Ach Gott, dachte Mimmi, die Armen. Schon wieder, man kann sie gar nicht mehr sehen. Mir tun sie ja so leid, aber die ewigen Bilder über sie können einem auch lästig werden. Das soll nicht heißen, daß ich gegen die >Aktion Sorgenkind< bin. Im Gegenteil.
Sie erhob sich, schaltete den Apparat ab, verließ den Raum, um nach ihrem Gatten zu sehen, und fand ihn oben im Schlafzimmer vor dem offenen Kleiderschrank, aus dem er einzelne Stücke herausnahm und sie aufs Bett warf. Sie wurden vom Dienstmädchen aufgenommen und im Koffer verstaut, der am Fußende des Bettes lag.
«Was machst du?«fragte Mimmi, auf der Schwelle stehend, ihren Mann.
«Packen.«»Wohin willst du?«
«Nach Nickeroog, für Ordnung sorgen.«
«Aber — «
«Denkst du, ich lasse das so weiterlaufen? Dann kennst du mich schlecht. Du und Karin, ihr beide kennt mich dann schlecht.«
Mimmi gab dem Dienstmädchen ein Zeichen, das Schlafzimmer zu verlassen. Als das geschehen war, sagte sie:»Paul, ich warne dich. Du läufst Gefahr, dich dort nur zu blamieren. Die Karin hat ihren eigenen Kopf, das weißt du doch, den sie durchzusetzen pflegt, auch dir gegenüber.«
«Diesmal nicht, dafür garantiere ich.«
«Was willst du denn machen, wenn sie sich dir nicht fügt?«
«Ihr ein paar hinter die Löffel hauen, daß ihr das Feuer aus den Augen springt.«
Mimmi legte sich die Hand auf die Brust.
«Bist du wahnsinnig? Sie ist erwachsen!«
«Das ist mir egal. Ich habe mir lange genug von ihr auf der Nase herumtanzen lassen. Das war ein Fehler, wie sich jetzt zeigt. Wir hätten ihr schon diese Schnapsidee, allein in Urlaub zu fahren, austreiben müssen, dann wäre die ganze Sauerei nicht so gekommen. Jedes zweite Wort ist schon seit Jahren von ihr Emanzipation<. Jetzt hat sich's ausemanzipiert, dafür werde ich sorgen. Ganz Düsseldorf lacht über uns, jedenfalls diejenigen mit Verstand. «Paul hob den Zeigefinger.»Die kommt mit mir nach Hause, und hier wird das auch anders! Entweder fängt sie umgehend wieder an zu studieren, oder sie beginnt eine kaufmännische Lehre, die einmal dem Geschäft zugute kommen kann. Das werde ich ihr klarmachen.«
«An eine dritte Möglichkeit denkst du überhaupt nicht?«antwortete Mimmi.
«An welche?«
«Daß sie heiratet.«
«Wen denn?«regte sich Paul schon wieder auf.»Etwa einen von den Schnöseln auf dieser Scheißinsel, die nichts zu tun haben, als nur im Sand herumzuliegen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen und zu überlegen, welches der Weiber sie als nächste vernaschen können? Auch deine Tochter, vergiß das nicht. Sie ist ja mit den besten Vorsätzen hingefahren. Mit einem Haufen Pillen. Aber so einer käme mir gerade recht als Schwiegersohn.«
Er wandte sich wieder dem Schrank zu, griff hinein und zerrte eine Hose heraus. Zwei andere lagen schon auf dem Bett.
«Nimmst du mich mit, Paul?«
«Wohin? Nach Nickeroog?«
«Ja.«
«Nein, du würdest nur stören.«
Mimmi wußte, wann bei ihrem Mann sozusagen der Zug abgefahren und jedes weitere Wort in den Wind gesprochen war.
«Dann laß mich wenigstens deinen Koffer packen«, sagte sie deshalb.»Das sieht ja hier aus, als ob du eine mehrwöchentliche Geschäftsreise antreten wolltest. Zu was brauchst du drei Hosen? Oder willst du länger dort bleiben?«
«Keine unnötige Stunde länger.«
«Na also, dann genügt doch eine Reisetasche für alles. Was willst du mit dem Riesenkoffer?«
Paul Fabrici blickte zwischen seiner Frau und dem aufgeklappten, halbvollgepackten Koffer hin und her.
«Mach du das«, knurrte er dann und folgte dem Dienstmädchen, das draußen das Ohr an die Tür gelegt hatte, um sich nichts von der ehelichen Auseinandersetzung entgehen zu lassen, und sich um ein Haar zu spät von der Tür gelöst hätte.
