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Andrej versetzte ihm einen Faustschlag, der ihm auf der Stelle das Bewusstsein raubte. Benedikt erschlaffte und sank reglos zurück, und Andrej richtete sich schwer atmend auf und maß ihn mit einem verächtlichen Blick.

»Danke«, murmelte er. »All das habe ich schon, weißt du? Aber nicht um den Preis, den du dafür bezahlt hast.« Der Wolf in ihm wurde stärker. Es kostete ihn all seine Kraft, sich nicht auf die reglos daliegende Gestalt des Geistlichen zu stürzen und die Zähne in seinen Hals zu schlagen, um sein warmes, süßes Blut zu trinken. Beute. Mehr war der Mann in diesem Moment nicht mehr für ihn, und vielleicht würden Menschen nie wieder irgendetwas anderes für ihn sein, wenn der Mond das nächste Mal aufgegangen war.

Er wollte den Raum verlassen, wollte weg von hier, fort aus der Nähe dieses ... Dinges, das unmenschlicher war als all die vermeintlichen Ungeheuer, die Abu Dun und er oben in der Höhle gefunden hatten, trotz seiner menschlichen Gestalt.

Stattdessen machte er einen Schritt weiter in den Raum hinein und trat an die schmale Pritsche mit Ludowigs Leichnam.

Der Anblick versetzte ihm einen tiefen Stich. Der alte Mann, seiner Kleidung beraubt, war fast zum Skelett abgemagert, und sein ausgezehrter Körper war von zahlreichen Narben übersät; Spuren überstandener Verletzungen und schlecht verheilter Geschwüre. Er hätte so oder so nicht mehr lange gelebt, begriff Andrej, auch wenn ihm der Werwolf nicht den halben Arm abgerissen hätte - ein Werwolf, der niemand anderer, als sein eigener Sohn gewesen war.

Er fragte sich, ob Ludowig gewusst hatte, wer ihn umbrachte, oder ob Thobias wenigstens das letzte bisschen Barmherzigkeit aufgebracht haben mochte, es schnell und so zu tun, dass der alte Mann nicht sehen konnte, wer ihn angriff.

Barmherzigkeit gehörte nicht zu den Tugenden des Wesens, in das sich Thobias verwandelt hatte.

Er hörte, wie Benedikt hinter ihm wieder zu Bewusstsein kam - überraschend schnell, wenn er bedachte, wie hart er zugeschlagen hatte - verzichtete aber darauf, sich umzudrehen und ihn ein zweites Mal zu schlagen. In wenigen Augenblicken würde er die Kirche verlassen haben, und dann war es vollkommen gleich, ob Benedikt ihm Verfolger hinterherhetzen konnte oder nicht. Er war mittlerweile sogar froh, den Geistlichen nicht getötet zu haben.

Andrej empfand Genugtuung darüber, ihn - und vor allem Thobias - nicht selbst zu töten, sondern ihn der Gerechtigkeit der Inquisition zu überlassen. Er war sicher, dass Martius - vielleicht zum ersten und einzigen Mal, seit es die Heilige Römische Inquisition gab - tatsächlich Gerechtigkeit walten lassen würde. Und er ...

Der Angriff kam selbst für ihn zu schnell.

Benedikt stöhnte, und zugleich erscholl ein grässlicher, reißender Laut, und Andrej spürte, wie etwas gegen ihn prallte und ihn mit grausamer Wucht von den Beinen riss. Die Fackel entglitt seinen Händen und rollte davon. Funken sprühten, und irgendetwas begann zu brennen.

Andrej stürzte über den toten Vater Ludowig, stieß ihn mitsamt der Pritsche zu Boden und ächzte vor Schmerz, als ein harter Schlag an seinem Hals explodierte und ihm den Atem nahm. Blindlings riss er die Arme in die Höhe, stieß mit der Fackel zu und wurde mit einem schmerzerfüllten Jaulen belohnt, dass nun endgültig nichts Menschliches mehr hatte. Der Schatten, der ihn angesprungen und zu Boden geschleudert hatte, verschwand für einen Moment. Nicht lange, aber gerade lange genug, um Andrej erkennen zu lassen, dass es Benedikt war.

Nur, dass Benedikt nicht mehr Benedikt war.

Er war überhaupt kein Mensch mehr.

