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»Ach was, Doc, schließlich werden jeden Tag Hunde überfahren. Vielleicht folgte er gerade einer Spur, die über die Straße lief, und paßte deshalb nicht genug auf. Nein, wo kämen wir denn hin, wenn wir jeden Fall genau untersuchen wollten, wo ein Hund durch eigene Unvorsichtigkeit überfahren wird!«

»Vielleicht haben Sie recht, aber ... Hören Sie, Sheriff, ist Ihnen an diesem neuen Selbstmord etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Gross war fürchterlich zugerichtet. Anscheinend hat er sich den Lauf seiner Schrotflinte in den Mund gehalten und dann den Abzug betätigt. Meine Leute haben jedenfalls über eine Stunde gebraucht, um die Küche einigermaßen in Ordnung zu bringen.«

»Wollen Sie den Fall vor eine Jury bringen?«

»Warum denn, nachdem ein von ihm geschriebener Abschiedsbrief vorliegt? Das wäre nur eine überflüssige Vergeudung von Steuergeldern. Trinken wir noch einen Schluck, bevor wir zum Essen gehen?«

Als sie dann beide vor einer Tasse Kaffee nach dem Essen saßen, wiederholte Staunton seine Frage nach den Begleitumständen des Selbstmordes.

»Einige Kleinigkeiten sind in der gleichen Nacht passiert«, gab der Sheriff zu, »aber keine davon steht in Verbindung mit dem Selbstmord. Gegen Mitternacht flog eine Eule durch das Fenster – durch die Scheibe, meine ich –, und Gross mußte sie erschießen, weil sie sich dabei einen Flügel gebrochen hatte.«

»Mit derselben Schrotflinte?«

»Nein, natürlich nicht. Dafür benutzte er einen Zimmerstutzen. Ungefähr drei Stunden später erschoß er sich dann selbst. Ich vermute, daß er nicht wieder einschlafen konnte und daran dachte, wie er die Eule von ihren Schmerzen befreit hatte, während er selbst weiterleiden mußte. Und nachdem er lange genug gegrübelt hatte, ging er in die Küche hinunter und beging Selbstmord – durch Erschießen.«

Staunton zog die Augenbrauen zusammen. »Ist Gross mit der Eule in Berührung gekommen?«

»Nein – oder jedenfalls erst, nachdem der Vogel tot war. Gross warf ihn aus dem Fenster und sagte seiner Frau, daß er ihn am nächsten Morgen eingraben wolle.« Der Sheriff nahm einen Schluck Kaffee. »John Loursat, sein Nachbar, hat das heute erledigt. Und auch die Katze. Gross' Katze ist in der vergangenen Nacht irgendwie in Loursats Stall geraten und von seinem dort angeketteten Hund zerrissen worden.«

Doc Staunton holte tief Luft und stieß einen überraschten Pfiff aus. »Eine Eule und eine Miezekatz', die fuhren einst zur See ...«, murmelte er dann fast unhörbar vor sich hin.

»Wie bitte?« Der Sheriff sah neugierig auf.

»Nur eine Zeile aus einem komischen Gedicht von Edward Lear«, erklärte Doc. »Sheriff, haben Sie schon einmal gehört, daß eine Eule durch eine Fensterscheibe fliegt?«

»Bei Eulen könnte ich es nicht beschwören, Doc, aber andere Vögel tun es verhältnismäßig oft. Gegen mein Wohnzimmerfenster prallt mindestens einmal im Monat einer. Meistens Spatzen. Gewöhnlich rappeln sie sich nach kurzer Zeit wieder auf und flattern davon, aber manchmal bricht sich auch einer den Hals dabei.« Er trank seinen Kaffee aus. »Fertig zum Abmarsch? Wollen Sie mit mir fahren, oder in Ihrem eigenen Wagen, damit Sie unabhängig von mir nach Hause fahren können?«

10

Der Parasit hatte einiges dazugelernt, das ihn überraschte, obwohl er gewiß nicht leicht zu verblüffen war.

Nachdem Siegfried Gross Selbstmord begangen hatte, war er die meiste Zeit absichtlich in seinem eigenen Körper unter der Treppe geblieben, um von dort aus mit Hilfe seines Spürsinns die Ereignisse verfolgen zu können, die sich in dem Farmhaus abspielten.

Vor allem überraschte ihn die Aufregung und die Betriebsamkeit, die dieser Selbstmord eines Menschen hervorrief, obwohl doch der Abschiedsbrief deutlich genug besagte, daß Gross sich selbst erschossen hatte. Was seitdem in der Küche vor sich gegangen war, stellte für den Parasiten eine wertvolle Bereicherung seiner Kenntnis menschlicher Sitten und Gebräuche dar.

