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»In der Kirche!«, keuchte er. »Sie ... sie sind in der Kirche.«

»Und die anderen?« Andrej machte eine drohende Bewegung. »Die Leute aus dem Dorf? Wo sind sie? Habt ihr sie alle umgebracht?«

»Sie ... sie haben viele ... verbrannt«, gurgelte der Soldat. »Aber nicht alle. Noch nicht. Sie ... sie machen ihnen den Prozess. Jedem ...«

»Aber das Urteil steht schon fest, nicht wahr?« Andrej verzog die Lippen zu einem kalten Grinsen. »Alles muss eine Ordnung haben. Schließlich bekommt jeder seinen gerechten Prozess.«

»Sie ... sie sind mit dem Teufel im Bunde«, stöhnte der Mann. »Jeder weiß das. Alle hier sind ... sind Teufelsjünger.«

Andrej wollte widersprechen, aber in diesem Moment fiel sein Blick auf seine eigenen, zu Klauen gekrümmten Hände. Sie hatten sich nicht wirklich in Klauen verwandelt, wie die Gliedmaßen der bedauernswerten Kreaturen, die Abu Dun und er in der Höhle gefunden hatten, aber der Anblick war fast schlimmer. Sie waren so rot vom Blut des Soldaten, dass es aussah, als trüge er dunkelrote nasse Handschuhe, die bis an die Ellbogen hinaufreichten. Es hätte des bitteren Kupfergeschmackes auf seiner Zunge nicht mehr bedurft, um ihm zu beweisen, wer das schlimmste Ungeheuer war. Dieser Anblick war es, der ihm noch einmal die Kraft gab, der brennenden Gier zu widerstehen; vielleicht zum letzten Mal.

»Ich halte mein Wort«, sagte er, »Ich werde deine Seele nicht nehmen.«

»Töte ... mich«, flehte der Sterbende. »Hab doch ... Erbarmen.«

Das war ein Wort, das Andrej nichts mehr bedeutete. Er starrte noch einen Moment mitleidlos auf den Soldaten hinab, dann drehte er sich um und ging langsam weiter. Er musste nur wenige Schritte weit laufen, bevor das Prasseln der Flammen die Schreie des sterbenden Mannes verschlungen hatte.

Es war Andrej klar, dass er nicht auf direktem Weg zur Kirche gehen konnte.

Wenn der sterbende Soldat die Wahrheit gesagt hatte - woran er nicht zweifelte - dann hatte er es immer noch mit mindestens sechzehn Gegnern zu tun, den Inquisitor nicht mitgerechnet. Das waren selbst für einen Mann mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten eindeutig zu viele Soldaten, um ohne Strategie gegen sie zu kämpfen. Er war nahezu unsterblich, aber nahezu bedeutete nicht vollkommen. Wenn er blindlings losstürmte, dann würde er in sein Verderben laufen.

Vielleicht wäre das Beste, dachte Andrej finster. Für Abu Dun, für die Menschen hier und vor allem für ihn selbst. War das vielleicht der wirkliche Grund, aus dem er zurückgekommen war?, fragte er sich. Nicht um die Menschen hier zu retten, oder das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften, sondern weil er den Tod suchte?

Beunruhigt schüttelte er den Gedanken ab. Er hätte zu einer Antwort kommen können, die ihm nicht gefiel.

Auf dem Weg zum Dorfplatz begegneten ihm keine weiteren Menschen mehr, weder Soldaten noch Trentklammer, und auch der Kirchplatz selbst bot einen anderen Anblick, als er erwartet hatte. Die Handvoll Häuser, die den runden Platz säumten, waren nicht niedergebrannt, zeigten aber deutliche Spuren der Gewalt, die auch hier gewütet hatte: Eine eingetretene Tür hier, ein zertrümmertes Fenster dort, ein paar geschwärzte Dachschindeln, wo die Flammen von einem der benachbarten Gebäude übergegriffen hatten und in aller Hast wieder gelöscht worden waren.

Dennoch ließ ihn der Anblick für einen Moment erstarren; vielleicht, weil er zu sehr dem jenes anderen Dorfes ähnelte, in dem sie Alessa gefunden hatten, nur dass die Vorzeichen hier genau umgekehrt waren: In jenem Dorf auf der anderen Seite der Berge waren es die Fremden gewesen, die ahnungslos in ihr Verderben gelaufen waren; hier hatten die Fremden den Tod gebracht.

Und er hatte eine blutige Spur gezogen. Andrej sah keine Toten, aber unmittelbar vor der offen stehenden Kirchentür waren zwei gewaltige Scheiterhaufen errichtet worden. Einer davon schwelte noch, der zweite brannte lichterloh - was aber gewiss nicht mehr lange so bleiben würde -, und nur einige Schritte entfernt waren vier Soldaten damit beschäftigt, einen dritten Scheiterhaufen zu errichten. Sie machten sich allerdings nicht die Mühe, Reisig oder Feuerholz herbeizuschaffen, sondern verwendeten Materialien, die sie kurzerhand aus den benachbarten Häusern geholt hatten: zerbrochene Möbel, Teile von Fensterrahmen und Bodendielen ...

