>Ja.<
Karin kicherte.
>Das glaube ich nicht.<
>Wir könnten es ja darauf ankommen lassen.<
>Wissen Sie, was Sie von mir erwarten?<
>Was?<
>Daß ich einer anderen ins Gehege komme. Ich mache das nicht gerne.<
>Es wäre sehr gut möglich, daß die Betreffende gar nichts dagegen hätte.<
Karins Kichern verstärkte sich.
>Das könnte zutreffen, ja.<
>Nicht wahr? Je länger ich mit Ihnen sprech — <
Soweit die Schilderung des jäh abreißenden Traumes von Karin, der aus einem langen Dialog allein bestand. Sein abruptes Ende fand der Traum dadurch, daß die Diplomkosmetikerin ins Zimmer trat und Karin wach wurde. Die Kosmetikerin hatte, nachdem die Maniküre und die Pediküre abgetreten waren, nur ein paar Minuten auf sich warten lassen, eine Tatsache, die angesichts des umfangreichen Traumes Karins kaum glaubhaft erscheinen mag. Die Skepsis löst sich aber in Luft auf, wenn man weiß, in welch unwahrscheinlich kurzer Zeit die umfangreichsten Träume ablaufen können.
Karin gähnte, lächelte vor sich hin und mußte von der Kosmetikerin dazu ermuntert werden, das Bett, in dem sie so Schönes geträumt hatte, zu verlassen.
Die Kosmetikerin war schon dabei, in einem Tiegel aus verschiedenen Flacons und Töpfen einen Brei zusammenzurühren, aus dem schließlich Karin eine Gesichtsmaske gemacht werden sollte. Die Kosmetikerin war stolz auf ihr >Diplom< und glaubte, diesem Titel einiges schuldig zu sein. Sie war sehr darauf bedacht, die Zusammensetzung ihrer speziellen Gesichtsmaske als ihr absolutes Geheimnis zu bewahren.
Wimpernzupfer, Augenbrauenstifte und Augenbrauenbürstchen, Lidschatten und eine Hormonsalbe gegen Krähenfüße lagen auf einem weißen Frottiertuch, während dreierlei Lippenstifte — rose für den Morgen, karmin für den Tag und cyclam für den Abend — eine schmale Elfenbeinschale füllten und zusammen mit verschiedenen Pudersorten und der teuersten Make-up Creme ein Stilleben bildeten.
Vorhanden war auch schon ein künstliches Haarteil mit genau der gleichen Haarfarbe Karins, das dazu dienen sollte, ihre Lockenpracht beim Ball am Abend noch reicher zu gestalten.
Ein Kampf entbrannte, als die Kosmetikerin ans Werk gehen wollte und ihr von Karin entschiedener Widerstand entgegengesetzt wurde.
«Wir beginnen mit der Gesichtsmaske, Fräulein Fabrici.«
«Mit was?«
«Mit der Gesichtsmaske.«
«Für wen?«
Die Kosmetikerin blickte ein bißchen befremdet.
«Für Sie natürlich, Fräulein Fabrici.«
«Wer hatte denn diese Schnapsidee?«
Dieser Ausdruck gefiel der Kosmetikerin gar nicht. Sie empfand ihn schmerzlich. Indigniert sagte sie:»Die Maske gehört zu meinem Gesamtauftrag.«
«Soso. Schade, daß meine Mutter nicht da ist. Die würde sich über die Maske freuen.«
Die Kosmetikerin seufzte.
«Das alte Lied«, sagte sie.»Die Jugend glaubt, darüber erhaben zu sein. Aber täuschen Sie sich nicht, Fräulein Fabrici, es gibt auch das, was ich in unserer Branche die unsichtbaren Versäumnisse< getauft habe. Verstehen Sie, was ich meine?«
«Ja«, nickte Karin.»Trotzdem möchte ich auf die Maske verzichten.«
Die Kosmetikerin zuckte die Achseln, zum Zeichen ihrer Einsicht, daß weitere Bemühungen zwecklos seien. Nach einer gewissen Pause, in der Karin zur Vernunft kommen sollte, fragte die Schönheitskünstlerin:»Und worauf wollen Sie nicht verzichten, Fräulein Fa-brici?«
Karin überlegte kurz, dann deutete sie auf das weiße Frottierhandtuch mit den Augenbrauenutensilien und Lidschatten.
Die Kosmetikerin atmete erleichtert auf. Sie hatte schon befürchtet, überhaupt nicht gebraucht zu werden.
Ein feenhaftes, tief ausgeschnittenes Abendkleid aus golddurch-wirktem Taft — eine Schöpfung aus dem Pariser Haus Sandrou — und ein mehrere tausend Mark kostendes Weißfuchscape lagen über den Stuhllehnen, dazu hauchdünne Nylonstrümpfe mit Diamentsplit-ternähten. Unter einem Stuhl stand ein Paar Schuhe mit echtem Blattgold.
