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Miß Talley lächelte leicht. »Wenn Sie darauf bestehen, Doktor. Aber Sie müssen versprechen, daß Sie niemand davon erzählen. In einer Kleinstadt wie Bartlesville sieht man es nicht gern, wenn Lehrerinnen rauchen oder trinken.«

»Ich werde schweigen wie ein Grab«, versprach Doc, während er eine zweite Dose Bier aus dem Kühlschrank nahm. »Ich würde Ihnen gern etwas Rauchbares anbieten, aber leider habe ich nur meine Pfeifen. Äh – Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich während des Diktierens Pfeife rauche?«

»Ganz und gar nicht. Ich habe Pfeifenrauch gern, wenn der Raum nicht zu dunstig davon wird. Und Ihre Küche ist wirklich sehr geräumig.«

»Deshalb halte ich mich auch die meiste Zeit hier auf, wenn ich nicht gerade zum Angeln gehe oder in die Stadt fahre.« Er kam mit zwei Glas Bier zurück, stellte eines vor Miß Talley auf den Tisch und behielt das andere in der Hand. Dann setzte er sich. »Sie können den Bleistift ruhig noch einen Augenblick aus der Hand legen, Miß Talley«, sagte er dabei. »Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich mich erst noch ein wenig mit Ihnen unterhalten. Das ist eine Eigenart von mir, die meine Studenten manchmal an mir bemängeln.«

»Ihre Studenten? Sind Sie Professor an einem College?«

»Richtig, Miß Talley, für Physik am Massachusetts Institute for Technology. Mein Fachgebiet ist Elektronik und nebenbei noch etwas Atomphysik.«

Miß Talley starrte ihn an. »Staunton – Dr. Ralph S. Staunton? Natürlich. Und Sie arbeiten auch an Satelliten?«

Doc lächelte. »Nicht an allen. Aber trotzdem freue ich mich, daß Sie von mir gehört haben, Miß Talley. Sind Sie an Naturwissenschaft interessiert?«

»Selbstverständlich. Wer wäre das heutzutage nicht? Außerdem lese ich seit Jahren begeistert Science Fiction.«

»Sie, Miß Talley?«

»Gewiß. Warum eigentlich nicht?«

Richtig, warum eigentlich nicht, dachte Doc. Da er ihr aber kaum erzählen konnte, daß sie kaum den Vorstellungen entsprach, die er sich von Leuten machte, die Science Fiction lasen, ging er nicht weiter auf ihre Frage ein. »Ich lese zur Entspannung meistens Kriminalromane. Ich kenne allerdings einige Wissenschaftler, die von Science Fiction begeistert sind, aber in meiner Freizeit mag ich nichts von Wissenschaft hören.«

»Das ist durchaus verständlich«, stimmte Miß Talley zu. »Wollen Sie mir jetzt einen wissenschaftlichen Text diktieren oder nur ein paar Briefe?«

»Weder noch – und ich fürchte, daß ich es Ihnen nicht mit wenigen Worten erklären kann. Mir sind einige merkwürdige Ereignisse aufgefallen, die sich in letzter Zeit in dieser Gegend abgespielt haben. Ich habe mich etwas damit befaßt und möchte nun alles niederschreiben, was ich in Erfahrung gebracht habe, bevor ich einen wichtigen Punkt vergesse.«

Miß Talley sah überrascht auf. »Sie meinen ... die Selbstmorde?«

»Ja. Finden Sie sie etwa ebenfalls seltsam? Ich dachte, daß jedermann – vom Sheriff angefangen – sie als völlig normal empfunden habe.«

»Nicht jeder, Doktor. Jetzt fällt mir übrigens ein, wo ich Sie zum erstenmal gesehen habe – bei der Verhandlung wegen Tommy Hoffmanns Selbstmord. Sie müssen im Hintergrund gestanden haben, denn ich bin an Ihnen vorbei hinausgegangen.«

Doc stopfte sich eine Pfeife und suchte in seiner Tasche nach Zündhölzern. »Stimmt, ich war da. Ich kann mich zwar nicht an Sie erinnern, aber damals war ich zu sehr damit beschäftigt, Mr. Garner nicht aus den Augen zu verlieren. Dann verschwand er aber doch, so daß ich statt dessen mit dem Sheriff ins Gespräch kam.«

»Wußten Sie wirklich etwas, das in der Verhandlung selbst nicht zur Sprache gekommen war? Nein, Sie brauchen meine Frage nicht zu beantworten, Doktor. Wenn es mit Tommy Hoffmanns Tod zusammenhängt, werde ich es ja erfahren, während Sie es mir diktieren.«

