Mrs. Gross war durchaus bereit dazu und nötigte die beiden Männer sogar zu einer Tasse Kaffee.
Mr. Stauntons Neugier erwies sich als beinahe unersättlich. Er stellte unendlich viele Fragen, die Mrs. Gross sämtlich gewissenhaft beantwortete. Dabei erfuhr er auch von dem Tod der Katze und den Dingen, die aus dem Kühlschrank verschwunden waren. Und dann wollte er wieder nähere Einzelheiten wissen. Er schien sowohl aufgeregt als auch verwirrt zu sein.
Der Parasit konnte nun vor allem auch feststellen, wie sehr er die Neugier der Menschen unterschätzt hatte. Allerdings stammte sein Wissen über diesen Punkt aus dem unreifen und trägen Geist eines Jungen – Tommy hatte sich nie für ungelöste Probleme interessiert, sondern die Welt stets so genommen, wie sie sich ihm darbot. Auch sein zweiter Informant war in dieser Beziehung nicht viel besser gewesen – ein starrsinniger alter Mann, der sich um nichts kümmerte, was außerhalb seines begrenzten Horizonts lag.
Aber dieser Staunton schien beiden weit überlegen zu sein, soweit der Parasit dies aus den Fragen erkennen konnte, die er Mrs. Gross stellte. Und der Sheriff hatte erwähnt, daß er ein Wissenschaftler sei. Auf welchem Gebiet? Seinen Fragen nach zu urteilen, war er wohl kaum Naturwissenschaftler; aber selbst unter diesen Umständen würde er immer noch einen besseren Wirt abgeben als der Radiomechaniker in Bartlesville.
Als Staunton und der Sheriff aufbrachen, fiel dem Parasiten ein, daß er eigentlich diesen möglicherweise geeigneten Wirt weiterhin beobachten müßte, um festzustellen, wo der Mann wohnte und welche Fähigkeiten er besaß. Als ihm dieser Gedanke kam, waren die beiden Männer schon zu ihren Wagen unterwegs, die auf der Straße standen, und er suchte in aller Eile nach einem Wirt, der dem Auto zu folgen vermochte, in dem Staunton fortfahren würde.
Zuerst dachte er an das Pferd im Stall, gab den Gedanken daran aber sofort wieder auf, obwohl das Tier zufällig gerade schlief. Wie bereits gesagt, er hatte etwas dazugelernt. Das Pferd hätte aus dem Stall ausbrechen und das Auto verfolgen können, aber dadurch hätte es unnötiges Aufsehen erregt und den Plan des Parasiten gefährdet. Pferde brachen nun einmal nicht aus Ställen aus und galoppierten hinter Autos her.
Er dachte an einen Vogel. Zunächst an einen Habicht, weil er schnell war, aber im Augenblick schlief keiner innerhalb seiner Reichweite. Dann an eine Eule, weil diese Tiere tagsüber schliefen – aber ihm fiel ein, daß Eulen viel zu langsam flogen, um einem Auto folgen zu können.
Dann fiel ihm ein Spatz ein; er wußte zwar nicht, wie schnell ein Spatz fliegen konnte, aber sie waren überall anzutreffen, so daß er sicher damit rechnen durfte, zumindest einen schlafend vorzufinden.
Der Spatz, von dem er schließlich Besitz ergriff, hatte in einem Baum geschlafen, der etwa zweihundert Meter von dem Haus entfernt stand. Als der Vogel aufflog, bemerkte der Parasit, daß er zu lange gezögert hatte – die beiden Autos, die vor der Farm auf der Straße gestanden hatten, fuhren bereits in verschiedene Richtungen davon und waren nun schon so weit entfernt, daß keine Einzelheiten mehr zu unterscheiden waren. Außerdem mußte er feststellen, daß der Spatz auf keinen Fall die Geschwindigkeit eines Autos erreicht hätte.
Diesmal ergriff er besondere Vorsichtsmaßnahmen, bevor er sich von seinem Wirt trennte. Er ließ ihn tief in den Wald hineinfliegen und erst dort gegen einen Baum prallen; dabei erinnerte er sich auch, daß die Eule unwillkürlich die Augen geschlossen hatte, und ließ nicht zu, daß der Spatz ebenso reagierte. Trotzdem schlug sein ursprünglicher Plan fehl; ein Zweig, den er erst in letzter Sekunde erkannte, beendete den Sturzflug vorzeitig, so daß der Vogel sich nicht den Hals, sondern nur einen Flügel brach und hilflos unter dem Baum liegenblieb.
