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»Ich habe noch nie eine gesehen, die sich so benimmt«, stellte Charlotte fest. »Sie sieht uns richtig freundlich an und scheint gar keine Angst vor uns zu haben. Vielleicht hat jemand sie gezähmt, bis sie dann doch fortgelaufen ist – aber jedenfalls fürchtet sie sich nicht vor Menschen.«

»Kann schon sein. Sonst rennen sie immer gleich fort. Okay, Mausi, jetzt mußt du Platz machen, sonst steigen wir über dich hinweg.«

»Einen Augenblick«, warf Charlotte ein und ließ seinen Arm los. »Sie ist so zahm, daß sie sich bestimmt aufheben läßt.«

Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, beugte Charlotte sich nieder, streckte die Hand aus und hielt die kleine Maus fest. Charlotte bewegte sich so rasch, daß weder Tommy protestieren konnte (falls er gewollt hätte) noch die Maus fortlaufen konnte (falls sie gewollt hätte).

»Oh, Tommy, ist sie nicht süß?«

»Okay, dann ist sie eben süß. Aber du willst sie doch nicht etwa mitnehmen, Charlotte? Du kannst sie schließlich nicht festhalten, wenn wir ...«

»Ich lasse sie gleich wieder laufen, Tommy. Ich wollte nur sehen, ob sie sich wirklich aufheben lassen würde. Und sie ein bißchen streicheln. Au!« Sie ließ die Maus fallen. »Das kleine Biest hat mich gebissen!«

Die Feldmaus lief einige Meter weit fort, blieb dann stehen und sah sich um, ob sie verfolgt wurde. Die beiden Menschen standen immer noch an der gleichen Stelle; sie sahen ihr nicht einmal nach und hatten keine Bewegung in ihre Richtung gemacht.

»Tut es weh, Liebling?« fragte Tommy besorgt.

»Nein, eigentlich gar nicht. Es hat mich nur im Augenblick erschreckt.« Sie sah zufällig zu Boden. »Tommy! Sieh doch!«

Die kleine Maus kam auf sie zu gerannt. Sie begann an Tommys Hosenbein heraufzuklettern. Er wischte sie mit einer raschen Handbewegung von sich ab, so daß sie sich mehrmals überschlug. Aber sie griff ihn sofort wieder an – falls sie ihn wirklich angreifen wollte. Diesmal hatte Tommy sie genau beobachtet und war darauf vorbereitet. Er hob den Fuß und trat fest auf. Dann stieß er die Überreste der Maus mit der Schuhspitze vom Weg.

»Tommy! Mußte das sein ...?«

Sein Gesichtsausdruck war ernst, als er sich zu ihr umdrehte. »Charlotte, das Tier muß die Tollwut gehabt haben, denn sonst hätte es mich nicht zweimal angefallen. Wenn die Stelle blutet, wo sie dich gebissen hat, dann müssen wir so schnell wie möglich in die Stadt zurück. Und das Tier mitnehmen, damit es auf Tollwut untersucht werden kann. Wo hat die Maus dich gebissen, Charlotte?«

»Hier – hier oberhalb der Brust. Aber ich glaube nicht, daß die Stelle blutet – die Zähne sind gar nicht durch den Pullover gedrungen. Eigentlich hat sie mich nur gezwickt. Es hat nicht richtig weh getan, ich habe sie nur aus Schreck fallen lassen.«

»Wir müssen trotzdem nachsehen. Zieh den Pullover ... Nein, wir sind schon fast dort. Die eine Minute spielt bestimmt keine Rolle, und hier könnte jemand kommen.«

Er nahm sie bei der Hand und eilte so rasch weiter, daß sie beinahe rennen mußte, um mit ihm Schritt zu halten.

»Sieh mal, Tommy, eine Schildkröte«, sagte sie einen Augenblick später.

Er blieb nicht stehen. »Hast du heute nachmittag nicht schon genug mit Tieren gespielt? Komm, Liebling!«

Noch wenige Schritte, dann verließen sie den Weg, bogen das Gebüsch zur Seite und strebten auf die kleine Lichtung zu, die sie gemeinsam entdeckt hatten und seitdem als ihr persönliches Eigentum betrachteten. Der grasbewachsene Fleck war auf allen Seiten von dichtem Unterholz umgeben und gleichzeitig weit genug vom Weg entfernt, daß ihre Stimmen nicht bis dorthin drangen. Und außerdem war diese Stelle leicht erreichbar – jedenfalls für junge Menschen, für die ein drei Kilometer langer Spaziergang ein Vergnügen und keine Anstrengung bedeutete.

