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Poirot holte tief Luft. »Ein perfekter Plan. Ja, ich verstehe genau, was Sie meinen. So war es. Es passt alles zusammen. Sie wollte gefährlich leben, la maman Boynton — und sie bezahlte den Preis dafür!«

Sarah beugte sich vor. Ihr blasses, intelligentes Gesicht war sehr ernst geworden. »Wollen Sie damit sagen, dass sie ihre Opfer zu weit trieb und — und dass diese sich gegen sie wandten — oder jedenfalls einer von ihnen?«

Poirot nickte zustimmend.

Mit leicht atemloser Stimme sagte Sarah: »Welcher von ihnen?«

Poirot sah sie an, blickte auf ihre Hände, die krampfhaft die wild wachsenden Blumen umklammerten, in das blasse und starre Gesicht.

Er antwortete nicht sofort — und blieb vor einer Antwort bewahrt, da genau in diesem Moment Dr. Gerard seine Schulter berührte und sagte: »Sehen Sie, da.«

Ein junges Mädchen kam den Hügel herauf. Sie bewegte sich mit einer seltsamen rhythmischen Anmut, die den Betrachter an etwas Unwirkliches denken ließ. Ihr rotblondes Haar leuchtete im Sonnenschein, und um ihren schönen Mund spielte ein eigenartiges, geheimnisvolles Lächeln. Poirot hielt den Atem an.

»Wie schön sie ist«, sagte er. »Wie wunderschön und anrührend. So müsste man die Ophelia spielen — wie eine junge Göttin, die sich in eine andere Welt verirrt hat, glücklich, den Fesseln menschlicher Freuden und Leiden entronnen zu sein.«

»Ja. Ja, Sie haben Recht«, sagte Gerard. »Ein Gesicht, von dem man träumt, nicht wahr? Bei mir war dies tatsächlich der Fall. In meinen Fieberträumen öffnete ich die Augen und sah dieses Gesicht — dieses süße, überirdische Lächeln. Es war ein schöner Traum. Ich bedauerte es, dass ich aufwachte.«

Dann sagte er in seinem üblichen Ton: »Das ist Ginevra Boynton.«

Zwölftes Kapitel

Kurz darauf hatte das junge Mädchen sie erreicht.

Dr. Gerard übernahm die Vorstellung.

»Miss Boynton, das ist Monsieur Hercule Poirot.«

»Oh.« Sie sah ihn unsicher an. Ihre Finger verflochten sich, bewegten sich rastlos. Die verzauberte Nymphe war aus ihrer Zauberwelt zurückgekehrt. Sie war nur noch ein ganz normales, linkisches junges Mädchen, ein wenig nervös und befangen.

Poirot sagte: »Was für ein glücklicher Zufall, Sie hier zu treffen, Mademoiselle. Ich wollte Sie bereits im Hotel aufsuchen.«

»Wirklich?«

Ihr Lächeln war leer. Ihre Finger begannen am Gürtel ihres Kleides herumzuzupfen. Poirot sagte freundlich: »Würden Sie einige Schritte mit mir gehen?«

Sie folgte ihm gehorsam, fügte sich seiner Laune.

Bald darauf sagte sie, ziemlich unvermittelt, mit sonderbarer, hastiger Stimme:    »Sie sind — Sie sind doch Privatdetektiv, oder?«

»Ja, Mademoiselle.«

»Ein berühmter Privatdetektiv?«

»Der beste Privatdetektiv auf der Welt«, sagte Poirot im Brustton der Überzeugung, die reine Wahrheit zu konstatieren, nicht mehr und nicht weniger.

»Sie sind hergekommen, um mich zu beschützen?«, hauchte Ginevra Boynton.

Poirot strich sich nachdenklich über den Schnurrbart. Dann sagte er: »Sind Sie denn in Gefahr, Mademoiselle?«

»Ja! Aber ja!« Sie blickte sich rasch und argwöhnisch um. »Ich habe es Dr. Gerard schon in Jerusalem gesagt. Er war sehr geschickt. Er ließ sich nichts anmerken. Aber er folgte mir — an diesen schrecklichen Ort mit den roten Felsen.« Sie erschauerte. »Sie wollten mich dort töten. Ich muss ständig auf der Hut sein.«

Poirot nickte freundlich und nachsichtig.

