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»Bei Allah«, murmelte Abu Dun. Seine Stimme bebte. »Was ... was ist das?«

Statt zu antworten, trat Andrej mit ausgestreckter Hand einen halben Schritt weiter auf die Kreatur zu. Der Werwolf schnappte nach ihm. Seine Zähne schlugen mit einem alarmierenden Laut zehn Zentimeter vor Andrejs Fingern zusammen, aber selbst diese Bewegung war lediglich ein weiterer Ausdruck seiner Furcht.

»Verstehst du mich?«, fragte Andrej. Gott im Himmel, wenn es dich gibt, dann mach, dass es mich versteht! Lass es nicht so enden!

Das Geschöpf verstand ihn.

Es konnte nicht antworten. Wenn es jemals menschliche Stimmbänder gehabt hatte, dann waren sie längst nicht mehr in der Lage, verständliche Laute oder gar Worte zu bilden. Dennoch verstand Andrej es, vielleicht, weil etwas in ihm schon zum Teil der Welt dieses entsetzlichen Geschöpfes geworden war.

»Ich gehe jetzt weiter«, sagte Andrej betont. »Ich will dir nichts tun. Und ich glaube, du willst mir auch nichts tun - habe ich Recht?«

»Du bist völlig wahnsinnig«, murmelte Abu Dun. »Es wird dich zerreißen, sobald du ihm auch nur eine Sekunde lang den Rücken zudrehst.«

Noch vor wenigen Augenblicken hätte Andrej diese Einschätzung geteilt.

Aber seit er die grenzenlose Verzweiflung in den Augen des Geschöpfes erblickt hatte, war sein Misstrauen verschwunden. Er machte erneut eine besänftigende Geste in Abu Duns Richtung, dann nahm er die Hand vom Schwertgriff und schob sich langsam, mit angehaltenem Atem und ohne die Kreatur auch nur einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen, an dem Werwolf vorbei. Der Gang war so schmal, dass sie sich fast berührten, obwohl Andrej sich mit dem Rücken an der Wand entlang schob. Er konnte den sauren Schweiß des Ungeheuers riechen, seine Krankheit, und die rasende Furcht, die in ihm wühlte.

Endlich hatte er das Ende des niedrigen Stollens erreicht. Vor ihm weitete sich der Fels zu einer gut zehn Meter hohen und mindestens fünfmal so langen steinernen Kathedrale, die von zwei fast erloschenen Feuern in düsteres, blutfarbenes Licht getaucht wurde, das so schwach war, dass selbst er Mühe hatte, mehr als Schatten zu erkennen.

Andrej richtete sich auf und trat zwei Schritte in die Höhle hinein.

Es waren fünf, und Andrej wagte nicht zu sagen, wie viele von ihnen noch am Leben waren, oder wie lange sie es noch sein würden.

Die Hölle tat sich auf. Aber vielleicht war es auch nur ein Blick in seine eigene Zukunft, den er erhaschte.

»Bei Allah!«, keuchte Abu Dun hinter ihm. »Was ... was ist das ? Ich ...« Er begann zu würgen. Offensichtlich konnte er mehr sehen, als Andrej angenommen hatte.

Langsam und mit zitternden Knien trat Andrej an die größere der beiden Feuerstellen heran. Die fünf Gestalten waren in einem unregelmäßigen Halbkreis darum verteilt. Es waren zwei ausgewachsene und drei kleinere Gestalten, aber es war Andrej unmöglich, mehr über sie zu sagen, nicht einmal ihr Geschlecht ließ sich bestimmen. Auch nicht, welcher Art sie angehörten.

Was Andrej erblickte, das war eine grässliche Mischung aus Mensch, Tier und ... noch etwas, das zu beschreiben ihm die Worte fehlten.

»Aber das ... das kann es nicht geben«, stammelte Abu Dun. »Das ... das kann nicht sein!«

Andrej wollte antworten, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Er hatte gedacht, dass das Geschöpf draußen im Gang das Entsetzlichste wäre, was er je gesehen hatte. Doch diese fünf Gestalten hier waren ... bemitleidenswerte Missgeburten, die einfach nicht leben konnten.

Andrej sank erschüttert auf die Knie und streckte die Hand nach einer zarten, kindergroßen Gestalt aus, wagte es aber nicht, die Bewegung zu Ende zu führen. Seine Finger zitterten, nur Zentimeter von einem Gesicht entfernt, das einmal menschlich gewesen sein mochte.

