«Ich frage mich nur, warum Sie dann hierhergefahren sind.«
«Man hat mich dazu gezwungen.«
«Wer?«
«Meine Frau«, sagte Biechler düster, Krahn seinen Ringfinger mit dem Ehereif vor Augen haltend. Und er fuhr, nachdem der Düsseldorfer gelacht hatte, fort:»Warten Sie nur, bis Sie selbst auch soweit sind, dann werden Sie erfahren, was mit einem Mann alles geschehen kann, wenn er sich einer Frau ausliefert. Sie sind noch jung, und trotzdem hat es keinen Zweck, Ihnen zu raten, sich vor solchem Wahnsinn zu bewahren. Den Fehler, zu heiraten, macht fast jeder; diesbezüglich scheint es sich um eine Besessenheit unter den Männern zu handeln.«
Als die Strandpromenade unter der Kutsche wegrollte und ihnen die eleganten Damen und Herren zulächelten, als die vornehmen Lokale und Bars mit den Neonreklamen und den Spiegelwänden in Marmoreinfassungen vor ihnen auftauchten, wäre Peter Krahn am liebsten ausgestiegen und zu Fuß zum Anlegeplatz des Schiffes zurückgegangen. In Düsseldorf war er ein selbstbewußter junger Mann mit einem vermögenden Elternhaus im Rücken, hier fühlte er sich unsicher, völlig fehl am Platze und schon von vornherein blamiert.
Hier kann doch jeden Augenblick Karin auftauchen, sagte er sich. Was mache ich dann? Was sage ich ihr?
«Herr Krahn«, faßte der erfahrene, doppelt so alte Franz Joseph Biechler aus München das, was er gesagt hatte, zusammen,»ich empfehle Ihnen nur eines: Lassen Sie sich im Urlaub hier von keiner einfangen; fahren Sie so in Ihre Heimat zurück, wie Sie hierhergekommen sind — allein.«
Vor dem Kurhaus hielt man an und überließ es den Gästen, sich zu ihren Hotels und Pensionen zu begeben. Bedienstete aller Häuser mit Schildern oder beschrifteten Mützen holten ihre Schutzbefohlenen ab, und bald stand Peter Krahn allein und verlassen vor dem Kurhaus, eine Reisetasche neben sich und ein Gefühl der Beklemmung in der Brust.
Franz Joseph Biechler hatte ihm die Hand geschüttelt und sich mit einem» Alles Gute, vielleicht sehen wir uns noch einmal. «verabschiedet und rasch entfernt.
Ein freundlicher älterer Mann trat auf ihn zu und grüßte.
«Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Suchen Sie etwas? Ein Zimmer?«
«Ja.«
«Mit oder ohne Dusche und WC?«
«Mit.«
«Der Preis?«
«Spielt keine Rolle.«
Das hört man gerne, dachte der ältere Herr und wurde noch freundlicher.
«Dann wüßte ich das Richtige für Sie.«
«Wo?«
«Bei mir.«
Es stellte sich heraus, daß Peter Krahn mit einem ehemaligen Hotelportier namens Karl Feddersen sprach, der sich nach einem arbeitsreichen, sparsamen Leben eine eigene kleine, aber elegante Pension zugelegt hatte. Sie sollte ihm erstens seinen Ruhestand sichern und ihm zweitens die Möglichkeit bieten, die Hände nicht völlig in den Schoß legen zu müssen. Feddersen vertrat nämlich den Standpunkt vieler, daß der Mensch etwas zu tun haben müsse, solange er sich noch außerhalb des Grabes bewegen könne. Und was hätte sich dazu für einen ehemaligen Hotelportier besser geeignet als eine eigene Pension, die in Betrieb zu halten war? Stützen konnte sich Feddersen dabei auf eine wesentlich jüngere Gattin und eine noch viel, viel jüngere Tochter, die er erst als guter Vierziger gezeugt hatte. Zuvor in seinem Leben hatte er zu solchen Dingen — wie Heirat und Vaterschaft — keine Zeit gehabt.
«Wohin müssen wir?«fragte Krahn.
Feddersen zeigte ihm die Richtung, dabei sagte er:»Fahren wir oder gehen wir zu Fuß?«
«Wie weit ist es denn?«
«Sieben Minuten.«
«Dann gehen wir. Vom Sitzen tut mir heute schon der Hintern weh.«
«Woher kommen Sie denn?«
«Aus Düsseldorf.«
«In Düsseldorf«, sagte Feddersen erfreut,»habe ich auch ein paar berufliche Jahre verbracht. War eine schöne Zeit. Leckere Mädchen.«
«Sind die nicht überall lecker?«
«Doch«, lachte Feddersen.
