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Andrej wartete mit geschlossenen Augen, bis das Schwindelgefühl hinter seiner Stirn verebbte, dann blickte er sich um. Er befand sich in einer kleinen, vollkommen leeren Kammer, die nur eine einzige Tür hatte. Sie war grob aus kaum bearbeiteten Brettern zusammengenagelt, durch deren Ritzen nicht nur die Stimmen drangen, die er hörte, sondern auch flackerndes gelbes Licht.

Andrej spähte durch eine der fingerbreiten Ritzen.

»Das ist nicht der Grund, Exzellenz«, hörte er Thobias sagen. Er lief aufgeregt in dem kleinen, bescheiden eingerichteten Raum auf und ab, der auf der anderen Seite der Tür lag, und er war nicht allein. Der Mann, den er mit Exzellenz angesprochen hatte, stand aufgerichtet neben einer anderen Tür, die vermutlich ins eigentliche Kirchenschiff hineinführte, und trug ein schlichtes schwarzes Gewand. Er war allerhöchstens dreißig, schätzte Andrej, und hatte ein offenes Gesicht, aber mitleidlose harte Augen. Sein Haar war so schwarz wie sein Gewand. Ein goldenes Kruzifix hing an einer Kette um seinen Hals. Es musste der Inquisitor sein, von dem Thobias gesprochen hatte.

Sein bloßer Anblick versetzte Andrej in Zorn. Da bemerkte er eine weitere Person im Raum: Vater Benedikt. Er stand mit dem Rücken zu Andrej, aber er erkannte die gebeugte Gestalt und das schüttere graue Haar.

»Doch, Thobias, das ist der Grund«, antwortete der Inquisitor ruhig. Seine Hand tastete nach dem Kruzifix auf seiner Brust und schmiegte sich darum.

»Ich will offen sein, Bruder Thobias. Ihr habt es nur Benedikts Fürsprache zu verdanken, dass Ihr nicht ebenfalls in Ketten auf der anderen Seite der Anklagebank steht. Vielen von uns ist das, was Ihr in den letzten Jahren dort oben in Eurem Kloster getan habt, ein Dorn im Auge.«

»Und Euch ganz besonders, nicht wahr?« Thobias' Stimme zitterte vor Aufregung. Er war unruhig, aber Andrej lauschte vergebens auf einen Unterton von Angst.

Vater Benedikt fuhr erschrocken zusammen und sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein.

»Was ich denke, steht nicht zur Debatte«, antwortete der Inquisitor ungerührt.

»Was zählt ist, was ich sehe. Und ich sehe einen Ort, dessen Menschen sich offensichtlich von Gott abgewandt haben, und in dem schwarze Magie und Teufelswerk die Stelle von Gottesfurcht und Demut einnehmen.«

»Nicht alle, Exzellenz«, sagte Thobias verzweifelt. »Ihr mögt Recht haben. Es sind ... schlimme Dinge geschehen, das will ich nicht bestreiten. Aber es war nicht die Schuld der guten Leute hier. Es ging von den Fremden aus. Alles begann, nachdem dieser Andrej und der Heide, der bei ihm war, hierher gekommen sind!«

Andrej runzelte die Stirn. Er hatte keine Dankbarkeit von Thobias erwartet, aber das ... ?

»Wie bedauerlich, dass sie nicht mehr hier sind, um Stellung zu diesen Vorwürfen zu nehmen, nicht wahr?«, sagte der Inquisitor.

Thobias wollte antworten, aber Vater Benedikt kam ihm zuvor: »Verzeiht, Exzellenz«, mischte er sich ein. Seine Stimme war voller Angst, auch wenn sie kaum mehr als ein Flüstern war. »Aber Bruder Thobias hat Recht. Ich selbst habe mit diesem Andrej gesprochen, und ich habe das Böse gespürt, das ihn umgibt. Dieser Mann ist der Teufel. Thobias hätte sich nicht mit ihm abgeben dürfen, das ist wahr, aber er ist jung, und sein Glaube an die Wissenschaft hat ihn blind gemacht.«

Der Inquisitor seufzte. »Ich bitte Euch, Vater Benedikt! Wofür haltet Ihr mich - für ein Ungeheuer? Ich bin nicht hergekommen, um unschuldige Menschen umzubringen, sondern um sie zu retten!« Er wandte sich an Thobias. »Ich kann und will nicht darüber urteilen, ob Euer blinder Glaube an die Wissenschaft Ketzerei ist oder nicht, Thobias. Das sollen und werden andere entscheiden. Aber wenn das, was hier geschieht, nur eine Krankheit ist, müsstet ihr die Menschen dann nicht heilen? Und sagt: Wenn ich ein übles Geschwür hätte, würdet Ihr es nicht ausbrennen, damit es nicht meinen ganzen Körper vergiftet?«

