Doc steuerte gerade wieder auf seinen Wagen zu, als ihn jemand anrief. »He, Staunton!« Es war Dr. Gruen, der jetzt näherkam. »Wir wollen eine Partie Poker spielen und brauchen noch einen, der mitmacht. Wie wäre es damit?«
»Prima«, meinte Doc. »Zwei Stunden habe ich immer Zeit. Wieder dort drüben in der Bar?«
Gruen nickte. »Ich hole nur noch Lem, dann können wir in ungefähr einer Viertelstunde anfangen.«
Zeit ist ein durchaus relativer Begriff; fünf Minuten beim Zahnarzt können einem länger erscheinen als mehrere Stunden bei einer Partie Poker. Doc stellte überrascht fest, daß es bereits Mitternacht war, als die Spieler aufbrachen.
Er parkte den Wagen vor dem Haus und wollte schon die Vordertür öffnen, als ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, daß sich darin eine Katze aufhalten mußte – falls Miß Talley nicht an Halluzinationen litt.
Deshalb betrat er das Haus durch die Hintertür und achtete darauf, daß nichts an ihm vorbei ins Freie entkam. Draußen schien der Mond so hell, daß er nichts übersehen haben konnte, was größer als eine Maus war. Er hörte kein Geräusch.
Dann schaltete er das Licht in der Küche ein und sah sich um. Er erinnerte sich an das Mehl, das er auf den Boden gestreut hatte.
Überall waren deutlich Katzenspuren zu sehen.
»Okay, Katze«, sagte er laut vor sich hin. »Du kannst dich ja zeigen, wenn du hungrig oder durstig bist. Ich werde nicht lange nach dir suchen, aber du kommst nicht eher wieder ins Freie, bis ich dich nicht gesehen habe.«
Er ging an den Kühlschrank, holte eine Dose Bier heraus und machte sich ein Schinken-Sandwich. Während er langsam aß und trank, dachte er intensiv nach. Er fürchtete sich, ohne zu wissen, wovor er diese Furcht empfand. Obwohl er sich in dem Haus so gut auskannte, daß er ohne weiteres im Dunkeln zu Bett gehen konnte, nahm er heute seine Taschenlampe mit und richtete sie vor sich auf den Fußboden. Dabei kam er sich selbst verrückt vor (was konnte ihm schon eine Katze tun?), aber trotzdem behielt er die Lampe in der Hand.
Weder im Hausflur noch auf der Treppe war etwas von der Katze zu sehen. Staunton schloß die Schlafzimmertür hinter sich und durchsuchte den Raum mit Hilfe der Taschenlampe. Dabei bückte er sich sogar und sah unter das Bett.
Kurze Zeit später wußte er, daß die Katze sich bestimmt nicht in diesem Zimmer befand. Falls das Tier wirklich so harmlos und normal wie jeder andere Katze war, brauchte er nicht befürchten, daß es hier eindringen würde, während er schlief. Glücklicherweise war es diese Nacht ziemlich kalt, so daß Doc ohne weiteres mit geschlossenem Fenster und bei geschlossener Tür schlafen konnte. Das Fenster wollte er lieber geschlossen halten – nicht weil er glaubte, daß die Katze so entkommen könnte, sondern weil er verhindern wollte, daß etwas anderes den gleichen Weg benutzte, um in das Haus einzudringen.
Er wälzte sich unruhig im Bett umher und wünschte sich, daß er ein Gewehr mit nach oben genommen hätte.
15
Der Parasit war zutiefst erschrocken, als der Mann, den er jetzt als Doc Staunton kannte, die Katze ansprach: »Okay, Katze ...«
Dies war allerdings nur eine ganz natürliche Reaktion auf die Tatsache, daß Staunton, der ein geradezu idealer Wirt zu sein schien, der Wahrheit auf der Spur war und deshalb gefährlich werden konnte. Der Parasit war überrascht, denn bisher hatte die Intelligenz der Menschen ihm nur Grund zur Geringschätzigkeit gegeben.
Aber Staunton schien der perfekte Wirt zu sein – ein erstklassiger Naturwissenschaftler, wohlhabend und jederzeit reisebereit, unverheiratet und unabhängig. Der Parasit hatte die Unterhaltung zwischen Staunton und Miß Talley mit wachsendem Erstaunen verfolgt und jedes Wort aufgenommen, das er ihr diktierte.
Und – das war allerdings nur eine Vermutung – er nahm an, daß Staunton zu sämtlichen Geräten Zugang hatte, die er brauchen würde. Mit Staunton als Wirt konnte es nur noch wenige Wochen dauern, bis er wieder auf seinem Heimatplaneten zurück war – als gefeierter Held, der eine neue Rasse geeigneter Sklaven entdeckt hatte.
