»Klingt sehr vernünftig, Madam.«
»Ja, wirklich. Und wenn der Verkauf erst in einigen Wochen perfekt wird, habe ich genügend Hilfe – wenigstens solange die Ferien dauern. Mr. Kramer, dem die Farm auf der anderen Seite der Straße gehört, hat einen Sohn in der Oberschule, der ihm dieses Jahr während der Ferien bei der Arbeit hilft. Der Junge wird mir während dieser Zeit halbtägig helfen, worüber ich sehr froh bin, denn er ist wirklich ein guter Arbeiter.«
»Dann scheint ja alles in Ordnung zu sein, Madam. Wollen Sie in die Stadt ziehen – nach Bartlesville, meine ich?«
»Ich ... ich habe es mir noch nicht überlegt.«
»Hatten Sie nicht auch einen Sohn und eine Tochter?«
»Ja, aber mein Mann hatte Krach mit ihnen und ließ nicht zu, daß ich ihnen weiterhin schrieb. Und sie taten es dann auch nicht mehr. Aber das ist jetzt schon über zehn Jahre her.«
»Haben Sie ihre letzte Anschrift noch?«
»Leider nicht mehr. Bertha lebte in Cincinnati und Max in Milwaukee. Aber das war vor zehn Jahren.«
Der Sheriff lächelte. »Ich wußte doch, daß ich etwas für Sie tun kann – man muß nur lange genug fragen. Ich werde an die Einwohnermeldeämter in beiden Städten schreiben und um Auskunft bitten. Und wenn Sie Bertha oder Max gefunden haben, finden Sie auch den anderen; wahrscheinlich schreiben sie einander noch.«
»Danke, Sheriff.« Mrs. Gross lächelte ebenfalls, aber nun liefen ihr plötzlich die Tränen über die Wangen.
Dann klopfte Loursat an der Haustür, so daß sie sich hastig mit der Schürze über das Gesicht fuhr, um hinausgehen zu können.
Zehn Minuten später waren sie alle gegangen; zuerst der Sheriff, dann Mrs. Gross mit Loursat, der ihr vorher noch den Brief zeigte, den er von Bartlesville aus an seinen Bruder in Menominee, Michigan, schicken wollte.
Der Parasit überlegte.
Er hatte genügend Zeit dazu. Zunächst während der zwei Stunden, die sie in Bartlesville blieb, und auch später, als sie zu Bett gegangen war.
Er schmiedete Pläne. Elsa Gross schien sich als Wirt zu eignen, nachdem er jetzt ihre Zukunftspläne kannte. Der Parasit dachte darüber nach und zog gleichzeitig in Betracht, daß zunächst zwei Bedingungen erfüllt sein mußten. Erstens – Mrs. Gross mußte ihre Farm verkaufen, wie sie beabsichtigte. Zweitens – bis zu diesem Zeitpunkt, der ohne Zweifel noch einige Wochen entfernt lag, mußte der Sheriff ihre Tochter oder ihren Sohn ausfindig gemacht haben. Dabei spielte es eigentlich keine Rolle, in welcher Stadt die beiden lebten – solange es sich nur um eine ausgesprochene Großstadt handelte.
Mrs. Gross schlief jetzt, so daß der Parasit von ihr hätte Besitz ergreifen können, aber er machte von dieser Gelegenheit noch keinen Gebrauch; er konnte warten – sie würde noch einige Nächte in diesem Haus verbringen. Schließlich bestand nach wie vor die Möglichkeit, daß nicht alles so klappte, wie sie es sich vorstellte; vielleicht kaufte Loursats Bruder die Farm nicht, oder vielleicht fand der Sheriff keine Spur von ihren Kindern. Außerdem mußte er vermeiden, sie hier Selbstmord begehen zu lassen, selbst wenn er einen Unfall vortäuschen konnte; zwei Todesfälle so kurz hintereinander würden das Interesse der Öffentlichkeit auf die Farm lenken.
Deshalb wollte er abwarten und dabei jede bessere Gelegenheit ergreifen, wenn sich ihm eine bieten sollte. Der Sheriff war unter Umständen als Wirt vorzuziehen, denn er konnte jederzeit nach Milwaukee fahren und dort alles tun, was dem Parasiten nützte. Außerdem fuhr er einen Wagen, mit dem er jederzeit einen tödlichen Unfall haben konnte, wenn er seinen Zweck erfüllt hatte.
Aber der Sheriff kam wahrscheinlich doch nicht in Frage, denn er arbeitete, wohnte und schlief in Wilcox. Und die Kreisstadt lag zu weit entfernt, als daß der Parasit sich von einem Tier bis dorthin hätte befördern lassen können, ohne ein übermäßiges Risiko einzugehen.