Kapitel 10
Karin Fabrici hatte fast den ganzen Tag nach dem Abend und der Nacht ihres Balles als Miß Nickeroog< verschlafen. Es war sehr anstrengend gewesen, man hatte sie hundertmal zum Tanzen geholt, bis in die frühen Morgenstunden hinein. Nur einer war nicht aufgetaucht, um mit ihr übers Parkett zu schweben, und gerade auf ihn hatte sie so sehr gewartet. Vergeblich.
Und das Herz war Karin schwer geworden. Sie zweifelte nicht daran, daß sie den Mann nie mehr sehen würde; er war abgereist, das stand für sie fest. Als der Ball endlich vorüber war, hatte sie sich vom Portier ihres Hotels eine starke Schlaftablette aushändigen lassen, ohne die es ihr trotz ihrer Müdigkeit nicht möglich gewesen wäre, den dringend benötigten Schlaf zu finden.
Am Spätnachmittag erwachte sie. Man hatte sie schlafen lassen. Der Rummel um sie war am Abflauen. Der Tag eines Filmstars lag hinter ihr, der festliche Ball auch; die Interviews jagten einander nicht mehr; Kosmetikerin meldete sich keine.
Karin stand im Bad vor dem Spiegel und betrachtete gähnend ihr Gesicht, als das Telefon läutete.
«Laßt mich doch in Ruhe«, murmelte sie vor sich hin und schlurfte zum Apparat. Sie war noch im Nachthemd.
«Ja?«meldete sie sich.
«Karin!«
«Mutti!«
Mimmis Stimme war natürlich sofort erkannt worden.
«Kind, was ist mit dir? Ich habe schon hundertmal versucht, dich zu erreichen, aber es wurde nicht abgehoben, obwohl man mir sagte, daß du auf deinem Zimmer seist.«
«Ich habe wohl nichts gehört, habe ganz tief geschlafen, Mutti.«
«Ich ließ es minutenlang läuten. So tief kann man nicht schlafen.«
«Wenn man eine Tablette genommen hat, schon.«
«Eine Tablette?«erschrak Mimmi.»Seit wann brauchst du zum Schlafen Tabletten?«
«Nur ausnahmsweise eine. Die Aufregung hier, weißt du.«
«Dir steht eine noch größere bevor, deshalb rufe ich an.«
«Ich verstehe dich nicht, was ist los? Ist etwas passiert bei euch?«
«Ja.«
«Mach mich nicht bang«, stieß Karin hervor.»Was denn?«
«Vati hat durchgedreht.«
«Durchgedreht? Wie denn?«
«Er hätte um ein Haar den Fernseher kaputtgeschlagen, als wir dich in der >Drehscheibe< erlebten.«
Karin fand das spaßhaft und kicherte, doch ihre Mutter sagte rasch:»Lach nicht, Kind, die Sache ist todernst. Er ist auf dem Weg zu dir, und ich wollte dich darauf vorbereiten. Ich mußte ihm gestern abend noch die Reisetasche packen. Wenn er nicht heute morgen und am Vormittag noch einmal im Geschäft aufgehalten worden wäre, hättest du ihn längst am Hals. Aber jetzt mußt du stündlich mit ihm rechnen.«
«Na und?«
«Kind«, seufzte Mimmi,»nimm das nicht auf die leichte Schulter. Du wirst einen ganz neuen Vater kennenlernen.«
«Aber Mutti, seit wann glaubst du, mir vor Vati Angst machen zu müssen?«
«Seit gestern.«
«Ach was, den wickle ich doch um den Finger, wie immer.«
«Nicht mehr, Karin. Es ist etwas geschehen in ihm, ich weiß auch nicht, was. Jedenfalls hat ihn deine Miß Nickeroog<-Geschichte völlig verwandelt, in Raserei versetzt. Er hatte quasi Schaum vorm Mund, glaub mir.«
«Aber warum denn?«
«Frag mich nicht, vernünftig ist ja mit ihm nicht zu reden.«
«Und du? Was hältst du von meiner Wahl? Warst du nicht stolz auf mich?«
«Ursprünglich ja, sehr stolz, aber inzwischen ist mir das vergangen.«
«Seid ihr denn alle verrückt, Mutti?«
«Warte, bis du deinen Vater erlebt hast, dann reden wir weiter.«
«Ich lasse mich von dem nicht terrorisieren. Diese Zeiten sind vorbei. Ich bin — «
«Karin«, unterbrach Mimmi ihre Tochter direkt flehenden Tones,»ich bitte dich inständig, gerade diesen Standpunkt diesmal ihm gegenüber nicht zu vertreten. Das könnte eine Katastrophe geben.«
«Welche Katastrophe? Du tust ja so, als ob Gefahr drohe, daß er sich an mir vergreift.«
«Eben.«»Waaas?«