«Krahn. Peter Krahn. Aus Düsseldorf.«
«Freut mich«, lächelte sie.»Heidrun Feddersen. Aus Nickeroog.«
Das brachte natürlich beide zum Lachen. Mit dem Auspacken eilte es Peter nicht so sehr, deshalb hätte er sich noch gerne mit Hei-drun ein bißchen länger unterhalten, doch das ging nicht, denn das Mädchen wurde von ihrer Mutter nach unten gerufen.
«Wenn Sie etwas brauchen«, sagte sie auf der Schwelle,»lassen Sie es mich wissen, ja?«
«Wahrscheinlich brauche ich viel«, rutschte es Peter heraus.
Die Tür klappte zu. Hurtige Schritte, welche die Treppe hinabliefen, wurden vernehmbar. Peter sah die Beine, die dieses Geräusch verursachten, deutlich vor sich. Versonnen war sein Blick, der durch die Tür hindurchging.
Verdammt hübsches Mädchen, dachte er und erschrak. Karin fiel ihm ein, Karin, die eindeutig noch hübscher war und wegen der er die Reise nach Nickeroog angetreten hatte.
Das Zimmer hatte nicht nur Dusche und WC, sondern auch Radio und Telefon. Was fehlte, war lediglich ein Fernseher. Das Telefon erinnerte Peter an die Bitte seiner Mutter, nach der Ankunft auf Nickeroog anzurufen und Bescheid zu geben, daß alles in Ordnung sei. Er erledigte dies.
«Wann kommt ihr zurück?«fragte ihn Mutter.
«Wer >ihr<, Mama?«
«Du und Karin.«
«Kann ich nicht sagen. Die habe ich ja noch gar nicht getroffen.«
«Sag uns aber gleich Bescheid, wenn das der Fall war.«
«Ja, mache ich.«
«Paß auf dich auf, fall mir nicht ins Meer.«
«Keine Sorge. Grüße an Papa. Wiedersehen, Mama.«
«Wiedersehen, Junge.«
Nach diesem Telefonat packte Peter die Reisetasche aus, hing seine Sachen in den Schrank und wechselte, nachdem er sich geduscht hatte, das Hemd. Dann ging er hinunter, in der Hoffnung, Heidrun zu treffen. Er hatte Glück. Im Flur begegnete sie ihm, einen Staublappen in der Hand. Sie hatte schwarzes Haar, schwarze Augen und einen schwarzen Humor.
«Wenn ich einmal tot bin«, sagte sie zu Peter,»lasse ich mir Besen, Staubsauger und Staublappen in den Sarg legen. Sie sind meine treuesten Begleiter.«
Da heißt es bei uns immer, daß die an der Küste alle blond und blauäugig sind, dachte Peter. Blödsinn!
«Ich habe telefoniert, Fräulein Feddersen«, erklärte er.
«Sagen Sie Heidrun zu mir.«
«Gerne — wenn Sie Peter zu mir sagen.«
«Ist gut, Peter. Telefongespräche werden automatisch registriert. Das Problem mit Ihrem Zimmer ist gelöst. Sie können drin wohnen bleiben.«
«Und die Dame aus Bremen?«
«Bekommt ein anderes.«
«Hat jemand abgesagt?«
«Ja«, nickte Heidrun. Das war aber eine Lüge.
Ein wenig verlegen fragte Peter, ob ihn diese Regelung irgendwie binde.
«Wieso binde?«antwortete Heidrun.»Was meinen Sie damit?«
«Es könnte sein, daß ich das Zimmer morgen gar nicht mehr brauche. Ich hätte Ihnen das schon eher sagen müssen. Vielleicht reise ich nämlich von Nickeroog schon wieder ab.«
Was heißt vielleicht? dachte er dabei. Wenn ich Karin begegne — und warum sollte ich ihr nicht begegnen? — , ist das mit Sicherheit der Fall. Entweder sie erklärt sich bereit, mit mir zu kommen, und wir fahren gemeinsam — oder sie läßt mich abblitzen, meine Mission hier ist damit auch beendet, und ich verschwinde allein; auf jeden Fall schüttle ich den Staub bzw. den Sand Nickeroogs von meinen Füßen; so ist's vorgesehen.
«Das kann ich fast nicht glauben«, erklärte Heidrun.
«Was können Sie fast nicht glauben?«entgegnete Peter.
«Das jemand nur für einen Tag nach Nickeroog kommt.«»Doch«, stieß Peter hervor und wiederholte:»Ich hätte Ihnen das wirklich schon eher sagen müssen.«
Heidrun konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
«Und warum haben Sie es mir nicht schon eher gesagt?«
Peter sah sie voll an. Den Blick wieder senkend, erwiderte er dann:»Weil mein Wunsch, hier länger zu wohnen, so groß war — und noch ist«, setzte er hinzu.