Doc zündete sich umständlich seine Pfeife an. »Richtig, Miß Talley. Aber Sie sagten eben, daß Sie sich auch für den Fall interessieren, deshalb werde ich Ihnen zunächst einige Fragen stellen. Falls Sie etwas wissen, was ich noch nicht weiß, möchte ich es am liebsten gleich erfahren, damit ich es in meiner Darstellung berücksichtigen kann. Also – ist Ihnen etwas über Tommy Hoffmann und seinen Selbstmord bekannt, das in der Verhandlung nicht erwähnt wurde?«

»Keine richtiggehenden Tatsachen, aber ich kannte Tommy. Charlotte übrigens auch, denn beide waren in der Klasse, in der ich Englisch unterrichtete. Und ich weiß, daß Tommy so ziemlich der Prototyp eines normalen Jungen war. Nicht übermäßig intelligent und kein guter Schüler, aber gesund, durchschnittlich und unkompliziert. Und auch körperlich völlig in Ordnung. Ich habe mich mit Dr. Gruen darüber unterhalten – er hat Tommy auf die Welt geholfen und ihn auch später behandelt – und von ihm erfahren, daß Tommy bei bester Gesundheit war. Zeit seines Lebens hatte er nur Masern und Keuchhusten, aber beide Erkrankungen liegen nun schon Jahre zurück.«

»Aber das bedeutet doch, daß der Arzt ihn wahrscheinlich längere Zeit nicht mehr untersucht hat?«

»Richtig, diese Vermutung liegt nahe. Aber Dr. Gruen mußte Tommy vor einem halben Jahr behandeln, als er sich beim Baseball eine Rippe gebrochen hatte. Und vor acht Wochen untersuchte er ihn nochmals gründlich, bevor Tommy wieder in der Schulmannschaft spielen durfte – das ist an unserer Schule Vorschrift. Dabei stellte er fest, daß der Junge in jeder Beziehung kerngesund war. Für den geistigen Teil kann ich jederzeit garantieren; Tommy wußte bestimmt nicht einmal, was eine Neurose ist.«

»Und zur Zeit seines Selbstmordes kann er eigentlich kaum an Depressionen gelitten haben«, bemerkte Doc. »Was wissen Sie über Charlotte Garner?«

»Ein gutes Mädchen, ehrlich und anständig – das meine ich ernst, Doktor; trotz meines Alters und meines Berufs bin ich keine prüde alte Jungfer. Und sie ist ein kluges Mädchen, jedenfalls intelligenter als Tommy. Aber das hat sie ihn nie spüren lassen.«

»Mit blühender Phantasie?«

»Nein, keineswegs. Eher nüchtern und sachlich, Doktor. Falls Sie gerade an ihre Erzählung über den Vorfall mit der Feldmaus denken, kann ich Sie beruhigen – sie hat bestimmt nicht übertrieben. Und ich bewundere ihren Mut, wie sie die Geschichte vorbrachte, obwohl der Sheriff und der Coroner sie als nebensächlich abtun wollten. Dabei kann ich mir nicht vorstellen, wieso sie unbedeutend sein sollte – eine so bizarre Episode in Verbindung mit einem so bizarren Selbstmord ...«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Miß Talley. Noch etwas, das nicht zur Sprache kam?«

»Leider nein. Und ich weiß nur sehr wenig über den Selbstmord von Mr. Gross. Ich habe vorher nur deshalb von ›zwei Selbstmorden‹ gesprochen, weil ich es merkwürdig finde, daß beide so kurz hintereinander in der gleichen Gegend geschehen sind. Dabei ist der letzte Fall dieser Art schon Jahre her und spielte sich zudem nicht in Bartlesville, sondern in Wilcox ab. Ich sehe nur keine Verbindung zwischen den Selbstmorden, denn Tommy und Mr. Gross müssen sich zwar vom Sehen gekannt haben, ohne wirklich miteinander bekannt zu sein.«

Doc lächelte und stopfte den Tabak in seiner Pfeife fester. »Was würden Sie zu sechs Selbstmorden sagen, Miß Talley – zwei Menschen und vier Tiere, wobei die Feldmaus den Anfang machte, indem sie Tommy angriff, damit er sie umbrachte? Was halten Sie von dem offenbaren Selbstmord einer Maus und eines Hundes – Hoffmanns Hund – in Verbindung mit Tommy Hoffmann? Und von dem offenbaren Selbstmord einer Eule und einer Katze – Gross' Katze – in Verbindung mit Siegfried Gross' Selbstmord? Ganz zu schweigen von der unbedeutenden Tatsache – oder ist sie etwa nicht unbedeutend? –, daß in der Selbstmordnacht eine Schüssel mit Fleischbrühe und eine andere mit Soße aus Mrs. Gross' Eisschrank verschwanden?«