Sein Gewand war zerrissen, und darunter war ein missgestalteter, fellbedeckter Körper zum Vorschein gekommen, verkrüppelter und erbarmungswürdiger, als es der Birgers und seiner Familienangehörigen jemals gewesen war, ein grauenerregendes ... Ding voller nässender Geschwüre und Wucherungen, das nicht so aussah, als könne es sich überhaupt bewegen - was es aber dennoch tat, und das mit entsetzlicher Geschwindigkeit. Andrej warf sich zur Seite, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass ihn ein fürchterlicher Fußtritt traf, der ihm nicht nur den Atem nahm, sondern ihm mehrere Rippen brach und ihn an den Rand der Bewusstlosigkeit schleuderte. Er krümmte sich, riss schützend die Arme über das Gesicht und versuchte auf die Beine zu kommen, aber es blieb bei dem Versuch. Unmenschlich starke Hände packten ihn, rissen ihn in die Höhe und schmetterten ihn mit so grausamer Wucht gegen die Wand, dass er haltlos daran zu Boden sank und nun tatsächlich das Bewusstsein verlor; wenn auch nur für zwei oder drei Sekunden.

Als sich die Dunkelheit wieder von seinen Sinnen hob, stand das grauenhafte Wesen, in das sich Benedikt verwandelt hatte, breitbeinig über ihm. Sein Gesicht war ein Albtraum aus Zähnen und schaumigem Geifer, und in seinen Augen loderte die gleiche, furchtbare Gier, die auch Andrej in sich spürte, aber ungezügelter, böser. Dieses Wesen hatte längst aufgehört, gegen den Wolf in sich zu kämpfen.

Andrej fragte sich, warum er noch am Leben war. Sein ganzer Körper schien ein einziger pulsierender Schmerz zu sein, und die bloße Nähe des unheimlichen Geschöpfes allein schien ihn zu lähmen.

Es war vorbei. Er hatte schon einmal am eigenen Leib gespürt, wie unvorstellbar stark diese Geschöpfe waren, viel stärker als er selbst. Die einzige andere Waffe, die ihm zur Verfügung stand - der Vampyr in ihm, der Leben nehmen konnte, ohne sein Opfer auch nur zu berühren - war in diesem Moment zu seinem größten Feind geworden. Er zweifelte nicht daran, dass er auch diesen Werwolf auf die gleiche Weise wie den ersten hätte vernichten können - aber um den Preis, selbst zu einem dieser Ungeheuer zu werden. Er hatte bereits Kämpfe gegen diese unheimlichen Wesen ausgefochten, und einen weiteren würde er ganz bestimmt nicht gewinnen.

Wieso also tötete ihn das Wesen nicht?

Dann begriff er.

Der Werwolf war nicht gekommen, um ihn zu töten.

Er war gekommen, um ihn zu einem Wesen zu machen, wie er selbst eines war.

Andrej keuchte vor Entsetzen, als sich die schreckliche, mit fingerlangen messerscharfen Klauen bewehrte Hand des Ungetüms nach seinem Gesicht ausstreckte. Verzweifelt presste er sich gegen die Wand und versuchte vor der näher kommenden Bestie zurückzuweichen, aber das Ungeheuer folgte ihm mit Leichtigkeit. Es spielte mit ihm, genoss seine Angst und wurde mit jedem Augenblick stärker, in dem es sein Entsetzen spürte. Seine mörderische Klaue strich über Andrejs Stirn und Wange, sanft, fast liebkosend, und ohne seine Haut auch nur zu ritzen.

Andrej trat nach ihm. Er traf, aber das Monstrum wankte nicht einmal, sondern stieß nur einen schrecklichen bellenden Laut aus, der wie die grässliche Verhöhnung eines menschlichen Lachens klang.

Andrej wich weiter vor ihm zurück, bis er das Ende des Raumes erreicht hatte und es nichts mehr gab, wohin er fliehen konnte. Verzweifelt unternahm er einen erneuten Verteidigungsversuch und schrie vor Entsetzen auf, als sich die mörderische Klaue zum entscheidenden Hieb hob.

Ein peitschender, heller Laut erklang; einen Sekundenbruchteil, bevor die Stirn des Werwolfs in einer sprudelnden Wolke aus Knochensplittern und Blut auseinander flog. Das Ungeheuer brach wie vom Blitz getroffen zusammen und begrub Andrej unter sich. Die Krallen der sterbenden Bestie fuhren mit einem scharrenden Geräusch über die Wand und bohrten sich unmittelbar neben seinem Gesicht in den fest gestampften Lehm des Bodens. Andrej bäumte sich auf, stieß den sterbenden Werwolf von sich und sprang auf die Füße.