Unten im Panzerschrank der Kurdirektion lagen für Karin ein Diadem und ein Diamantkollier bereit. Ein großer weißer Mercedes mit livriertem Chauffeur wartete vor dem Hoteleingang auf sie.
Die Kosmetikerin verdiente größeres Vertrauen, als in den ersten Minuten zu vermuten gewesen war. Karin merkte rasch, daß sie sich in geschickte Hände gegeben hatte. Wichtig war ihr, daß in jeder Hinsicht dezent an ihr gearbeitet wurde, zurückhaltend. Hätte die Kosmetikerin sich daran nicht gehalten, wäre ihr Karin sofort sozusagen in den Arm gefallen. Es bot sich jedoch kein Anlaß dazu. Und dennoch wollte Karin zum Schluß, als die Kosmetikerin erklärte, alles getan zu haben und fertig zu sein, mit dem, was ihr, Karin, aus dem Spiegel entgegenblickte, nicht zufrieden sein. Da stimmte etwas nicht. Aber was? Entweder fehlte irgend etwas — oder es war irgend etwas zuviel. Wohl letzteres.
Das bin ich nicht, dachte Karin, ihr Spiegelbild in Augenschein nehmend. Mitten in diese Musterung hinein klopfte es. Fragend schaute die Kosmetikerin Karin an, und diese nickte zustimmend. Durch die von der Kosmetikerin geöffnete Tür stürmten zwei aufgeregte junge Männer — ein Reporterteam. Der eine von ihnen ließ sich gleich an der Schwelle auf ein Knie nieder und machte mit Blitzlicht und riesenhafter Kamera zwei, drei Aufnahmen von der neuen >Miß Nickeroog<, deren Filmstartag begonnen hatte. Der andere des Zweigespanns war der Texter. Beide kamen von der Redaktion der kleinen, sich aber sehr wichtig nehmenden Insel-Zeitung. Der Texter fragte nicht lange, trat näher, zog einen Stuhl heran und setzte sich ohne Aufforderung Karin gegenüber.
«Sie lassen uns auch leben, das ist nett von Ihnen«, sagte er und zog einen Notizblock nebst Kugelschreiber aus seiner Tasche.»Ich danke Ihnen, Sie werfen uns nicht hinaus, vielen Dank.«
So wird man von der Presse überfahren.
«Wer sind Sie denn?«fragte Karin.
Der Reporter sagte es ihr. Erbitterten Tones fügte er hinzu:»Die Großen in Hamburg haben uns ja schon wieder die Butter vom Brot gestohlen. Weiß der Teufel, wie die das in dieser Geschwindigkeit immer machen. Große Hexerei, muß ich schon sagen. Deshalb wären wir Ihnen dankbar, wenn wir von Ihnen ein bißchen was kriegen würden, was die noch nicht haben.«
«Ich verstehe Sie nicht«, sagte Karin, und es dauerte eine Weile, bis ihr der Reporter beigebracht hatte, daß ihre Fotos bereits eine Seite der größten deutschen Illustrierten füllten.
Ein leichter Schauer lief Karin über den Rücken.
«Gibt's die auch schon in Düsseldorf zu kaufen?«wollte sie wissen.
«Was? Die Illustrierte? Selbstverständlich. In ganz Deutschland. Warum fragen Sie?«
«Nur so.«
«Sind Sie Düsseldorferin?«
«Ja.«
«Aha.«
Das eigentliche Interview hatte begonnen. Die Kosmetikerin sah, daß sie überflüssig geworden war, und packte ihren Kram zusammen.
Karin hatte es sich als Backfisch schon ganz toll vorgestellt, einmal selbst interviewt zu werden, und sie fand vorerst die ganze Art der Befragung höchst lustig und unterhaltsam.
«Hat Ihre Heimatstadt mit Ihrem Aussehen etwas zu tun, Fräulein Fabrici?«
«Wie bitte?«
«Sind Düsseldorferinnen von Haus aus hübscher als meinetwegen Kölnerinnen?«
Karin hob abwehrend beide Hände.
«Ich werde mich hüten, diese Frage zu beantworten.«
«Warum?«
«Um nicht ganz Köln gegen mich aufzubringen. Die Konkurrenz zwischen den beiden Städten ist schon erbittert genug.«
«Erbittert?«
«Ja.«
«Wenn Sie das sagen, wollen Sie dabei unsere Leser etwa an die alljährlichen Karnevalsumzüge erinnern?«
«Nicht nur daran.«
Karin lachte, zusammen mit dem Reporter, der sich eine Notiz machte und dann fortfuhr:»Bleiben wir ein bißchen bei dieser Konkurrenz: Wer hat da die Nase vorn — Düsseldorf oder Köln?«