Die Kleider des Geschöpfes brannten. Andrejs Fackel hatte sein Gesicht verfehlt, aber sie hatte den Stoff seiner schwarzen Priesterrobe in Brand gesetzt, und die Flammen breiteten sich rasend schnell aus. Der Werwolf schrie vor Schmerz und Wut, versuchte Ludowig abzuschütteln und gleichzeitig mit der anderen Hand die Flammen zu ersticken, die aus seinem Gewand schlugen, aber es gelang ihm nicht. Ludowig klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an das unheimliche Wesen, das einst sein Sohn gewesen war, und es gelang ihm, Thobias aus dem Gleichgewicht zu bringen, sodass sie aneinandergeklammert gegen die Pritsche stolperten und zu Boden fielen.
Thobias schrie lauter. Die Flammen leckten über sein Gesicht, versengten sein Fell und mussten ihm heftige Schmerzen zufügen, aber all das steigerte seine Wut noch. Messerscharfe Krallen fuhren aus seinen Fingern, schlugen auf Ludowig ein, und rissen Fleischfetzen und Blut aus seinem Rücken und der Schulter.
Auch Ludowig schrie vor Schmerz. Aber er ließ nicht von seinem Opfer ab, sondern klammerte sich mit größerer Kraft an Thobias.
Andrej ergriff sein Schwert. Blitzschnell rollte er sich herum und rammte es dem Werwolf bis ans Heft in den Rücken.
Das Ungeheuer schrie. Es war ein unmenschlich hoher, spitzer Laut voller Schmerz und noch größerer Wut. In Todesangst löste er Ludowigs Griff, fuhr herum und streckte die schrecklichen Klauen nach Andrej aus.
Plötzlich erstarrte er. Aus seinem Schrei wurde ein Krächzen, dann ein Wimmern. Er machte einen letzten, taumelnden Schritt, griff mit beiden Händen nach der Schwertklinge, die aus seiner Brust ragte und fiel auf die Knie. Sein Wimmern erstarb.
Andrej schoss in die Höhe, zog das Schwert aus dem Rücken des Werwolfes und wich hastig einen halben Schritt zurück, die Waffe mit beiden Händen zum Zuschlagen bereit erhoben. Aber er wusste, dass er sie nicht mehr nötig hatte. Der Werwolf war tot. Die Dunkelheit in ihm war im gleichen Moment erloschen, in dem das Leben Thobias verlassen hatte.
»Gott im Himmel«, murmelte Martius. »Was ...?« Er erwachte urplötzlich aus der Lähmung, in der er die ganze Zeit verharrt und dem schrecklichen Geschehen zugesehen hatte, war mit einem Satz neben Ludowig und schlug mit bloßen Händen die Flammen aus, die aus dem schwarzen Fell auf seinem Arm und seiner Schulter züngelten. »Vater Ludowig! Was ist mit Euch? Was hat Euch dieses Ungeheuer angetan?!«
Ludowig wälzte sich stöhnend auf den Rücken und schob Martius' Hände fort. Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, aber Andrej ahnte, dass es nicht der körperliche Schmerz war, der ihn wimmern ließ.
»Wir müssen raus hier«, entschied Andrej. Er steckte das Schwert ein und hob den Fuß, um die Flammen auszutreten, die aus Thobias Gewand leckten. Das Feuer hatte bereits auf die Tür und den Rahmen übergegriffen, und in dem alten, trockenen Holz breiteten sich die Flammen mit unheimlicher Schnelligkeit aus.
Die Luft war schon jetzt heiß und so voller Qualm, dass man kaum noch atmen konnte.
»Martius! Ludowig! Schnell!«
Tatsächlich wollte Martius nach dem alten Mann greifen, aber Ludowig schlug seine Hand beiseite und richtete sich in eine halb sitzende Position auf.
»Geht«, flüsterte er. »Bringt Euch in Sicherheit.«
»Ihr versteht anscheinend nicht«, rief Andrej verzweifelt. »Die Kirche wird niederbrennen!«
»Laßt mich«, beharrte Ludowig. Sein Blick suchte den verkrümmt daliegenden Körper dessen, der einst sein Sohn gewesen war, und plötzlich erschien ein Ausdruck in seinen Augen, der Andrej einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ludowig würde sie nicht begleiten, das begriff er.
»Ich bleibe hier.«
»Dann werdet Ihr sterben«, sagte Martius leise. Er bekreuzigte sich.
