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Tadelnd entgegnete der Schutzmann:

»Alles zu seiner Zeit.« Damit verschwand er durch die Glastür.

Wieder schien eine Ewigkeit zu vergehen. Dann hörte Lou das Geräusch eines nahenden Wagens, und nach einem gewissen Zeitraum, der Lou wie eine Stunde vorkam, in Wirklichkeit aber nur drei Minuten umfaßte, wurden zuerst Mrs. Cresswell und dann Lou von einem Polizeiwachtmeister befreit, der etwas besser auf dem Posten zu sein schien als der ursprüngliche Schutzmann.

»Miss Greenshaw?« Lous Stimme stockte. »Was - was ist eigentlich geschehen?«

Der Wachtmeister räusperte sich.

»Es tut mir leid«, sagte er, »Ihnen mitteilen zu müssen, Madam, Miss Greenshaw ist tot.«

»Ermordet«, fügte Mrs. Cresswell hinzu.

Der Wachtmeister bemerkte zweifelnd:

»Könnte auch ein Unglücksfall sein - vielleicht haben ein paar Buben mit Pfeil und Bogen geschossen.«

Wieder hörte man, wie ein Wagen ankam..

»Das wird der Polizeiarzt sein«, meinte der Wachtmeister

195 und begab sich nach unten.

Aber es war nicht der Polizeiarzt. Als Lou und Mrs. Cresswell die Treppe hinunterstiegen, trat ein junger Mann zögernd durch die Haustür und blieb, mit etwas verwirrter Miene Umschau haltend, stehen.

Dann fragte er mit angenehmer Stimme, die Lou irgendwie bekannt vorkam - vielleicht ähnelte sie Miss Greenshaws Stimme -:

»Entschuldigen Sie bitte, wohnt hier - hm - Miss Greenshaw?«

»Dürfte ich um Ihren Namen bitten«, sagte der Wachtmeister, der auf ihn zutrat.

»Fletcher«, erwiderte der junge Mann. »Nat Fletcher. Ich bin Miss Greenshaws Neffe.«

»Tja, Sir, es tut mir sehr leid -«

»Ist etwas passiert?« fragte Nat Fletcher.

»Es hat sich ein - Unglücksfall ereignet. Ihre Tante wurde von einem Pfeil getroffen - er hat die Schlagader durchdrungen ...«

Mrs. Cresswell sprach hysterisch und ohne ihre übliche Affektiertheit: »Ihre Tante ist ermordet worden. Das ist es, was passiert ist. Ihre Tante ist ermordet.«

Inspektor Welch zog seinen Stuhl etwas näher an den Tisch und ließ seinen Blick der Reihe nach über die vier Anwesenden im Zimmer wandern. Es war der Abend desselben Tages. Er hatte bei den Wests vorgesprochen, um sich noch einmal Lou Oxleys Aussage wiederholen zu lassen.

»Sind Sie ganz sicher, daß sie rief: >Getroffen - er hat auf mich geschossen - mit einem Pfeil - holen Sie Hilfe <?«

Lou nickte.

»Und die Zeit?«

»Ich sah ein paar Minuten später auf meine Uhr, da war es zwölf Uhr fünfundzwanzig.«

»Geht Ihre Uhr genau?«

»Ich habe auch auf die Kaminuhr gesehen.«

Der Inspektor wandte sich an Raymond West.

»Ungefähr vor einer Woche haben Sie, Sir, und ein gewisser Mr. Horace Bindler offenbar Miss Greenshaws Testament als Zeugen unterschrieben. Stimmt's?«

In kurzen Umrissen schilderte Raymond die Ereignisse jenes Nachmittags, an dem er und Horace Bindler Greenshaws Monstrum einen Besuch abgestattet hatten.

»Diese Aussage mag von großer Wichtigkeit sein«, sagte Welch.

»Miss Greenshaw hat Ihnen also deutlich gesagt, daß sie ein Testament zugunsten der Haushälterin, Mrs. Cresswell, gemacht habe und Mrs. Cresswell keinen Lohn zahle im Hinblick auf das Erbe, das sie bei ihrem Tode zu erwarten habe?«

»Ja, das hat sie mir gesagt.«

»Sind Sie der Ansicht, daß Mrs. Cresswell definitiv darüber Bescheid wußte?«

»Das möchte ich ohne weiteres behaupten. Miss Greenshaw machte in Gegenwart von Mrs. Cresswell eine Anspielung darauf, daß Erben das Testament nicht als Zeugen unterschreiben könnten, und Mrs. Cresswell verstand offensichtlich, was damit gemeint war. Außerdem erwähnte Miss Greenshaw mir gegenüber, daß sie die Sache so mit Mrs. Cresswell arrangiert habe.«