In der Zwischenzeit wollte er jedoch mehr über Bartlesville und die Umgebung der Stadt erfahren, als er bisher wußte. Der Radiomechaniker hatte sich als nicht sehr aussichtsreich herausgestellt, aber vielleicht gab es noch andere, die besser geeignet waren. Selbst wenn diese Vermutung nicht zutraf, konnte man nie genug wissen.
Er brauchte einen Wirt. Am besten eine Katze – eines dieser leichtfüßigen, hellhörigen Tiere, die so hervorragend spionieren konnten.
Der Parasit konzentrierte sich auf eine Katze.
11
Am Freitagmorgen zogen schwere Wolken über Bartlesville auf, aus denen gegen Mittag die ersten Tropfen fielen. Willie Chandler sah aus dem Fenster seiner kleinen Werkstatt, in der er Radios und Fernsehgeräte reparierte, und freute sich, daß er einige belegte Brote mitgebracht hatte, so daß er nicht in das Restaurant gehen mußte.
Das war allerdings das einzige, worüber er sich wirklich freuen konnte.
Das Geschäft ging schlecht, und Willie steckte bis über beide Ohren in Schulden. Als er vor drei Jahren seine Werkstatt einrichtete, hatte er noch geglaubt, daß Bartlesville groß genug sei, um ihm eine regelmäßige Beschäftigung zu sichern.
Willie Chandler war zweiunddreißig; er war groß und schlank und trug eine Hornbrille. Sein fröhliches Lächeln machte ihn überall beliebt, so daß die Leute alle nötigen Reparaturen bei ihm ausführen ließen. Aber trotzdem verdiente er zu wenig, um seinen Lebensunterhalt und den seiner gelähmten Mutter zu bestreiten.
Er aß gerade sein zweites Sandwich und trank dazu heißen Kaffee aus einer Thermosflasche, als vom Fenster her ein leichtes Kratzen hörbar wurde.
Auf dem Fensterbrett saß eine große schwarze Katze und kratzte mit der Pfote gegen die Scheibe. Das Tier tropfte geradezu vor Nässe und erregte Willies Mitleid, denn er mochte Katzen.
»Willst du einen Augenblick hereinkommen? Sehr vernünftig!« Willie öffnete das Fenster einen Spalt breit, und die Katze sprang leicht zu Boden.
Der Mann hatte ihr etwas von seinem Brot abgegeben und stand nun auf, um der Katze einen Schluck Wasser zu holen, als das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab. »Willie Chandler, Radio- und Fernsehreparaturen.«
»Hier spricht Cap Hayden, Willie.« Cap Hayden gehörte der General Store, dem die kleine Poststelle angeschlossen war. »Ich wollte dir nur sagen, daß das Paket aus Chicago angekommen ist.«
»Prima, Cap. Ich komme gleich.«
»Noch etwas, Willie – es ist ein Nachnahmepaket und kostet sechs Dollar achtzig. Diesmal kann ich es nicht aufschreiben, weil die Postkasse gesondert geführt werden muß.«
»So ein Pech«, meinte Willie bedauernd. »Hör zu, Cap, ich brauche das Paket dringend, damit ich Dolf Marshs Fernsehapparat reparieren kann. Dafür bekomme ich dann zwanzig Dollar – in dem Ding steckt bereits eine Menge Arbeit – und Dolf zahlt sofort bei der Ablieferung. Aber im Augenblick habe ich nur noch etwas über drei Dollar in der Tasche. Könntest du mir nicht den Rest leihen? Ich gebe dir das Geld sofort zurück, nachdem ich den Apparat abgeliefert habe.«
»Okay, Willie, das läßt sich machen.«
»Danke. Cap. Ich komme gleich.«
Willie nahm Hut und Mantel von einem Haken, ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Katze«, sagte er, »du mußt auf den Laden aufpassen, während ich fort bin. Wenn jemand hereinkommen sollte – aber das ist unwahrscheinlich –, dann soll er einen Augenblick warten, bis ich zurück bin.«
Er öffnete die Tür und wandte sich noch einmal zurück. »Katze«, sagte er, »du kannst gern hierbleiben, solange es draußen regnet, aber ich werde dich nicht behalten. Das kann ich mir nicht leisten, denn wie du gehört hast, bin ich völlig pleite – und so wird es wohl auch noch längere Zeit hindurch sein.«
Die Katze gab keine Antwort. Willie ging hinaus und schloß die Tür hinter sich.