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»Wie du meinst«, antwortete Andrej, leise und sehr ernst. »Aber ich warne dich. Wenn eines dieser Ungeheuer dich verletzt, werde ich dich töten.«

»Wenn ich dadurch so werde wie du, dann würde ich nichts anderes von dir erwarten«, antwortete Abu Dun, immer noch grinsend, aber im gleichen ernsten Tonfall wie Andrej. »Und ich verspreche dir dasselbe«, fügte er leise hinzu.

Dazu ist es zu spät, mein Freund, dachte Andrej bitter. Aber vielleicht werde ich dieses Versprechen dennoch von dir einfordern.

Er sah Abu Dun noch einen Moment lang durchdringend in die Augen, dann wandte er sich um und trat gebückt durch den niedrigen Höhleneingang. Er hätte es niemals laut ausgesprochen, aber er war unendlich froh, Abu Dun bei sich zu wissen.

Andrej lauschte mit angehaltenem Atem. Da waren Geräusche, die nicht natürlichen Ursprungs waren, aber sie waren zu leise und zu weit entfernt, um sie einordnen zu können.

Er hob die Hand, damit Abu Dun zurückblieb, bis sich seine Augen an das blasse Licht in der Höhle gewöhnt hatten. Es dauerte nur wenige Momente, bis sich ihr Inneres in das gewohnte unheimliche Labyrinth aus grauen und silberfarbenen Schatten verwandelte und er wenigstens einige Schritte weit sehen konnte.

»Dort hinten.« Seine Schwertspitze deutete auf einen unregelmäßig geformten Spalt am hinteren Ende der Höhle, der tiefer in den Berg hineinführte. Er war sehr schmal. Andrej war nicht sicher, ob er sich wünschen sollte, dass Abu Dun hindurchpasste.

Er lauschte einen Moment. Die Geräusche wurden deutlicher, und er ging mit klopfendem Herzen weiter.

Er hatte Angst. Nicht Angst vor dem Tod. Oder Angst davor, angegriffen oder verletzt zu werden, sondern Angst vor dem, was er vielleicht entdecken würde, wenn er durch diesen Spalt ging.

Das Erste, was er sah, war trübrotes blasses Licht, das hinter der Biegung eines steil nach unten führenden Ganges flackerte, in den der Spalt mündete.

An manchen Stellen war er so niedrig, dass Andrej sich auf Hände und Knie niederlassen musste, um seinen Weg fortzusetzen. Mindestens einmal hörte er Abu Dun hinter sich schmerzerfüllt grunzen, als er versuchte, seine breiten Schultern mit aller Gewalt durch den schmalen Spalt zu quetschen.

Andrej spürte die Nähe des Werwolfs, lange bevor er ihn sah. Das Geschöpf lauerte hinter der Gangbiegung. Er konnte seinen Zorn spüren, seinen grenzenlosen Hass auf alles Lebendige und vor allem Schöne, der das Geschöpf zerfraß - aber vor allem spürte er seine Angst.

Es kostete Andrej nicht die geringste Mühe, dem Krallenhieb der Bestie auszuweichen, als er sich auf Händen und Knien um die Gangbiegung schob.

Blitzschnell packte er den zuschlagenden Arm der Bestie, verdrehte ihn mit einem harten Ruck und warf sich gleichzeitig zur Seite. Der Angreifer stieß ein schrilles, hündisches Heulen aus, verlor den Boden unter den Füßen und prallte mit furchtbarer Wucht gegen den Felsen. Aus dem erschrockenen Heulen wurde ein fast menschliches Kreischen, das in ein Wimmern überging.

Der Kampf wäre vorüber gewesen, noch bevor er wirklich begonnen hatte, wäre der Gang nur ein wenig höher gewesen.

Als Andrej auf die Füße sprang und sein Schwert hob, prallte sein Kopf so heftig gegen die Höhlendecke, dass ihm für einen Moment die Sinne schwanden. Er sank auf die Knie, biss die Zähne zusammen, um ein Stöhnen zu unterdrücken und kämpfte mit aller Macht darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Bittere Galle sammelte sich unter seiner Zunge. Das Schwert in seiner Hand wurde schwerer und schwerer. Er nahm nur noch Schatten und huschende Bewegungen wahr.

Als sich sein Blick klärte und der pochende Schmerz in seinem Hinterkopf nachzulassen begann, hatte sich der Werwolf wieder in eine halb hockende Stellung erhoben. Seine schrecklichen fingerlangen Reißzähne waren drohend gebleckt. Die Augen des Wesens glühten düster und unheimlich. Bruder Thobias hätte vielleicht eine natürliche Erklärung dafür gefunden, aber Andrej schien es, als blicke er direkt in die Hölle.

Die Kreatur versuchte sich aufzurichten, aber ihre Bewegungen waren fahrig und hatten keine Kraft mehr. Die furchtbaren Klauen, die Fleisch und Knochen so mühelos zerreißen konnten, kratzten hilflos über den Stein. Statt sich abzustoßen und auf seinen Gegner zu stürzen, fiel der Werwolf nach vorn. Sein missgestalteter Kiefer schlug mit solcher Wucht auf dem Stein auf, dass einer seiner Zähne abbrach und Blut aus seiner durchgebissenen Zunge über seine Lippen sprudelte. Aus dem drohenden Knurren wurde ein Mitleid erregendes Winseln.

