Die Katze gab keine Antwort, schnurrte aber weiter.
»Damit du dir keine überflüssigen Sorgen machst, will ich dir noch erzählen, daß ich dich von den Kramers geschenkt bekommen habe«, fügte Doc nach einer Pause hinzu. »Keine Angst, sie nehmen dich wieder auf, falls du lieber zu ihnen zurückwillst.
Ja, ich kenne dich und weiß auch, daß du eigentlich Pat heißt. Vielleicht hätte ich den Namen beibehalten, wenn einer deiner Brüder mitgekommen wäre. Den hätte ich Patachon genannt. Pat und Patachon, ein edles Paar, obwohl du dann eigentlich ein Kater sein müßtest. Aber das ist unwichtig. Wen ziehst du vor, die Kramers oder mich?«
Er stand auf und rückte sich einen bequemen Sessel vor das Sofa. Dann starrte er die Katze an.
»Katze, warum hast du dich vor mir versteckt? Warum bist du durch das Fenster im ersten Stock in das Haus gekommen?
Wußtest du denn nicht, daß eine Katze das nie getan hätte? Warum hast du dich nicht von Anfang an so benommen, wie du dich seit heute vormittag benimmst?«
Die Katze streckte sich, rollte sich wieder zusammen und schloß die Augen.
»Katze!« sagte Staunton scharf. Das Tier öffnete die Augen und sah ihn an.
»Katze, du hast nicht zu schlafen, wenn ich mit dir spreche. Das ist äußerst unhöflich. Katze, du hast doch früher in der Nähe der Gross-Farm gelebt. Hast du ihre Katze gekannt? Die große schwarze Katze, die in der Nacht Selbstmord beging, in der sich auch Mr. Gross umbrachte? Behaupte nur nicht, es sei kein Selbstmord gewesen! Wie kommt eine Katze sonst dazu, einem bissigen Hund vor die Nase zu laufen, den sie doch gesehen haben muß! Warum dieser Selbstmord? Und wenn es keiner war – was war es dann?«
Die Katze hatte wieder die Augen geschlossen, aber Doc spürte, daß sie keineswegs schlief.
»Und in der gleichen Nacht beging auch eine Eule Selbstmord. Was weißt du darüber? Und noch früher – in Verbindung mit Tommy Hoffmanns Tod – verursachte eine Feldmaus ihren eigenen Tod. Offenbar mit Absicht. Und ein Hund ebenfalls. Wußtest du, daß ich ihn überfahren habe? Und daß er sich am Straßenrand versteckt hatte, bis mein Auto nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, um dann genau vor die Räder zu laufen? Ich könnte beschwören, daß er das absichtlich getan hat – denn schließlich war bekannt, daß er sich vor Autos fürchtete.
Zwei Menschen und vier Tiere – das wissen wir bestimmt. Selbstverständlich hätte ich davon gehört, wenn noch mehr Menschen Selbstmord begangen hätten; aber wie viele Tiere in freier Wildbahn können es unbeobachtet getan haben, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten, für den sie jemand oder etwas gebraucht hatte?«
Vor dem Fenster zirpten Grillen, Hunderte von Grillen. Stauntons Gedanken schweiften einen Augenblick ab, als er sich überlegte, wie seltsam es doch war, daß man nur die Pausen zwischen den Zirplauten zu messen brauchte, um daraus die augenblickliche Temperatur bestimmen zu können. Mindestens ebenso genau wie mit einem gewöhnlichen Thermometer.
Die Natur gab dem Menschen viele Rätsel auf. Man brauchte nur an die Lemminge zu denken, die zu manchen Zeiten in Scharen ans Meer zogen und sich hineinstürzten. Kollektiver Irrsinn? Oder wußten die Lemminge mehr, als die Menschen je erfahren werden?
Er wandte sich wieder an die Katze. »Katze«, fragte er, »weshalb haben diese anderen Tiere Selbstmord begangen? Wenn du Ähnlichkeit mit ihnen hast, warum versuchst du es dann nicht ebenfalls? Oder hast du nur keine Gelegenheit dazu, weil ich dich eingesperrt halte? Einen Augenblick, das werden wir gleich feststellen.«
Doc stand auf und ging an den Schrank im Flur, in dem er seine Angelgeräte und Waffen aufbewahrte. Kurze Zeit später kam er mit einer Pistole und einer Zielscheibe zurück, stellte die Scheibe gegen die rückwärtige Wand des Wohnzimmers und setzte sich wieder in den Sessel. Die Katze hob den Kopf, als er die Pistole durchlud.