Er war noch sehr rüstig. Wie zum Beweis dafür sagte er schon nach wenigen Schritten:»Geben Sie mir Ihre Reisetasche.«
«Was?«antwortete Peter Krahn.»Ich Ihnen? Soll das ein Witz sein?«
«Sie sind der Gast und haben Anspruch darauf, Ihr Gepäck nicht selbst schleppen zu müssen.«
«Nee, nee«, grinste Peter.»Keine Sorge, dazu reichen meine Kräfte schon noch aus.«
Feddersen warf von der Seite her einen prüfenden Blick auf die ganze Gestalt Krahns.
«Gut bei Kräften scheinen Sie ja zu sein.«
Mit verstärktem Grinsen entgegnete der junge Düsseldorfer:»Das macht mein Beruf.«
«Was sind Sie denn?«
«Gelernter Metzger.«
«Im Angestelltenverhältnis?«
Anscheinend war Karl Feddersen ein Mann, der den Dingen gern auf den Grund ging.
«Nein«, erwiderte Peter Krahn.»Bei meinem Vater.«
Die Pension, der sich die beiden bald näherten, war erst vor zwei Jahren erbaut worden und zeigte in der Abendsonne ihr bestes Gesicht. Alles an ihr war neu und solide und ließ ahnen, daß keineswegs schon alle Bindungen an eine Bank gekappt waren. Am Eingang standen zwei Damen — Mutter und Tochter, wie eine große Ähnlichkeit der beiden vermuten ließ — und blickten verschreckt. Sie hatten die zwei Männer kommen sehen.
«Margot«, sagte Karl Feddersen zur Älteren, die seine Frau war,»ich bringe dir einen neuen Gast.«
Margots Reaktion war kein Jubelruf.
«Du liebe Zeit! Das dachte ich mir!«
«Aber.«
Er verstummte, er schien Böses zu ahnen.
«Wir sind voll, Karl.«
Seine Befürchtung hatte sich also bestätigt.
«Aber als ich wegging, Margot.«
«.hatten wir noch ein Zimmer frei, ja. Inzwischen rief jedoch Frau Seeler aus Bremen an, und ich habe es an die vergeben.«
«Wann kommt sie?«
«Morgen.«
Die Panne war sowohl Herrn als auch Frau Feddersen sichtlich unangenehm.
«Ich kann Sie nur um Entschuldigung bitten«, sagte der Pensionsbesitzer zu Krahn.»Mir ist das sehr peinlich.«
«Aber ich bitte Sie«, antwortete Peter Krahn,»Sie haben es doch nur gut gemeint.«
Dann fiel sein Blick wieder auf die jüngere der Feddersen-Damen, die ihn überhaupt mehr zu interessieren schien als jede andere Person hier.
«Ich hätte Sie nicht herlocken dürfen«, meinte der Pensionsinhaber.
Zu ihm sagte seine Frau:»Du mußt dem Herrn morgen ein Zimmer besorgen. Heute nacht kann er ja noch bei uns bleiben.«
«Selbstverständlich«, nickte Feddersen und fragte Krahn:»Wären Sie damit einverstanden?«
«Mit was?«erwiderte Krahn, dessen Aufmerksamkeit irgendwie gestört war.
«Daß Sie heute bei uns bleiben und ich Ihnen morgen ein Zimmer in einem anderen Haus besorge.«
«Aber das macht Ihnen doch mehr Umstände als mir. Es wird sich doch auch heute schon etwas Geeignetes für mich finden lassen.«
Herr und Frau Feddersen blickten einander an. Plötzlich meldete sich ihre Tochter zu Wort.
«Wollen Sie denn nicht die eine Nacht bei uns bleiben?«fragte sie Krahn.
«Doch«, nickte der eifrig,»das möchte ich schon, sehr gern sogar, aber«- er zuckte die Schultern —»man hört doch immer, daß das keine Begeisterung erregt.«
«Daß was keine Begeisterung erregt?«
«Na, die Bettwäsche für eine Nacht und so, meine ich… und.«
Das Feddersen-Trio lachte.
Kurze Zeit später stand Peter Krahn in einem sehr hübschen Zimmer, sah sich um und sagte zur Tochter, die es ihm gezeigt hatte:»Aus dem so rasch wieder auszuziehen, wird mir in der Tat nicht leichtfallen.«
Ohne zu zögern, erwiderte sie:»Eventuell findet sich eine Lösung.«
«Ja?«meinte er hoffnungsvoll.
«Ich finde, das sind wir Ihnen schuldig, Herr.«