«Dann tun Sie's doch«, sagte Heidrun spontan.
Peter hob seinen Blick wieder. Beide schauten einander an. Es war ein stummes Frage- und Antwortspiel.
Ist denn das die Möglichkeit? dachte Peter Krahn. Gibt's denn das? Wer bin ich denn plötzlich? Ein ganz anderer? Noch vor einer halben Stunde, wenn mir einer erzählt hätte, daß das möglich ist, was mit mir hier vorzugehen scheint, hätte ich ihn nur ausgelacht. Und jetzt.?
Ganz Ähnliches ging Heidrun durch den Kopf. (Oder sollte man hier nicht besser sagen: durch das Herz?)
Aus einem der unteren Räume drang eine Stimme und schreckte die beiden auf:»Heidrun!«
«Ja, Mutti?«
«Du wolltest doch morgen dein Zimmer räumen. Fang damit am besten heute schon an. Deine Sachen müssen doch alle raus.«
Karin gab darauf keine Antwort. Unter Peters Blick errötete sie rasch und heftig. Mutter Feddersen glaubte anscheinend, ihren Vorschlag dringlich genug gemacht zu haben, denn man hörte von ihr nichts mehr.
«Sie wollten also Ihr Zimmer räumen?«sagte Peter zu Heidrun.
«Nicht für Sie«, erklärte Heidrun wahrheitsgemäß.
«Nein, nicht für mich«, nickte Peter.»Für die Dame aus Bremen, nehme ich an.«
«Ja.«
«Damit deren Zimmer ich behalten kann.«
«Das Ganze ist ja nun gar nicht mehr notwendig.«
«Warum nicht?«»Weil Sie doch abreisen.«
«Nein.«
«Nein?«Das war ein kleiner Jubelruf aus Heidruns Mund.
«Das heißt. ich weiß es noch nicht. es besteht die Möglichkeit.«
Er unterbrach sich:»Sagten Sie nicht, daß jemand seine Zimmerbestellung abgesagt hat?«
«Sagte ich das?«
«Ja, ich glaube mich daran zu erinnern, daß Sie das sagten.«
«Ich kann mich aber nicht daran erinnern.«
Das Telefon läutete. Man hörte es aus dem Zimmer, aus welchem auch die Stimme von Frau Feddersen gekommen war. Frau Feddersen hob ab und sagte in Abständen:»Guten Tag, Herr Harder. Danke, und Ihnen?… Wir sehen uns ja morgen, nicht?… Nein? Warum nicht?. Ach Gott, das tut mir aber leid, Sie sind mit dem Fahrrad gestürzt, dabei soll Radfahren jetzt so gesund sein, sagen Sie und alle Leute. Da kann man mal wieder sehen, nicht?… Lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen, Herr Harder, wir sind voll, Ihr Zimmer steht Ihnen dann später zur Verfügung. Ja. Ja. Ganz bestimmt, ja. Rufen Sie uns an, wenn Sie wieder auf dem Damm sind, ja?… Wiedersehen, Herr Harder, gute Besserung.«
Man hörte, wie Frau Feddersen auflegte. Nun konnten Heidrun und Peter auf dem Flur ihr Gespräch wieder ungestört fortsetzen.
«Jetzt erinnere ich mich«, sagte Heidrun.
«An was?«fragte Peter.
«Daran, daß jemand seine Zimmerbestellung rückgängig gemacht hat.«
«Heidrun!«rief Frau Feddersen.
«Ja?«
«Du kannst deine Sachen lassen, wo sie sind. Der Herr Harder aus Hannover kommt nicht.«
«Ist gut, Mutti.«
«Wo steckst du eigentlich? Ich brauche dich.«
«Gleich komme ich.«
Heidrun blickte Peter an, der den Kopf schüttelte.
«Alles klar«, meinte sie.»Sie hörten es selbst: Es hat jemand abgesagt, wie ich es Ihnen mitteilte. Nur mein Erinnerungsvermögen war ganz kurz gestört.«
Peter schüttelte den Kopf noch stärker.
«Darüber sprechen wir noch«, entgegnete er mit gespielter Strenge.»Jetzt müssen Sie zu Ihrer Mutter, das rettet Sie im Moment.«
Kapitel 8
Das Kurhaus erstrahlte im vollen Lichterglanz. Fast alle Plätze waren schon besetzt. Niemand wollte den >Ball der Miß Nickeroog< versäumen, der darauf angelegt war, zum Höhepunkt der Saison zu werden. Die Menschen waren festlich gekleidet, wie schon bei der Wahl, und erhofften sich einen aus dem Rahmen fallenden Abend, der es ihnen ermöglichen würde, ihn den Bekannten zu Hause in den glühendsten Farben zu schildern, um ihren Neid zu erregen.