Andrejs Gedanken klärten sich allmählich. Er hörte, wie sich Abu Dun hinter ihm durch den Felsspalt schob, und der Lärm, den er dabei verursachte, verriet ihm, dass der Nubier versuchte, sein Schwert zu heben und sich aufzurichten.

»Nicht«, sagte er hastig.

Er wusste nicht, ob Abu Dun auf seine Warnung reagierte, aber der Werwolf hob ruckartig den Kopf und starrte ihn an. Ein Ausdruck unsagbarer Qual erschien in seinen Augen, und plötzlich war alles, was Andrej empfand, ein tiefes, schmerzerfülltes Mitleid. In der Qual dieses bedauernswerten Geschöpfes erkannte er seine eigene wieder.

»Nicht«, sagte er noch einmal. Diesmal galt das Wort dem Werwolf, und in den Schmerz des Geschöpfes mischte sich eine verzweifelte Hoffnung.

Andrej senkte langsam und zitternd das Schwert. Die Spitze der hundertfach gefalteten, scharfen Waffe aus Damaszenenstahl deutete nun nicht mehr auf das Gesicht der Kreatur. Die dunkelrot glühenden Augen des Geschöpf es flackerten.

Noch immer waren sie von Misstrauen und brodelndem Hass erfüllt.

»Nicht«, sagte Andrej zum dritten Mal. »Wir müssen nicht kämpfen. Es ist nicht nötig, dass wir uns gegenseitig töten.«

Es war nicht zu erkennen, ob das Geschöpf seine Worte tatsächlich verstand, oder ob es nur auf den beruhigenden Ton oder seine Gesten reagierte. Aber als der Werwolf sich das nächste Mal in die Höhe stemmte, waren seine Bewegungen nur noch abwehrend. Seine Fänge und Krallen blitzten drohend, aber er würde nicht mehr angreifen. Andrej konnte seine Angst riechen.

»Was bedeutet das?«, fragte Abu Dun hinter ihm. Seine Stimme zitterte vor Anspannung.

»Still!«, sagte Andrej erschrocken. »Er wird uns nichts tun. Aber mach jetzt keinen Fehler, ich flehe dich an!«

Langsam senkte er weiter das Schwert. Die Spitze der Klinge berührte den Felsboden mit einem klirrenden, nachhallenden Laut, und ein Zucken durchlief den Werwolf. Der Zorn in seinen Augen war nun endgültig erloschen. Andrej sah nur noch Angst und vollkommene Hoffnungslosigkeit.

Da fasste er einen Entschluss. Sehr viel vorsichtiger als beim ersten Mal richtete er sich auf, schob das Schwert in den Gürtel und streckte dem Werwolf die nackte Hand entgegen. Abu Dun sog entsetzt die Luft zwischen den Zähnen ein.

»Wir sind nicht deine Feinde«, sagte Andrej, langsam, laut und übermäßig betont, damit das Geschöpf seine Absicht verstand, wenn schon nicht die Worte.

Der Werwolf winselte. In einer verkrümmten Haltung, zu der er weniger durch die niedrige Höhlendecke als vielmehr durch seinen missgestalteten Körper gezwungen wurde, stand er da.

»Bei Allah!«, keuchte Abu Dun. »Was tust du?«

»Nicht!«, sagte Andrej erschrocken. »Bitte, Abu Dun, schweig!« Ich hoffe, ich weiß, was ich tue.

Der Werwolf blickte Abu Dun und ihn abwechselnd und mit flackerndem Blick an. Seine schrecklichen Klauen öffneten und schlossen sich ununterbrochen, aber trotz der dolchlangen mörderischen Krallen hatte diese Geste nichts Bedrohliches mehr.

Andrej konnte nicht sagen, wie viel Abu Dun sah, aber was er erblickte, zog sein Herz zu einem harten Stein zusammen.

Das Geschöpf sah entsetzlich aus. Andrej fragte sich, ob es der Werwolf war, der Abu Dun und ihn attackiert hatte, aber er bezweifelte es. Das Wesen sah nicht so aus, als sei es in der Lage, sich schnell zu bewegen. Seine Beine waren ungleich lang, und das linke Knie war so unförmig angeschwollen, dass es fast unmöglich schien, dass das Wesen mehr als einen oder zwei Schritte tun konnte, ohne zu stürzen. Dasselbe galt für die Arme: Wo Ellbogen-, Schulter- und Handgelenke sein sollten, waren grässlich angeschwollene, nässende Geschwüre und verhärtete Knorpel. Der Körper des bemitleidenswerten Geschöpfes war mit zahllosen eiternden Geschwüren und Wunden übersät, und auch das Blut, das über seine Lippen quoll, schien nicht allein aus seiner zerbissenen Zunge zu stammen.