Und wenn Staunton diese Tatsache nachweisen konnte? Aus Tommy Hoffmanns Erinnerungen wußte der Parasit, daß die Wissenschaft ein sogenanntes Wahrheitsserum entwickelt hatte. Wenn Staunton der Katze dieses Mittel einspritzte und mit dem Parasiten unter Einwirkung dieser Droge in Verbindung trat, war alles verloren. Dann mußte er das Versteck seines eigenen Körpers auf der Gross-Farm preisgeben.
Aber selbst wenn Staunton die Katze nur über längere Zeit hinweg einsperrte und zu Studienzwecken beobachtete, bedeutete das praktisch ein Todesurteil für den Parasiten. Er mußte verhungern, denn die Nahrungsmenge, die er erst kürzlich aufgenommen hatte, reichte zwar fast ein Jahr, aber bestimmt nicht so lange, wie die Katze noch zu leben hatte.
Der Parasit suchte verzweifelt nach einer Lösung dieses Problems. Einmal überlegte er bereits, ob er die Katze nicht einfach gegen das geschlossene Fenster springen lassen sollte – vielleicht zerbrach die Scheibe, so daß er hinausschlüpfen konnte. Aber auch dieser Ausweg war ihm versperrt, denn selbst wenn der Versuch glückte, bedeutete er nur eine weitere Bestätigung des Verdachts, den Staunton bereits zu haben schien.
Er konnte nur hoffen, daß Staunton vorläufig nicht mehr als einen Verdacht hatte, so daß er ihn am nächsten Morgen ohne weiteres ins Freie hinauslassen würde. Jedenfalls mußte er sein Bestes tun, um den Mann davon zu überzeugen, daß er eigentlich doch nur eine ganz gewöhnliche kleine Katze sei.
Doc Staunton war erst gegen ein Uhr morgens ins Bett gegangen und hatte nicht sofort einschlafen können, so daß er am folgenden Morgen später als gewöhnlich aufwachte. Kurz nach zehn Uhr öffnete er die Augen und versuchte sich an den konfusen Traum zu erinnern, den er gerade gehabt hatte – ein Traum, in dem er ein Meßgerät für einen Satelliten konstruieren sollte, ohne von jemand erfahren zu können, was das verfluchte Ding eigentlich messen sollte. Er schüttelte verwundert den Kopf und setzte sich dann plötzlich auf, als ihm die Sache mit der Katze wieder einfiel.
Aber bei Tageslicht besehen wirkte die ganze Angelegenheit längst nicht mehr so bedeutend wie am Abend zuvor. War es nicht etwas übertrieben, die Anwesenheit einer streunenden Katze mit den merkwürdigen Todesfällen der vergangenen zehn Tage in Verbindung zu bringen?
Nun ... vielleicht. Aber trotzdem blieb noch ein Punkt zu klären. Es war bestimmt nicht ungewöhnlich, daß eine Katze aus Neugier oder aus Hunger durch ein offenes Fenster oder eine nur angelehnte Tür in ein Haus kam. Staunton bezweifelte zwar, daß dies oft der Fall war; aber trotzdem bestand durchaus die Möglichkeit. Merkwürdig war nur der Weg, den diese Katze gewählt hatte.
Selbst diese Tatsache ließ sich zur Not noch damit erklären, daß die Katze hungrig gewesen war. Vielleicht war sie auf den Baum geklettert, weil sie dort oben einen schlafenden Vogel gesehen hatte, den sie fangen wollte. Und dann hatte sie ihn nicht erwischt, war aber statt dessen auf das offene Fenster aufmerksam geworden. Jede Katze – selbst eine streunende – würde wissen, daß in einem Haus etwas Eßbares zu finden war.
Aber dann hatte sie sich im Hausflur in der Nähe der Küchentür versteckt, als wolle sie die Unterhaltung belauschen, die in der Küche geführt wurde. Und seitdem hatte sie sich verborgen gehalten.
Andererseits bestand die Möglichkeit, daß das Tier nie jemand gehört hatte, daß es schon öfters mit Steinen beworfen worden war und deshalb vor Menschen Angst hatte ...
Staunton stand auf, wusch sich und zog sich an. Beim Rasieren beschloß er, daß er zunächst die Katze finden mußte, selbst wenn er stundenlang zu suchen hatte, bevor er eine endgültige Entscheidung traf.