Nachdem der Schuß gefallen war, dauerte es nur wenige Sekunden, bis die Ereignisse sich überstürzten. Elsa Gross kam die Treppe heruntergelaufen und riß die Küchentür auf – und zeigte sich wesentlich aufgeregter und betroffener, als der Parasit angenommen hatte, nachdem er erfahren hatte, daß sie und ihr Mann nicht mehr sehr aneinander hingen.

Zuerst war sie vor Schreck fast ohnmächtig geworden. Dann hatte sie sich hastig angezogen und war zu den Loursats hinübergelaufen, denen die Farm gehörte, auf der die Katze ihre Befähigung als Wirt bewiesen hatte, indem sie für den Parasiten spionierte. Dort wurde auch der Hund gehalten, der ihn freundlicherweise von seinem Wirt befreit hatte, indem er dem Leben der Katze ein Ende setzte.

Etwa eine halbe Stunde später war Elsa Gross in Loursats Begleitung zurückgekehrt. Ihrer Unterhaltung entnahm der Parasit, daß der Farmer den Sheriff angerufen hatte, der innerhalb der nächsten Stunde kommen wollte; Loursat hatte Mrs. Gross begleitet, um mit ihr auf den Sheriff zu warten. Seine Frau wäre ebenfalls mitgekommen, wenn ihr Kind nicht krank gewesen wäre.

Loursat las den Abschiedsbrief mehrmals und schüttelte dabei verwundert den Kopf. Dann verließ er die Küche, ohne dort etwas verändert zu haben, und ging in das Wohnzimmer hinüber, wo er mit Mrs. Gross sprach.

Der Parasit erfuhr, daß Elsa Gross trotz des Abschiedsbriefs den plötzlichen Selbstmord ihres Mannes nicht verstand. Gewiß, manchmal hatte er heftige Schmerzen gehabt, aber nie so sehr, daß er deswegen Selbstmordgedanken geäußert hätte. Am vergangenen Abend hatte er sich völlig normal benommen und nicht über Schmerzen geklagt, bis gegen Mitternacht eine Eule durch das Fenster krachte und das Ehepaar aus dem Schlaf riß. Loursat erkundigte sich nach näheren Einzelheiten und erhielt eine ausführliche Schilderung der Ereignisse.

»Merkwürdig, daß einer Eule so etwas passiert«, meinte Loursat nachdenklich. »Ich kann mir gar keinen Grund dafür vorstellen. Man könnte fast glauben, daß eine Seuche umgeht – Sie haben doch von Tommy Hoffmann gehört, nicht wahr?«

Mrs. Gross schüttelte verneinend den Kopf. Loursat berichtete in nüchternen Worten von Tommys Selbstmord.

Gegen drei Uhr morgens traf der Sheriff mit einem Krankenwagen, zwei Polizisten und dem Coroner ein.

Der Parasit verfolgte die Fragen und Antworten, die sich nun in rascher Folge abwechselten, und bemerkte, wie ernst die Menschen den Selbstmord eines ihrer Mitmenschen nahmen.

Am nächsten Tag lernte er sogar noch mehr. Die Nachbarn kamen zu kurzen Beileidsbesuchen, wobei sie Mrs. Gross ihre Hilfe anboten. Auch Loursat kehrte noch einmal zurück und überbrachte die traurige Nachricht, daß seine Hündin die Katze zu Tode gebissen hatte, die irgendwie in den Stall geraten war. Dann kamen noch mehr Nachbarn.

Gegen Mittag vermißte Mrs. Gross die Fleischbrühe und die Soße. Der Parasit wußte, daß sie nach ihnen suchte, denn sie räumte den Kühlschrank völlig aus und schüttelte dabei immer wieder den Kopf.

Kurze Zeit später war der Sheriff zurückgekommen, aber diesmal brachte er einen Fremden mit. Er teilte Mrs. Gross mit, daß es nun doch zu einer Verhandlung vor einer Jury kommen werde, die aber angesichts des Abschiedsbriefes als bloße Formalität zu betrachten sei. Er schlug vor, die Verhandlung am Nachmittag des folgenden Tages abzuhalten, und versprach, daß er Mrs. Gross im Auto mitnehmen und wieder zurückbringen werde.

Dann stellte er ihr den Mann vor, der ihn begleitete, und erklärte, daß Mr. Staunton ein Wissenschaftler sei, der in der Nähe von Bartlesville Urlaub mache und sich für die merkwürdigen Begleiterscheinungen von Tommy Hoffmanns Selbstmord interessiere. Und nachdem nun noch ein Selbstmord vorgekommen sei, wäre er ihr sehr verbunden, wenn sie ihm einige Fragen beantworten wolle, die er an sie richten möchte.