Aber warum hatte er nur den Fehler begangen, sich zurückzuziehen und sich zu verstecken, als Miß Talley so unvermutet aufgesehen und ihn entdeckt hatte? Hätte er doch daran gedacht – was er in der Aufregung über diesen Staunton vergessen hatte –, daß er sich wie eine gewöhnliche Katze benehmen mußte! Er hätte einfach in die Küche kommen müssen, nachdem seine Anwesenheit entdeckt worden war. Wahrscheinlich hätten sie ihn gestreichelt, ihm etwas Milch angeboten und ihn hinausgelassen, wenn er an der Tür gekratzt hätte. Und schlimmstenfalls – wenn sie wirklich keine Katzen mochten – wäre er hinausgejagt worden. Auf diese Weise wäre er jetzt schon all diese Stunden in Freiheit, hätte irgendwo unbeobachtet Selbstmord begehen können und befände sich bereits wieder in seinem eigenen Körper unter der Treppe auf der Gross-Farm.
Von dort aus hätte er sich einen Wirt suchen können, der ihn in die Nähe dieses Hauses gebracht hätte, so daß er von Staunton hätte Besitz ergreifen können, sobald er einmal schlief.
Das hätte er tun sollen. Aber nachdem er sich zu Anfang versteckt hatte, wollte er weiterhin verborgen bleiben, bis ein Fenster oder eine Tür lange genug offen blieb. Aber Staunton – der Teufel sollte den Kerl holen! – hatte alle Türen und Fenster geschlossen, bevor er das Haus verließ. Und jetzt, nachdem überall die Abdrücke von Katzenpfoten sichtbar waren, wußte Staunton ganz sicher, daß er sich in dem Haus befand.
Und was vermutete Staunton sonst noch? Er mußte einen bestimmten Verdacht haben, denn sonst hätte er nicht überall Mehl gestreut, bevor er das Haus verließ. Die Katze hatte erst zu spät gespürt, daß etwas auf dem Boden lag. Wie der Parasit nach einer Möglichkeit gesucht hatte, die Spuren zu entfernen oder das Mehl durch neues zu ersetzen! Aber dieser Aufgabe war eine Katze einfach nicht gewachsen, denn das Tier hätte zwar das alte Mehl auflecken, aber unmöglich neues streuen können. Vielleicht hätte sie sogar das Sieb aus dem Schrank holen können, aber alles andere war unmöglich, wenn man es ohne Hände tun mußte. Einfach unmöglich.
Echte Angst hatte der Parasit allerdings erst empfunden, als Staunton nach seiner Rückkehr die Katze ansprach, als unterhalte er sich mit einem intelligenten Lebewesen. War Staunton durch logische Überlegungen oder reine Intuition auf den Gedanken gekommen, daß die Katze gar keine richtige Katze war? Es schien unglaublich, daß er durch das Studium der wenigen verfügbaren Hinweise zu diesem Schluß gekommen sein sollte.
Aber vielleicht war es doch möglich. Schließlich war Staunton ein Wissenschaftler, der vielleicht manche Dinge als selbstverständlich empfand, die Tommy Hoffmann oder Siegfried Gross als unwahrscheinlich erschienen wären. Nun, darüber konnte er sich immer noch informieren, nachdem er von Staunton Besitz ergriffen hatte.
Im Augenblick beschäftigte ihn vor allem der Gedanke an seine Flucht aus diesem Haus, das ihm zum Gefängnis geworden war. Ein Selbstmord kam nicht in Frage, selbst wenn er hier Mittel und Wege dazu finden sollte, denn diese Anhäufung von Selbstmorden hatte Staunton überhaupt erst auf die Spur gebracht, die er jetzt so eifrig verfolgte. Wenn unter diesen Umständen ein weiterer sozusagen unter seinen Augen erfolgte, dann konnte dies das letzte Glied in einer Beweiskette sein, die Staunton bisher – der Parasit hoffte es jedenfalls – noch nicht hatte schließen können.
Nein, es gab nur eine Lösung. Er mußte sich am folgenden Morgen offen zeigen und sich wie eine ganz gewöhnliche Katze benehmen. Das war nicht ungefährlich, aber ihm blieb keine andere Wahl. Die Gefahr bestand nicht darin, daß Staunton ihn etwa aus irgendeinem Grund umbrachte; in diesem Fall war er sofort wieder frei – aber wenn Staunton einen Verdacht hatte, würde er ihn ganz bestimmt nicht töten. Dann wußte er nämlich, daß er den Parasiten in Freiheit setzte, wenn er den Wirt umbrachte. Die Gefahr bestand darin, daß Staunton ihn in Kenntnis dieser Tatsache gefangenhielt, um ihn beobachten zu können. Das bedeutete vor allem einen erheblichen Zeitverlust; vielleicht mußte er sogar den natürlichen Tod der Katze abwarten – und Katzen lebten sehr lange. Noch größer war die Gefahr, daß Staunton die psychologischen Tests kannte, mit deren Hilfe man feststellen konnte, ob ein Lebewesen als Wirt benutzt wurde.