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»Na ja«, sagte er, »es ist schließlich Ihre Sache. Ich weiß zwar nicht, worauf Sie hinauswollen, aber mir scheint, dass Sie irgendetwas herausgefunden haben.«

»Ich werde die Ehre haben, Ihnen das zu präsentieren, worum Sie mich gebeten haben — die Wahrheit!«

»Meinen Sie, dass es für eine Verurteilung reicht?«

»Das, mein Freund, habe ich Ihnen nicht versprochen. «

»Stimmt. Ist vielleicht auch besser so. Wir werden ja sehen.«

»Meine Beweisführung ist hauptsächlich psychologischer Natur«, sagte Poirot.

Colonel Carbury seufzte. »Das habe ich befürchtet.«

»Aber sie wird Sie überzeugen«, versicherte ihm Poirot. »O ja, sie wird Sie überzeugen. Die Wahrheit, wie ich immer wieder feststelle, ist merkwürdig und wunderbar.«

»Manchmal«, sagte Colonel Carbury, »ist sie aber auch verdammt unangenehm.«

»Nein, o nein.« Poirot sprach mit großem Ernst. »Sie sehen das aus einem zu persönlichen Blickwinkel. Betrachten Sie die Sache abstrakt, aus der Distanz. Dann ist die absolute Logik der Ereignisse faszinierend und methodisch.«

»Ich werd mir Mühe geben«, sagte der Colonel.

Poirot warf einen Blick auf seine Taschenuhr, ein richtiges Monstrum von einer Uhr.

»Die gehörte einmal meinem Großvater.«

»Hab ich mir fast gedacht.«

»Es ist Zeit, mit unserer kleinen Vorstellung zu beginnen«, sagte Poirot. »Sie, mon Colonel, werden hier sitzen, hinter dem Tisch, in einer offiziellen Position.«

»Na schön«, brummte Carbury. »Soll ich womöglich auch meine Uniform anziehen?«

»Nein, nicht nötig. Ich werde lediglich Ihre Krawatte zurechtrücken, wenn Sie gestatten.« Er setzte seine Worte in die Tat um. Colonel Carbury grinste, nahm auf dem ihm zugewiesenen Stuhl Platz und hatte schon im nächsten Moment den Krawattenknoten unbewusst wieder unter sein linkes Ohr geschoben.

»Hier«, sagte Poirot, während er die Anordnung der Stühle leicht veränderte, »platzieren wir la famille Boynton.«

»Und hier«, fuhr er fort, »werden wir die drei Außenstehenden platzieren, die so großen Anteil nehmen an diesem Fall. Dr. Gerard, von dessen Aussage die Anklage abhängt. Miss Sarah King, die zweierlei Interessen an dem Fall hat, ein persönliches und eines als Leichenbeschauer. Und Mr. Jefferson Cope, der mit den Boyntons auf freundschaftlichem Fuße steht und daher zweifellos befangen zu nennen ist.«

Er brach ab. »Aha! Sie kommen.«

Er machte die Tür auf, um alle hereinzulassen.

Lennox Boynton und seine Frau traten als Erste ein. Ihnen folgten Raymond und Carol. Dann kam Ginevra, allein, ein leises, versonnenes Lächeln auf den Lippen. Dr. Gerard und Sarah King bildeten die Nachhut. Mr. Jefferson Cope traf mit einigen Minuten Verspätung ein, wofür er sich entschuldigte.

Nachdem auch er Platz genommen hatte, trat Poirot vor.

»Mesdames et Messieurs«, sagte er, »dies ist eine rein informelle Zusammenkunft. Sie ergibt sich aufgrund meiner zufälligen Anwesenheit in Amman. Colonel Carbury erwies mir die Ehre, mich zu konsultieren und — «

Poirot wurde unterbrochen, und zwar von jemandem, von dem er das offenbar nicht erwartet hatte. Denn Lennox Boynton sagte unvermittelt und streitlustig: »Warum? Warum zum Teufel sollte er ausgerechnet Sie in dieser Sache einschalten?«

Poirot machte eine anmutige Handbewegung.

»Ich werde oft bei plötzlichen Todesfällen hinzugezogen.«

»Die Ärzte schicken also jedes Mal nach Ihnen«, sagte Lennox Boynton, »wenn jemand an Herzversagen stirbt?«

Poirot erwiderte freundlich:

»Herzversagen ist ein so vager und unwissenschaftlicher Begriff.«

Colonel Carbury räusperte sich, was sehr amtlich klang, und sagte in amtlichem Ton: »Ich will mal was klarstellen. Da wird mir ein Todesfall gemeldet. Ganz normaler Vorfall. Außergewöhnlich heißes Wetter, strapaziöse Reise für eine ältere Dame in schlechter körperlicher Verfassung. So weit ist alles klar. Aber dann kommt Dr. Gerard zu mir und macht eine Aussage.«

Er warf Poirot einen fragenden Blick zu. Poirot nickte.