Andrej schloss stöhnend die Augen. »Großer Gott«, flüsterte er.

»Gott?«, murmelte Abu Dun mit mühsam beherrschter, aber trotzdem hörbar zitternder Stimme. »Wenn euer Gott so etwas zulässt, Hexenmeister, dann bin ich froh, nie zu ihm gebetet zu haben.«

Andrej riss sich mühsam von dem entsetzlichen Anblick los, und es kostete ihn noch einmal unendlich viel Kraft, sich dazu zu zwingen, auch die anderen Gestalten aufmerksamer zu betrachten. Eine war offensichtlich tot, die anderen lagen im Sterben. Andrej war sicher, dass keine von ihnen die Nacht überstehen würde. Er betete, dass es so sein würde.

Schlurfende Schritte näherten sich; Schritte wie von jemandem, der nur mühsam sich zu bewegen im Stande war, und dem jede noch so kleine Regung unendliche Mühe und grenzenlose Pein bereitete.

Andrej wandte den Kopf und warf einen raschen Blick in Abu Duns aschfahles Gesicht, ehe er den Werwolf erkannte, der sich mühsam in ihre Richtung schleppte. Es war das Geschöpf aus dem Gang, aber etwas an seinem missgestalteten Gesicht kam Andrej plötzlich auf so grässliche Weise bekannt vor, dass er fast in Panik den Blick abwandte und den Gedanken tief in sich erstickte, noch bevor er wirklich Gestalt annehmen konnte.

»Andrej, was ... was bedeutet das?«, stammelte Abu Dun.

Andrej konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so erschüttert erlebt zu haben wie jetzt. Auch er hatte sich auf die Knie herabsinken lassen. Er hielt das Schwert noch immer in beiden Händen, aber er tat es auf eine Art, als wäre es keine Waffe mehr für ihn, sondern etwas, woran er sich mit verzweifelter Kraft festklammerte, um nicht endgültig den Halt zu verlieren.

»Sie sterben«, antwortete Andrej leise. Er war nicht einmal sicher, ob er die Worte wirklich aussprach oder nur dachte.

»Hel... fen.«

Andrej und Abu Dun fuhren im selben Moment wie unter einem Schlag zusammen und herum, als sie die zu einem furchtbaren Krächzen verzerrte Stimme hörten. Der Werwolf war herangekommen und dicht neben Abu Dun zu einem zitternden Bündel zusammengesunken. Sein Gesicht lag im Schatten, sodass der furchtbare Anblick Andrej erspart blieb, aber die Stimme ... Sie war kaum menschlich, ein gurgelndes Krächzen, Stimmbändern abgerungen, die nicht dazu geschaffen waren, Laute einer menschlichen Sprache hervorzubringen - aber er erkannte sie!

»Birger?«, murmelte er fassungslos. »Das kann doch nicht... nicht sein!«

Aber es war Birgers Stimme, so, wie das so schrecklich entstellte Gesicht immer noch Birgers Gesicht war. Hätte er sich nicht geweigert, es sich einzugestehen, hätte er ihn schon draußen auf der Ebene erkannt.

»Hilf ... uns«, krächzte Birger. »Du kannst ... uns ... helfen.«

Abu Duns Augen quollen vor Entsetzen fast aus den Höhlen, aber er schwieg, und auch Andrej ließ eine geraume Weile verstreichen, bevor er antwortete.

»Helfen? Aber ich wüsste nicht wie. Was ist hier geschehen?«

Das Etwas, dessen Gestalt Birger angenommen hatte, hob mühsam den Arm und streckte eine zitternde Klaue in Andrejs Richtung aus; eine Geste unendlicher Hilflosigkeit und so flehend, dass Andrej mehrmals schlucken musste, um den bitteren Kloß loszuwerden, der sich plötzlich in seiner Kehle gebildet hatte.

»Bruder«, krächzte Birger. »Du bist ... wie wir. Aber du lebst. Du kennst das Geheimnis.«

Bruder... Andrej spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. »Ich kann das nicht«, antwortete er leise. »Ich weiß nicht, was mit euch geschehen ist. Und ich weiß auch nicht, wie ich euch helfen könnte.«

»Du hasst mich«, krächzte Birger. Er sprach langsam, mühevoll, mit großen Pausen und einer Stimme, die immer schwächer wurde, weil ihm das Sprechen so große Anstrengung abverlangte. Er brauchte Minuten, um wenige Sätze hervorzubringen, aber Andrej zwang sich, ihm ruhig zuzuhören.