»Natürlich«, antwortete Thobias, »aber ...«

»Und würdet Ihr nicht in Kauf nehmen, auch ein wenig gesundes Fleisch mit zu verbrennen, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern?«

»Das habt Ihr doch bereits getan!«, antwortete Thobias heftig. »Birgers Familie ist ausgelöscht. Die, die nicht in die Berge geflohen sind, habt Ihr verbrannt! Wie viele wollt Ihr noch töten?«

»So viele, wie nötig sind«, antwortete der Inquisitor hart. »Glaubt nicht, dass es mir Freude bereitet. Aber wenn ich auch nur eine einzige unschuldige Seele rette, dann hat es sich gelohnt.«

»Indem Ihr hundert andere Unschuldige opfert?«

»Selbst wenn es so wäre, wäre ihnen Gottes Lohn gewiss«, wandte der Inquisitor ein. »Es geht um ihre Seelen.« Sein Lächeln wurde noch härter. »Und auch um Eure, Bruder Thobias, auch wenn Ihr das immer wieder zu vergessen scheint.«

»Warum sprecht Ihr nicht offen?«, fragte Thobias höhnisch. »Wir sind allein. Niemand hört uns zu. Niemand wird erfahren, was hier gesprochen wird. Wenn es mein Leben ist, das Ihr wollt, dann nehmt es! Stellt mich vor Gericht. Bezichtigt mich der Ketzerei. Ich werde alles zugeben. Tötet mich, wenn Ihr wollt, aber lasst die unschuldigen Menschen hier am Leben!«

Der Inquisitor musterte ihn kühl, dann schüttelte er den Kopf, seufzte hörbar und sagte: »Gebt Acht, dass ich Euch nicht beim Wort nehme, mein Freund.«

»Es ist mir gleich, was mit mir geschieht. Mein Schicksal ist doch ohnehin schon entschieden ...«, schnappte Thobias. Seine Stimme bebte vor Zorn.

Die Tür wurde aufgerissen und traf den jungen Inquisitor mit solcher Wucht im Rücken, dass er haltlos nach vorne stolperte und gestürzt wäre, hätte Thobias ihn nicht im letzten Moment aufgefangen. Ein junger Soldat stürmte herein und erstarrte vor Schreck, als er sah, was er angerichtet hatte. Er begann zu zittern und fiel mit gesenktem Haupt auf die Knie - ein Gebahren, das Andrej weit mehr über den Inquisitor verriet als alles, was er bisher gesehen und gehört hatte.

»Verzeiht, Herr«, stammelte er. »Ich wusste nicht, dass ...«

Der Inquisitor brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Verstummen.

»Schon gut«, sagte er. »Was ist los? Warum stürmst du einfach so hier herein?«

»Der Heide, Herr!«, antwortete der Soldat. Andrejs Herz machte einen schmerzhaften Sprung. »Der Mohr! Wir haben ihn gefangen!«

Nicht nur Andrej erschrak bis ins Mark. Auch Vater Benedikt fuhr sichtbar zusammen, und Bruder Thobias wurde kreidebleich und tauschte einen raschen Blick mit Benedikt, der dem Inquisitor aber offensichtlich entging.

»Ihr habt ihn gefangen?«, vergewisserte der sich ungläubig. »Wo? Wo ist er?«

»Er war auf dem Weg zum Kloster«, antwortete der Soldat. »Er hat zwei von uns erschlagen und drei weitere verletzt, bevor wir ihn überwältigen konnten. Sie bringen ihn gerade her!«

»Lebt er?«, fragte Thobias.

»Ja«, bestätigte der Soldat. »Wir haben ihn gefesselt. Die anderen bringen ihn her. Ich bin vorausgeeilt, um Euch Bescheid zu geben. Er wird in einer halben Stunde hier sein.«

»Gut«, sagte der Inquisitor. »Dann werden wir jetzt vielleicht endlich erfahren, was hier wirklich vorgeht.«

Er stürmte so schnell aus dem Raum, dass er den völlig eingeschüchterten Soldaten um ein Haar von den Knien gerissen hätte, und war verschwunden. Der Soldat rappelte sich mühsam auf und folgte ihm, und auch Vater Benedikt wollte sich ihm anschließen, aber Thobias hielt ihn mit einer Handbewegung und einem angedeuteten Kopfschütteln zurück. Er wartete einige Momente ab, dann ging er zur Tür, warf einen Blick nach draußen und schloss sie schließlich wieder.

»Das hätte nicht passieren dürfen«, zischte Vater Benedikt aufgebracht.

»Wieso lebt er noch? Du hast mir gesagt, er und dieser Andrej wären tot!«

»Ich war sicher«, sagte Thobias. Er hob die Schultern. »Anscheinend habe ich meine Brüder und Schwestern überschätzt.«

»Oder diesen Andrej unterschätzt«, fügte Vater Benedikt düster hinzu. »Was, wenn er auch noch am Leben ist? Wenn er gar zurückkommt?«