»Hör zu, Katze«, sagte er dabei, »probieren wir es doch einmal. Wenn du nur hinauswillst, um dort Selbstmord begehen zu können, dann werde ich dir die Mühe abnehmen. Du brauchst dich nur genau vor die Zielscheibe dort drüben zu setzen, dann bist du alle Sorgen los.«
Die Katze sah ihn schläfrig an und senkte den Kopf wieder auf die Pfoten. Sie schlief – oder gab wenigstens zu schlafen vor, ohne von Stauntons Angebot Gebrauch zu machen.
Doc seufzte, aber andererseits hatte er nicht erwartet, daß die Katze sich vor die Zielscheibe setzen würde. Wenn sie ... nun, wenn sie keine richtige Katze war, dann würde sie sich bestimmt nicht dadurch verraten, daß sie seinen Vorschlag annahm. Und unter diesen Umständen hätte er ohnehin nicht auf sie geschossen. Vor allem nicht mit einer Pistole, die er absichtlich nickt geladen hatte.
Er brachte die Zielscheibe und die Waffe wieder an ihren Platz zurück und ging in die Küche. Ein Schluck Bier vor dem Schlafengehen konnte nicht schaden.
Die Katze kam aus dem Wohnzimmer in die Küche, als sie Doc die Kühlschranktür zuschlagen hörte. Sie kümmerte sich nur wenig um sein Gerede, aber dieses Geräusch schien ihr vertraut zu sein – wahrscheinlich von den Kramers her –, so daß Staunton nichts aus dem Kühlschrank holen konnte, ohne daß die Katze ihn dabei beobachtete. Sie bettelte nicht, aber sie war zur Stelle, falls etwas für sie abfallen sollte.
Er fand einige Scheiben Salami, legte eine davon in die Katzenschüssel und aß die übrigen selbst mit einer Scheibe Weißbrot. Dann öffnete er eine Dose Bier und ließ sich an dem Küchentisch nieder. Die Katze fraß die Scheibe Wurst und ging dann wieder in das Wohnzimmer hinüber, um dort weiterzuschlafen. Doc hatte ihr unterdessen beigebracht, daß alles Betteln zwecklos war, wenn er sich erst einmal an den Tisch gesetzt hatte. Außerdem war sie bestimmt nicht wirklich hungrig, sondern legte nur Wert auf eine kleine Abwechslung ihrer üblichen Kost, die aus Katzenfutter in Dosen und Milch bestand.
Doc nahm die Taschenlampe zur Hand, bevor er das Licht ausmachte; er benützte sie noch immer, um den Weg ins Schlafzimmer zu beleuchten – aber aus einem anderen Grund als zuvor. Jetzt wollte er nur vermeiden in der Dunkelheit auf die Katze zu treten oder über sie zu fallen.
Der folgende Tag, ein Freitag, verlief ziemlich ereignislos. Er fuhr wie üblich nach Bartlesville, fand aber dort weder Post für sich vor, noch hatte er Einkäufe zu erledigen. Schließlich ging er in die Redaktion des Clarion – angeblich nur aus dem Grund, daß er die Anzeige zurückziehen wollte, aber in Wirklichkeit nur deshalb, weil er auf eine Unterhaltung mit Ed Hollis Wert legte. Dabei erfuhr er, daß sich nichts Neues ereignet hatte, wenn man davon absah, daß die Garners einen Käufer für ihre Farm gefunden hatten und nach Kalifornien ziehen wollten. Und Gus Hoffmann, Tommys Vater, hatte eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben, in der er seine Farm ebenfalls zum Verkauf anbot.
»Ich habe den Verdacht, daß Charlotte ein Kind bekommt«, meinte Hollis. »Weil die Garners fortziehen, meine ich.«
»Na, an Ihrer Stelle würde ich diesen Verdacht aber nicht in der Zeitung erwähnen, Ed.«
Hollis warf Staunton einen so beleidigten Blick zu, daß dieser sich sofort bei ihm entschuldigte.
»Aber warum will Gus Hoffmann deswegen auch fort?« fragte Hollis. »Das verstehe ich nicht ganz. Schließlich ist Tommy tot, und das Geschwätz der Leute braucht doch Gus nicht zu kümmern.«
»Das ist ganz einfach zu erklären, Ed. Hoffmann wird von jetzt an immer in der Nähe der Garners bleiben. Er hat weder Weib noch Kind – aber einen Enkel oder eine Enkelin unterwegs. Ehelich oder unehelich, Hoffmann ist bereits jetzt in das Kind verschossen.«
»Menschenskind, Doc, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Warum bin ich nicht schon längst auf den gleichen Gedanken gekommen? Hoffmann wird sich einfach zusammen mit den Garners eine große Farm kaufen, die sie gemeinsam bewirtschaften. Und Charlotte wird eine sehr junge Witwe sein, die Mrs. Hoffmann heißt. Auf diese Weise trägt das Kind sogar Hoffmanns Namen, so daß Gus wieder etwas hat, wofür es sich zu leben lohnt.«