles.«

»Schien sie Ihnen in irgendeiner Weise anders als sonst zu sein?«

»Nein. Das heißt.«

Sie verstummte unsicher und starrte Poirot sinnend an.

»Von mir dürfen Sie die Antwort nicht erwarten, Mademoiselle«, sagte Poirot ruhig.

»Ich habe nur überlegt. Damals habe ich nicht weiter darauf geachtet, aber wenn ich j etzt zurückdenke .«

»Ja?«

»Es stimmt«, sagte Carol langsam, »sie hatte eine komische Farbe — ihr Gesicht war sehr rot — viel röter als sonst.«

»Sie könnte vielleicht einen Schock bekommen haben?«, suggerierte Poirot.

»Einen Schock?« Sie sah ihn verständnislos an.

»Ja, sie könnte, sagen wir, mit einem der arabischen Diener Ärger gehabt haben.«

»Oh!« Ihre Miene hellte sich auf. »Ja — das wäre möglich.«

»Sie erwähnte nicht, dass etwas in dieser Art vorgefallen war?«

»N-nein. Nein, nichts dergleichen.«

Poirot fuhr fort: »Und was taten Sie dann, Mademoiselle?«

»Ich ging in mein Zelt und legte mich ungefähr eine halbe Stunde hin. Dann ging ich hinunter ins Gemeinschaftszelt. Mein Bruder und seine Frau waren dort und lasen.«

»Und was machten Sie?«

»Oh, ich hatte etwas zu nähen. Und danach las ich eine Zeitschrift.«

»Sprachen Sie auf dem Weg zum Gemeinschaftszelt nochmals mit Ihrer Mutter?«

»Nein. Ich ging auf direktem Wege hinunter. Ich glaube, ich habe nicht einmal zu ihr hinaufgesehen.«

»Und dann?«

»Ich blieb im Gemeinschaftszelt bis — bis Miss King uns mitteilte, dass sie tot war.«

»Und das ist alles, was Sie wissen, Mademoiselle?«

»Ja.«

Poirot beugte sich vor. Noch immer im leichten Plauderton sagte er: »Und was fühlten Sie, Mademoiselle?«

»Was ich fühlte?«

»Ja, als Sie hörten, dass Ihre Mutter — pardon, Ihre Stiefmutter, nicht wahr? Nun, was fühlten Sie, als Sie hörten, dass sie tot war?«

Sie starrte ihn an.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen!«

»Ich glaube, Sie verstehen mich sehr gut.«

Sie blickte zu Boden. Dann sagte sie unsicher: »Es war — ein großer Schock.«

»Tatsächlich? «

Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie starrte Poirot hilflos an. Er sah, dass plötzlich Angst in ihren Augen lag.

»War es wirklich ein so großer Schock, Mademoiselle? Erinnern Sie sich an ein gewisses Gespräch, das Sie mit Ihrem Bruder eines Abends in Jerusalem führten?«

Der Schuss traf ins Schwarze. Poirot erkannte es daran, wie abermals alle Farbe aus Carols Wangen wich.

»Sie wissen davon?«, flüsterte sie.

»Ja.«

»Aber wieso — woher?«

»Ein Teil Ihres Gespräches wurde belauscht.«

»Oh!« Carol Boynton schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Schluchzen erschütterte den Tisch.

Hercule Poirot wartete eine Minute und sagte dann ruhig: »Sie planten gemeinsam den Tod Ihrer Mutter.«

Carol stieß schluchzend hervor: »Wir waren verrückt — völlig verrückt — an dem Abend!«

»Vielleicht.«

»Sie können sich unmöglich vorstellen, in was für einer Verfassung wir waren!« Sie setzte sich auf und strich sich das Haar aus der Stirn. »Es klingt ja auch zu abwegig. Daheim in Amerika war es nicht so schlimm — aber diese Reise hat es uns deutlich vor Augen geführt.«

»»Was hat Ihnen die Reise vor Augen geführt?« Seine Stimme war gütig, mitfühlend geworden.

»Dass wir anders sind als — als andere Leute! Wir — wir wussten nicht mehr ein und aus. Schon wegen Jinny.«

»Wer ist Jinny?«

»Meine Schwester. Sie kennen sie nicht. Sie wurde schon richtig sonderbar. Und Mutter machte alles nur noch schlimmer. Sie schien gar nicht zu merken, was los war. Wir hatten Angst, Ray und ich, dass Jinny total verrückt werden würde! Und wir wussten, dass Nadine das auch dachte, und das machte uns noch mehr Angst, weil Nadine sich doch mit Krankheiten und solchen Dingen auskennt.«

»Ja, und?«

»An dem Abend in Jerusalem war das Maß irgendwie voll! Ray war wie von Sinnen. Er und ich hatten uns so in die Sache hineingesteigert, dass es — ja, dass es uns das einzig Richtige zu sein schien, etwas zu unternehmen! Mutter — Mutter war nicht normal! Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, aber es kann einem absolut richtig vorkommen, ja geradezu edel — jemanden zu töten!«

Poirot nickte bedächtig. »Ja, das hat bekanntlich schon mancher gedacht. Die Geschichte beweist es.«

»Ray und ich dachten das auch — an dem Abend.« Sie schlug mit der Hand auf den Tisch. »Aber wir haben wirklich nichts unternommen! Ganz bestimmt nicht! Bei Tageslicht erschien uns die ganze Sache absurd, melodramatisch — und verwerflich, ja, das auch. Glauben Sie mir, Monsieur Poirot, Mutter starb wirklich eines natürlichen Todes, sie starb an Herzversagen. Ray und ich hatten nichts damit zu tun.«

Poirot sagte ruhig: »Schwören Sie mir, Mademoiselle, so wahr Sie das ewige Leben zu erlangen hoffen, dass Mrs. Boyntons Tod nicht durch Ihre Hand herbeigeführt wurde?«

Carol blickte auf. Ihre Stimme klang ruhig und tief.

»Ich schwöre«, sagte sie, »so wahr ich auf das ewige Leben hoffe, dass ich ihr nie etwas zuleide getan habe.«

Poirot lehnte sich zurück.

»Das«, sagte er, »wäre also geklärt.«

Beide schwiegen. Poirot strich sich nachdenklich den prachtvollen Schnurrbart. Dann sagte er: »Wie sah Ihr Plan eigentlich aus?«

»Welcher Plan?«

»Nun, Sie und Ihr Bruder müssen doch einen Plan gehabt haben.«

Im Geiste zählte er die Sekunden, bis die Antwort kam. Eins, zwei, drei.

»Wir hatten keinen Plan«, sagte Carol schließlich. »So weit kam es gar nicht.«

Hercule Poirot stand auf.

»Das ist alles, Mademoiselle. Wären Sie so freundlich, Ihren Bruder zu mir zu schicken?«

Carol erhob sich ebenfalls. Sie blieb einen Moment unschlüssig stehen.

»Monsieur Poirot, Sie — Sie glauben mir doch?«

»Habe ich gesagt«, fragte Poirot, »dass ich Ihnen nicht glaube?«

»Nein, aber — « Sie brach ab.

Er sagte: »Würden Sie jetzt Ihren Bruder bitten hereinzukommen?«

»Ja.«

Sie ging langsam zur Tür. Dort blieb sie stehen, drehte sich plötzlich um und rief heftig aus: »Ich habe die Wahrheit gesagt — die Wahrheit!«

Hercule Poirot gab keine Antwort.

Carol Boynton verließ langsam das Zimmer.

Neuntes Kapitel