»Mrs. Cresswell hatte also allen Grund zu der Annahme,

daß sie durch Miss Greenshaws Tod profitieren würde. Das Motiv in ihrem Fall ist deutlich genug, und sie würde wohl unsere Hauptverdachtsperson sein, wenn sie nicht, ebenso wie Mrs. Oxley, fest in ihrem Zimmer eingeschlossen gewesen wäre und Miss Greenshaw nicht definitiv gesagt hätte, ein Mann habe auf sie geschossen.«

»War sie bestimmt in ihrem Zimmer eingeschlossen?«

»Ja. Wachtmeister Cayley hat sie herausgelassen. Es ist ein großes altmodisches Schloß mit einem großen altmodischen Schlüssel. Der Schlüssel steckte im Schloß, und es ist ganz unmöglich, daß er von innen hätte umgedreht werden können oder ähnliche Mätzchen. Nein, Sie dürfen sich darauf verlassen, daß Mrs. Cresswell in dem Zimmer eingeschlossen war und nicht heraus konnte. Auch waren weder Bogen noch Pfeile im Zimmer vorhanden, ganz abgesehen davon, daß Miss Greenshaw überhaupt nicht von einem Fenster aus getroffen werden konnte. Der Winkel stimmt nicht. Nein, Mrs. Cresswell kommt nicht in Betracht.«

Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »War Miss Greenshaw Ihrer Meinung nach zu Schabernack aufgelegt?«

Miss Marple in ihrer Ecke wurde hellhörig.

»Dann war das Testament doch nicht zu Mrs. Cresswells Gunsten, wie?« fragte sie.

Inspektor Welch warf ihr einen höchst erstaunten Blick zu.

»Das haben Sie sehr klug erraten, Madam«, sagte er. »Nein. Mrs. Cresswell ist nicht zur Erbin ernannt.«

»Genau wie Mr. Naysmith«, meinte Miss Marple und nickte vor sich hin. »Miss Greenshaw vertraute Mrs. Cresswell an, daß sie ihr alles hinterlassen würde, und drückte sich auf diese Weise davor, ihr den Lohn auszuzahlen. Und dann vermachte sie ihr Geld einem anderen. Zweifellos war sie sehr mit sich zufrieden. Kein Wunder, daß sie sich eins ins Fäustchen lachte, als sie das Testament in Lady Audleys Geheimnis versteckte.«

»Ein Glück, daß Mrs. Oxley uns darüber Auskunft geben konnte«, meinte der Inspektor. »Sonst hätten wir recht lange danach suchen können.«

»Ein viktorianischer Sinn für Humor«, murmelte Raymond West.

»Dann hat sie also letzten Endes doch ihrem Neffen alles vermacht.«

Der Inspektor schüttelte den Kopf.

»Nein«, erwiderte er. »Nat Fletcher ist nicht der Erbe. Es geht das Gerücht um - ich bin natürlich hier fremd und bekomme allen Tratsch aus zweiter Hand - wie gesagt, es heißt, daß in den alten Tagen Miss Greenshaw ebenfalls in den hübschen jungen Reitlehrer verliebt war. Aber die Schwester zog mit dem Preis von dannen. Nein, sie hat ihrem Neffen nichts hinterlassen.« Er hielt inne und rieb sich das Kinn. »Alfred ist der lachende Erbe«, schloß er.

»Alfred - der Gärtner?« kam es überrascht von Joans Lippen.

»Ja, Mrs. West. Alfred Pollock.«

»Warum aber nur?« rief Lou.

Miss Marple räusperte sich und murmelte:

»Vielleicht irre ich mich, aber ich könnte mir vorstellen, daß da sogenannte Familiengründe mitgespielt haben.«

»So könnte man es bezeichnen«, pflichtete ihr der Inspektor bei.

»Es ist anscheinend im ganzen Dorf bekannt, daß Thomas Pollock, Alfreds Großvater, ein außereheliches Produkt des alten Mr. Greenshaw war.«

»Aber natürlich«, rief Lou, »die Ähnlichkeit! Die habe ich heute morgen festgestellt.«

Sie erinnerte sich daran, wie sie nach der Begegnung mit Alfred ins Haus gekommen war und das Porträt des alten Greenshaw betrachtet hatte.

»Wahrscheinlich nahm sie an«, ließ sich Miss Marple hören, »daß Alfred Pollock stolz auf das Haus sein würde, und vielleicht sogar darin wohnen möchte, während ihr Neffe fast mit Sicherheit kein Interesse daran haben und es so rasch wie möglich verkaufen würde. Er ist Schauspieler, nicht wahr? In was für einem Stück tritt er eigentlich im Augenblick auf?«

Immer müssen sie vom Thema abschweifen, diese alten Damen, dachte Inspektor Welch, aber er beantwortete höflich ihre Frage.

»Ich glaube, Madam, sie führen in dieser Saison James Barries Stücke auf.«