Ludowig sah ihn an. »Ihr wisst, dass ich bleiben muß«, sagte er. »Geht. Aber ... verschont die anderen, ich beschöre Euch.«
»Die anderen?«
»Die Menschen hier im Ort sind unschuldig«, flüsterte Ludowig. Seine Stimme wurde schwächer, und mit seinem Körper begann eine unheimliche Veränderung vonstatten zu gehen. Andrej konnte spüren, wie sich Ludowigs Seele auflöste.
Martius musste es wohl auch spüren, denn obwohl die Hitze immer größer wurde und die Flammen immer rascher um sich griffen, machte er keinen Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, sondern starrte nur aus dunklen Augen auf den sterbenden alten Mann herab.
»Ihr verlangt viel von mir, Vater Ludowig«, sagte er heiser. »Vielleicht mehr, als ich Euch versprechen kann.«
»Es ... es ist vorbei, Martius«, murmelte Ludowig. Seine Stimme wurde leiser, fast mit jedem Wort, das er sprach. »Thobias und ich waren ... die Letzten. Gefährdet nicht Euer Seelenheil, indem ihr Unschuldige tötet. Und jetzt geht. Schnell!«
Martius schien noch etwas erwidern zu wollen, aber Andrej ließ ihm keine Zeit dazu. Ludowig hatte Recht. Alles brannte lichterloh. Noch während der Inquisitor versuchte sich zu bekreuzigen, packte Andrej ihn am Arm und riss ihn mit sich.
Als sie die Tür erreichten, fing die Decke Feuer. Eingehüllt in Flammen und dicken, erstickenden Qual stolperten sie aus dem Raum und noch einige Schritte weiter, bis Martius endgültig das Gleichgewicht verlor und auf die Knie fiel. Auch seine Robe hatte Feuer gefangen. Andrej beförderte ihn mit einem Stoß endgültig zu Boden, warf sich über ihn und versuchte, die Flammen mit seinem eigenen Körper und bloßen Händen zu ersticken. Drei Soldaten eilten herbei, packten ihn und zerrten ihn mit grober Gewalt von Martius weg. Er wurde zu Boden geworfen, und eine Speerspitze richtete sich drohend auf sein Gesicht.
»Aufhören!«
Andrej atmete erleichtert auf. Als er sich hochzustemmen versuchte, stieß die Speerspitze erneut nach seinem Gesicht, schrammte über seine Wange und hinterließ einen tiefen, blutigen Kratzer darauf. Andrej hob hastig die Hand an die Wange, um die Wunde zu verbergen, ließ sich aber zugleich wieder zurücksinken, um dem übereifrigen Soldaten keinen Vorwand zu liefen, ihn endgültig niederzustechen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie zwei, drei Männer zugleich auf die Flammen in Martius' Gewand einschlugen und sie endgütig erstickten.
Mühsam, aber sehr schnell, stemmte sich der Inquisitor in die Höhe und scheuchte die Männer davon. »Verschwindet! Mir fehlt nichts! Raus hier - und bringt die Menschen in Sicherheit. Sofort!«
Nicht alle Soldaten gehorchten. Die meisten eilten hastig davon, aber zwei oder drei bleiben stehen und starrten abwechselnd Andrej und den Inquisitor an. Einer versuchte sogar, sich der Tür zu nähern und die Flammen zu ersticken, die mittlerweile auch die Außenseite des Rahmens in Brand gesetzt hatten und gierig nach den Stützbalken leckten. Nur noch wenige Minuten, dachte Andrej, und die gesamte Kirche würde in Flammen aufgehen. Keine Macht der Welt konnte das noch verhindern.
»Habt ihr mich nicht verstanden?«, schnappte Martius. »Raus hier! Draußen im Kirchenschiff sind Menschen, die eure Hilfe brauchen! Bringt sie in Sicherheit!«
Auch die letzten Soldaten suchten nun das Weite, und endlich wagte es Andrej, vorsichtig aufzustehen. Seine Finger fuhren über das Blut auf seiner Wange. Die Schnittwunde darunter war verschwunden. Auch Martius war diese weitere schnelle Heilung nicht entgangen, wie sein Blick deutlich machte. Andrej begann zu einer Erklärung anzusetzen, beließ es dann aber bei einem angedeuteten Achselzucken.
Aus der offen stehenden Tür hinter ihnen schlugen weitere Flammen, und dahinter tobte ein Sturm aus weißer und gelber Glut. Für einen entsetzlichen Moment glaubte Andrej, eine Bewegung inmitten der tobenden Höllengluten zu sehen. Aber vermutlich hatte er sich getäuscht, und es war nichts anderes als ein Trugbild, entstanden aus dem Tanz der Flammen und seiner eigenen Furcht.