Weit mehr als das Vorhandensein der Scheiterhaufen selbst machte dieses Vorgehen Andrej klar, dass die Soldaten nicht vorhatten, in diesem Ort noch irgendjemanden am Leben zu lassen. Er fragte sich, warum Vater Benedikt und der Inquisitor überhaupt über die Trentklammer zu Gericht saßen, anstatt sie gleich zusammen mit ihren Häusern zu verbrennen.

Zwei Soldaten lösten sich von ihren Kameraden und kamen auf ihn zu.

Andrej fuhr erschrocken zusammen, wich geduckt ein paar Schritte zurück und senkte die Hand auf das Schwert. Schnell musste er aber erkennen, dass sie nicht einmal in seine Nähe kommen würden, sondern unterwegs zu einem der Gebäude auf der linken Seite des Platzes waren - vermutlich, um weiteres Brennmaterial zu holen.

Das Haus stand ein wenig abseits. Sämtliche Fenster und die Tür standen offen, aber dahinter brannte kein Licht. Es war leer, und seine Bewohner vermutlich zusammen mit allen anderen in der Kirche; dem einzigen Gebäude im Dorf, das groß genug war, um so viele Gefangene aufzunehmen.

Wahrscheinlich war das auch der einzige Grund, aus dem die Ungeheuer m den schwarzen Roben es nicht ebenfalls angezündet hatten.

Andrejs Hand schloss sich fester um das Schwert, während er die beiden Soldaten beobachtete, die nebeneinander und ohne sichtbare Eile auf das Haus zu gingen. Sie unterhielten sich, aber Andrej sah nur die Gesten, mit denen sie ihre Worte begleiteten. Obwohl in seiner unmittelbaren Nähe kein Haus brannte, war das Tosen der Flammen selbst hier noch deutlich genug zu hören. Es übertönte nahezu jedes andere Geräusch. Für Andrej wäre es ein Leichtes gewesen, den beiden Männern zu folgen und sie zu töten, ohne dass ihre Kameraden es auch nur bemerkt hätten.

Seine Hand zuckte so erschrocken vom Schwertgriff weg, als hätte er glühendes Metall berührt. War das wirklich er, der diesen Gedanken gehegt hatte? Wie viel von ihm war noch er selbst?

Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich stattdessen auf die Kirche. Das zweigeteilte Portal stand offen, aber dahinter waren nur flackerndes Licht und unruhige Bewegung zu erkennen. Für einen kurzen Moment blitzte ein Lichtstrahl auf, als jemand - wohl ein Soldat - an der Tür vorbeiging, aber Andrej konnte keine Einzelheiten erkennen, so sehr er seine Augen auch anstrengte.

Ihm war klar, dass sich die meisten Soldaten im Inneren der Kirche aufhalten mussten. Er konnte nicht einfach zur Tür hineingehen, sondern musste einen unauffälligeren Weg wählen. Die einzige Möglichkeit bestand darin, die Kirche und damit den gesamten Platz in weitem Bogen zu umgehen und sich dem Gebäude von der Rückseite her zu nähern.

Andrej warf einen letzten, prüfenden Blick in den Himmel hinauf, bevor er losging. Bis Sonnenaufgang waren es noch gute zwei Stunden; sicherlich eineinhalb, ehe es auch nur zu dämmern begann. Dennoch war der Mond bereits untergegangen, der Himmel war leer bis auf das glitzernde Band aus Sternen; Diamantsplitter, die ein nachlässiger Gott auf seinem Weg über das Firmament verloren hatte. Konnte das der Grund sein, aus dem die grausame Gier in ihm nicht mehr ganz so quälend war wie bisher? Sein Blutdurst war noch lange nicht gestillt, aber noch vor einer halben Stunde wäre es ihm nicht möglich gewesen, die Mordlust zu zügeln, die ihn beim Anblick der beiden Soldaten überfallen hatte. Vielleicht, überlegte er, wäre es klüger, bis zum Sonnenaufgang abzuwarten. Aber wie viele Leben würden diese zwei Stunden kosten?

Er entschied sich gegen das Warten, und sei es nur, weil diese Wartezeit bewiesen hätte, dass er endgültig begonnen hatte, die Nacht zu fürchten.

Um den Dorfplatz und die Kirche in sicherem Abstand zu umgehen, legte er weitere zwei oder drei Dutzend Schritte des Weges zurück, den er gekommen war, und schlug dann einen großen Bogen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er auf die Rückseite des Gotteshauses gelangte, denn er bewegte sich sehr vorsichtig und hielt immer wieder an, um zu lauschen oder sich aufmerksam umzusehen.