Er erinnerte sich daran, daß in der Kommode alte Lederhandschuhe lagen und nahm sie heraus. Wenn er die Katze in eine Ecke getrieben hatte und sie sich wehrte, konnten diese Handschuhe recht nützlich sein. Nach der Größe der Abdrücke, die ihre Pfoten in dem Mehl hinterlassen hatten, mußte die Katze ziemlich klein sein. Vielleicht halbwegs verwildert, aber bestimmt keine Wildkatze; Doc kannte sich gut genug mit Wildfährten aus, um das beurteilen zu können.
Als er das Schlafzimmer verließ, schloß er die Tür hinter sich. Wenn er schon suchte, dann wollte er wenigstens systematisch vorgehen und zuerst sämtliche Räume im ersten Stock des Hauses durchsuchen, bevor er nach unten ging.
Die Katze hielt sich nicht im ersten Stock auf.
Er sah sie, als er die Treppe hinabging. Sie saß ruhig an der Haustür, wie es ein Hund oder eine Katze tun, wenn sie hinaus möchten.
Sie wirkte keineswegs gefährlich – nur eine kleine graue Katze. Sie schien weder Hunger noch Angst zu haben, sondern sah ihn sogar zutraulich an. Dann miaute sie und kratzte leicht an der Tür.
Nur eine Katze, eine ganz gewöhnliche Katze, die ins Freie wollte.
Fast zu gewöhnlich, dachte Doc, für eine Katze, die sich gestern so lange vor ihm versteckt gehalten hatte. Er setzte sich auf die unterste Stufe der Treppe und starrte das Tier an, das immer noch an der Tür saß. »Miau«, sagte die Katze.
Doc schüttelte den Kopf. »Nicht sofort, Katze. Später lasse ich dich vielleicht hinaus, aber vorher möchte ich mich noch ein bißchen mit dir unterhalten. Wie wäre es mit einem Frühstück? Ich werde mir jedenfalls eines machen.«
Er stand auf und ging in die Küche, ohne sich noch einmal umzusehen, bevor er den Kühlschrank erreicht hatte. Die Katze folgte ihm, aber nicht zu nahe. Jetzt saß sie neben dem Herd und starrte ihn an. Dann schien ihr plötzlich etwas eingefallen zu sein, denn sie ging an Doc vorbei – und hielt sich aus seiner Reichweite – auf die Tür zu, die von der Küche aus in den Hof führte. Dort kratzte sie wieder leicht, miaute nochmals und sah den Mann fragend an. Damit sagte sie »Ich möchte bitte hinaus« so deutlich, wie eine Katze es überhaupt ausdrücken kann. Jedenfalls eine gewöhnliche Katze.
Doc schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, Katze. Später, aber nicht gleich. Ich muß es mir noch überlegen.«
Er nahm eine Milchflasche aus dem Kühlschrank und goß etwas Milch in eine Schüssel, die er auf den Fußboden stellte. Die Katze nahm keine Notiz davon; sie blieb unbeweglich an der Tür sitzen, während Doc sein Frühstück – Rühreier, Toast und Kaffee – zubereitete.
Als er sich zum Frühstück an den Tisch setzte, verließ die Katze ihren Platz und trank gierig aus der Schüssel mit Milch.
»Schon besser, Katze«, meinte Doc aufmunternd. »Möchtest du nicht eine Weile hierbleiben?«
Die Katze gab keine Antwort. Staunton beobachtete sie und überlegte dabei, daß es wirklich nett wäre, eine Katze im Haus zu haben – notfalls konnte man sich mit ihr sogar unterhalten. Und wenn er sie behielt, hatte er wenigstens Gelegenheit, sie länger zu beobachten.
Selbstverständlich konnte er sie nicht ewig eingesperrt halten, ohne selbst an heißen Tagen fast vor Hitze umzukommen. Oder war es vielleicht doch möglich, wenn er vor allen Fenstern Fliegengitter anbringen ließ? Damit zeigte er sich gleichzeitig seinem Freund gegenüber erkenntlich, der ihm das Haus zur Verfügung gestellt hatte. Richtig, das war eine gute Idee – er würde sie auf jeden Fall anbringen lassen, selbst wenn er die Katze nicht behielt.
Andererseits wollte er die Katze nicht einfach behalten, wenn ihr Besitzer ihr vielleicht nachtrauerte. Das ließ sich wahrscheinlich feststellen, indem man in Bartlesville nachfragte. Wenn er den Besitzer ausfindig machte, konnte er ihm das Tier vermutlich für ein paar Dollar abkaufen, falls es nicht gerade einem Kind gehörte, dessen Herz daran hing. In allen Kleinstädten auf dem Land gibt es eine Unmenge Katzen, die sich so schnell vermehren, daß das Angebot immer die Nachfrage übersteigt.