Ginevra Boynton sagte: »Er ist sehr nett — und gütig. Er ist in mich verliebt!«

»Ja?«

»O ja! Er sagt im Schlaf meinen Namen.« Ihre Stimme wurde weich, und auf ihrem Gesicht lag wieder dieser Ausdruck bebender, überirdischer Schönheit. »Ich sah ihn — wie er dort lag, sich hin und her warf — und meinen Namen sagte. Ich bin leise wieder weggeschlichen.« Sie hielt inne. »Ich dachte, dass vielleicht er nach Ihnen geschickt hat? Ich habe nämlich furchtbar viele Feinde. Sie sind überall. Manchmal sind sie sogar verkleidet.«

»Ja, ja«, sagte Poirot freundlich. »Aber hier sind Sie sicher — Ihre ganze Familie ist bei Ihnen.«

Sie richtete sich stolz auf.

»Das ist nicht meine Familie! Ich habe mit diesen Leuten nichts zu schaffen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer ich wirklich bin — das ist ein großes Geheimnis. Aber Sie würden staunen, wenn Sie es wüssten.«

Poirot sagte sanft: »War der Tod Ihrer Mutter ein großer Schock für Sie, Mademoiselle?«

Ginevra stampfte mit dem Fuß auf. »Ich habe es Ihnen doch gesagt — sie war nicht meine Mutter! Meine Feinde haben sie bezahlt, damit sie so tat und aufpasste, dass ich nicht davonlief!«

»Wo waren Sie an dem Nachmittag, als sie starb?«

»Ich war im Zelt. Es war dort sehr heiß, aber ich wagte nicht, es zu verlassen. Sonst hätten sie mich vielleicht erwischt.« Ein Schauer überlief sie. »Einer von ihnen — hat in mein Zelt geschaut. Er war verkleidet, aber ich erkannte ihn. Ich stellte mich schlafend. Der Scheich hatte ihn geschickt. Der Scheich wollte mich natürlich entführen lassen.«

Poirot schwieg eine Weile, während sie weitergingen, und sagte dann: »Sie sind sehr hübsch, diese Geschichten, die Sie sich erzählen.«

Ginevra Boynton blieb stehen. Sie funkelte Poirot an. »Sie sind wahr. Sie sind alle wahr!« Wieder stampfte sie zornig mit dem Fuß auf.

»Ja«, sagte Poirot, »sie sind zweifellos gut erfunden.«

»Aber sie sind wahr — wahr!«, rief sie aus.

Dann machte sie wütend kehrt und rannte den Hügel hinunter. Poirot sah ihr nach. Nach ein bis zwei Minuten hörte er dicht hinter sich eine Stimme fragen: »Was haben Sie zu ihr gesagt?«

Poirot drehte sich zu Dr. Gerard um, der leicht außer Atem stehen geblieben war. Weiter hinten kam Sarah, aber in gemächlicherem Tempo.

Poirot beantwortete Gerards Frage: »Ich sagte zu ihr, dass sie sich ein paar hübsche Geschichten ausgedacht hat.«

Der Arzt nickte nachdenklich. »Und darüber war sie wütend? Das ist ein gutes Zeichen. Denn das beweist, dass sie noch nicht ganz über die Schwelle getreten ist. Sie weiß noch, dass es nicht die Wahrheit ist! Ich werde sie heilen.«

»Ah, Sie denken an eine Behandlung?«

»Ja. Ich habe die Sache mit der jungen Mrs. Boynton und ihrem Mann besprochen. Ginevra wird nach Paris kommen und sich in eine meiner Kliniken begeben. Danach wird sie sich für die Bühne ausbilden lassen.«

»Die Bühne?«

»Ja, als Schauspielerin könnte sie großen Erfolg haben. Und das ist genau das, was sie braucht — was sie haben muss! Sie besitzt viele wesentliche Charakterzüge ihrer Mutter.«