Da er keine andere Möglichkeit als Geduld hatte, blieb er geduldig. Irgendwann würde der Spatz vor Hunger und Durst sterben, wenn er nicht schon vorher von einem anderen Tier gefressen wurde. Und der Parasit befand sich in seinem Panzer unter der Treppe in Sicherheit. Er spürte, daß sein Wirt Schmerzen hatte, ohne sie allerdings selbst als Schmerzen zu empfinden, denn er war dagegen immun – nur in der Sekunde nicht, in der sein Panzer verletzt wurde, was für ihn den augenblicklichen Tod bedeutete.
Andererseits hatte er keine Eile, nachdem er Nahrung aufgenommen hatte und für die kommenden Monate versorgt war. In der Zwischenzeit hoffte er einen Wirt gefunden zu haben, der das Wissen, das Kapital und die Fähigkeit besaß, ihm das elektronische Gerät zu bauen, mit dessen Hilfe er in seine Heimat zurückkehren konnte. Selbstverständlich war ein Mensch vorzuziehen, der alle diese erstrebenswerten Eigenschaften in sich vereinigte, denn andernfalls mußte der Parasit die Wirte wechseln, was umständlich und gefährlich sein konnte.
Er überlegte, ob er sich nicht lieber teilen sollte, was sich ohne weiteres durchführen ließ. Aber dann hatte er doch wieder Bedenken, denn nach jeder Teilung dauerte es eine Weile, bis die beiden Hälften sich soweit entwickelt hatten, daß sie von einem Wirt Besitz ergreifen konnten. Dieser Zustand besserte sich gewöhnlich, aber erst nach einer Zeitspanne, die etwa einem Erdjahr entsprach.
Der Parasit hatte sich also bereits damit abgefunden, daß er auf den Tod seines augenblicklichen Wirts warten mußte, selbst wenn dies Tage dauern sollte, aber kurz nach Einbruch der Dunkelheit hörte er über sich eine Eule. Er bewegte den nicht gebrochenen Flügel, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und die Eule stieß nieder. Wenige Sekunden später befand der Parasit sich wieder in seinem eigenen Körper unter der Treppe.
Er kam gerade rechtzeitig, um zu hören, daß an die Haustür geklopft wurde, und daß der Sheriff von Mrs. Gross begrüßt wurde. Sie nahm die weiße Schürze ab, die sie über einem einfachen schwarzen Kleid trug. Der Parasit wußte, daß Mrs. Gross kein Geld mehr für Trauerkleidung auszugeben brauchte, denn ihre »guten« Kleider waren ohnehin schwarz.
»Guten Abend, Madam«, sagte der Sheriff. »Ich bin gekommen, um mit Ihnen nach Bartlesville zu fahren, damit Sie die Formalitäten wegen des Begräbnisses erledigen können.«
»Danke, Sheriff, aber Mr. Loursat war vorher ebenfalls deswegen bei mir und will mich in einer halben Stunde abholen. Hat er Sie denn nicht angerufen? Er hatte es jedenfalls vor.«
»Wahrscheinlich hat er es versucht und mich nicht erreicht. Ich bin schon den ganzen Nachmittag unterwegs.« Er nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Hand über seine beginnende Glatze. »Wenn Sie mich also nicht brauchen, dann ...«
»Wollen Sie nicht trotzdem eine Minute hereinkommen? Vielleicht trinken Sie eine Tasse Kaffee? Er ist noch heiß, glaube ich.«
»Nun ... ich könnte eine Tasse brauchen. Danke für die Einladung, Mrs. Gross.«
Sie betraten das Wohnzimmer.
»Setzen Sie sich doch, Sheriff«, forderte Mrs. Gross auf und wies auf einen bequemen Sessel. »Ich hole uns beiden eine Tasse. Milch und Zucker?«
»Nur ein bißchen Zucker, bitte.«
Sie kam einen Augenblick später zurück und reichte dem Sheriff eine Tasse. Der Mann trank daraus. »Ausgezeichnet und vor allem nicht zu heiß.« Er sah sie fragend an. »Haben Sie schon Pläne für die Zukunft gemacht? Ich meine, Sie wollen doch nicht etwa die Farm allein bewirtschaften, oder? Dann müßten Sie allerdings jemand finden, der Ihnen hilft, aber ...«
»Dazu bin ich bereits zu alt, Sheriff. Nein, wenn ich die Farm verkaufen kann, werde ich es auf jeden Fall tun. Und in gewisser Beziehung ist sie bereits verkauft.«
»An wen, wenn ich fragen darf, Madam?«
»Mr. Loursat hat einen Bruder, der in Menominee als Vorarbeiter in einer großen Fabrik tätig ist und eigentlich gern wieder eine Farm übernehmen würde. Mr. Loursat will ihm schreiben, weil er glaubt, daß sein Bruder sich über diese Gelegenheit freuen würde. Er will ihm auch Geld leihen, falls er nicht genügend gespart haben sollte, um die Anzahlung zu leisten.«