»Dr. Gerard ist ein hochangesehener Arzt von internationalem Ruf. Einer Aussage von ihm wird zwangsläufig Beachtung geschenkt. Und Dr. Gerard sagt Folgendes aus: Am Morgen nach Mrs. Boyntons Tod bemerkte er, dass in seinem Arztkoffer eine bestimmte Menge eines hochwirksamen Herzmittels fehlte. Am Nachmittag davor hatte er festgestellt, dass eine Spritze verschwunden war. Welche während der Nacht zurückgebracht wurde. Letzter Punkt: Am Handgelenk der Toten befand sich ein Einstich, wie ihn eine Spritze hinterlässt.«

Colonel Carbury machte eine Pause.

»Unter diesen Umständen hielt ich es für die Pflicht der zuständigen Behörden, den Fall zu untersuchen. Monsieur Hercule Poirot war mein Gast und bot mir anerkennenswerterweise seine speziellen Dienste an. Ich gab ihm freie Hand, alle Ermittlungen anzustellen, die er für richtig hielt. Und jetzt sind wir hier, um uns seinen Bericht anzuhören.«

Es herrschte Stille. Man hätte, wie es so schön heißt, eine Stecknadel zu Boden fallen hören können, so still war es. Im Zimmer nebenan fiel tatsächlich etwas zu Boden, vermutlich ein Schuh. Es klang, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Poirot warf einen schnellen Blick auf die dreiköpfige Gruppe zu seiner Rechten und wandte seine Aufmerksamkeit dann den fünf Personen zu, die dicht beisammen zu seiner Linken saßen — fünf Menschen mit angsterfüllten Augen.

Poirot sagte ruhig: »Als Colonel Carbury mir von der Sache erzählte, äußerte ich meine sachkundige Meinung. Ich sagte ihm, dass es vielleicht nicht möglich sein würde, Beweise zu liefern — Beweise, die bei Gericht zulässig wären. Aber ich erklärte ihm unmissverständlich, dass ich überzeugt war, die Wahrheit herauszufinden — allein durch die Befragung der betroffenen Personen. Denn ich darf Ihnen versichern, mes amis: Wenn man in einem Verbrechen ermittelt, muss man den oder die Schuldigen nur reden lassen — am Ende erzählen sie einem immer, was man wissen will!« Er hielt kurz inne.

»Und obwohl Sie alle mich in diesem Fall angelogen haben, haben Sie mir auch unwillentlich die Wahrheit gesagt.«

Er hörte, wie rechts von ihm jemand leise seufzte und das knarzende Geräusch eines Stuhls, doch er drehte sich nicht danach um. Sein Blick blieb auf die Boyntons gerichtet.

»Als Erstes untersuchte ich die Möglichkeit, dass Mrs. Boynton eines natürlichen Todes gestorben war — und ich verwarf sie. Das fehlende Medikament, die Injektionsspritze und vor allem das Verhalten der Familie der Toten — alles überzeugte mich, dass diese Vermutung nicht aufrechtzuerhalten war.

Nicht nur, dass Mrs. Boynton kaltblütig ermordet wurde — jedes Mitglied ihrer Familie war sich dieser Tatsache auch bewusst! Alle miteinander verhielten sich wie Schuldige.

Aber es gibt unterschiedliche Grade von Schuld. Ich prüfte das Beweismaterial sorgfältig im Hinblick darauf, ob der Mord — ja, denn es war Mord — von der Familie der alten Dame gemeinschaftlich und vorsätzlich begangen worden war.

Ich darf sagen, es gab ein überwältigendes Motiv. Jeder von ihnen profitierte von ihrem Tod — sowohl in finanzieller Hinsicht, denn sie erlangten dadurch finanzielle Unabhängigkeit und kamen in den Genuss eines sehr beträchtlichen Vermögens, als auch in dem Sinn, dass sie befreit wurden von einer Tyrannei, die geradezu unerträglich geworden war.

Lassen Sie mich fortfahren. Ich kam zu dem Schluss — und das fast unverzüglich —, dass die Theorie eines gemeinschaftlichen Vorgehens nicht stichhaltig war. Die Aussagen der Familie Boynton stimmten nicht nahtlos überein, und man hatte sich keine plausiblen Alibis zurechtgelegt. Die Indizien schienen eher darauf hinzudeuten, dass ein einzelnes oder vielleicht zwei Mitglieder der Familie in geheimem Einverständnis gehandelt hatten und dass die anderen die Tat deckten. Als Nächstes überlegte ich, welche Person oder Personen speziell in Frage kamen. Ich muss gestehen, hierbei war ich geneigt, voreingenommen zu sein aufgrund eines Indizes, das nur mir bekannt war.«