Sie waren beide jung und sehr verliebt. Tommy Hoffmann war siebzehn, Charlotte Garner sechzehn Jahre alt. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten als Kinder miteinander gespielt und besuchten jetzt dieselbe Schule. Jetzt gingen sie sogar in die gleiche Klasse, denn Tommy, der keinen übermäßigen Lerneifer bewies, war einmal sitzengeblieben.

Vor einem halben Jahr hatten sie beschlossen, daß sie so bald wie möglich heiraten würden. Tommy hatte sofort die Schule aufgeben wollen, um Charlotte heiraten zu können, denn seiner Meinung nach stand dem nichts im Wege. Er konnte mit seiner jungen Frau bei seinem verwitweten Vater leben, dessen einziger Sohn er war. Mr. Hoffmanns Haus war groß genug, daß sie alle darin wohnen konnten, Tommy würde seinem Vater ganztägig helfen, während Charlotte den Haushalt führte. Warum sollten sie also noch zwei Jahre warten? Wozu mußte ein Farmer die Oberschule abgeschlossen haben?

Schließlich einigten sich die beiden jungen Leute mit Charlottes Eltern und Tommys Vater auf einen Kompromiß. Sie würden noch ein Jahr lang warten und weiter in die Schule gehen, bis Tommy achtzehn war. Dann würden sie mit Erlaubnis der Eltern austreten und heiraten.

Das war vor einem halben Jahr gewesen, und jetzt hatten sie nur noch ein weiteres halbes Jahr zu warten. In gewisser Beziehung hatten sie das Warten allerdings bereits vor einigen Wochen aufgegeben, ohne deswegen moralische Bedenken zu haben. Nun waren sie zum viertenmal hierher gekommen, und auch diesmal war es wunderbar; aber diesmal war es anders, obwohl sie nichts davon ahnten.

Diesmal wurden sie von einem Wesen beobachtet, das durch Bäume und Gebüsch hindurchsehen konnte, das schrecklicher war als alles, was die beiden sich je in einem Alptraum hätten vorstellen können.

2

Der Parasit beobachtete aufmerksam. Allerdings nicht aus Neugier, denn eine Empfindung dieser Art war ihm völlig fremd. Er selbst war geschlechtslos. Seine Artgenossen vermehrten sich durch Zellteilung, so daß aus einem zwei wurden, wie es auf der Erde nur bei den niedrigsten Lebensformen zu beobachten ist.

Aber er verfolgte die Ereignisse trotzdem aufmerksam, nachdem er begriffen hatte, was dort geschah. Jetzt erkannte er, daß er bald einen geeigneten Wirt finden würde, denn er wußte aus Erfahrung, daß intelligente Lebewesen, die sich in ähnlicher Weise paarten, im Anschluß daran zu schlafen pflegten.

Wenn einer der beiden schlief, würde der Parasit von ihm Besitz ergreifen. Wenn sie beide einschliefen, wollte er das männliche Wesen nehmen, das entschieden größer und stärker als das weibliche war. Vermutlich auch intelligenter. Das weibliche Wesen schlief zuerst ein, aber auch das männliche schloß die Augen und atmete flach und gleichmäßig. Der Parasit wußte, daß seine Wartezeit sich dem Ende näherte.

Dann schlief das männliche Wesen ein, und der Parasit ergriff Besitz von ihm. Es kam zu einem kurzen aber erbitterten Kampf, als Tommys Geist sich verzweifelt gegen den Eindringling wehrte. Das war zu erwarten gewesen, denn alle intelligenten Lebewesen leisteten je nach dem Grad ihrer Intelligenz mehr oder weniger Widerstand. Bei Tieren war dieser Widerstand unbedeutend – der Parasit hatte nur den Bruchteil einer Sekunde gebraucht, um von dem kleinen Vierfüßler Besitz zu ergreifen.

Diesmal benötigte er dazu etwa eine Sekunde, was den Durchschnittswert für ein nicht übermäßig intelligentes Lebewesen darstellte. Dann kontrollierte er Tommy Hoffmanns Geist und damit auch Tommys Körper. Dieser Zustand völliger Unterwerfung und Abhängigkeit würde erst mit dem Tod enden, wenn entweder Tommy oder der Parasit den Tod fand.

Der Parasit hatte jetzt Tommys Gedächtnis, seine Erinnerungen und sein – allerdings beschränktes – Wissen zur Verfügung. Aber er wollte sich zunächst noch nicht damit befassen, sondern zunächst sein wichtigstes Vorhaben ausführen.