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Stoker gestattete sich ein leichtes Lächeln. »Damit haben Sie Recht, Sir. Und das könnte das Ende von allem bedeuten, wahrscheinlich auch von Ihnen und mir und ganz bestimmt von Mr Narraway.«

»Das heißt, Sie und ich sind auf uns allein gestellt, um festzustellen, was hier gespielt wird.« Pitt war zu dem Ergebnis gekommen, dass es ums Ganze ging und er, wenn er Stoker schon trauen wollte, es rückhaltlos tun müsste. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, dem Mann den Eindruck zu vermitteln, als verlasse er sich nur zum Teil auf ihn.

Er holte die Papiere hervor, an denen er gearbeitet hatte, und legte sie so auf den Tisch, dass beide sie einsehen konnten.

»Dieses Muster habe ich bisher erkannt.« Er wies auf Linien, die Fälle von Waffenschmuggel und die Bewegungen von sowohl in Großbritannien als auch auf dem europäischen Kontinent allgemein bekannten Radikalen miteinander verbanden.

»Das ist ehrlich gesagt nichts Besonderes«, sagte Stoker mit finsterer Miene. »Es sieht für mich so aus wie immer.« Er wies auf einzelne Stellen des Planes: »Das da ist Rosa Luxemburg im Osten, aber die ist schon seit Jahren so aktiv. Dann haben wir Jean Jaurès in Frankreich. Der bedeutet aber keine Gefahr, denn er ist nicht auf Revolution aus, sondern auf Gesellschaftsreformen. Er führt zwar ab und zu eine recht scharfe Sprache, ist aber bei Licht besehen ziemlich gemäßigt. Jedenfalls hat das nichts mit uns zu tun. Der Mann ist so französisch wie Froschschenkel.«

»Und hier?« Pitt wies auf eine Linie, die Aktivitäten der Fabier-Gesellschaft in London und Birmingham bezeichnete.

»Die werden ihre Vorhaben letzten Endes durch das Unterhaus bringen«, sagte Stoker. »Keir Hardie wird ein bisschen Lärm schlagen, aber auch darum brauchen wir uns nicht zu

Pitt gab keine Antwort. Er sah erneut die Berichte an und las den Text noch einmal, sah aufmerksam auf das geografische Muster, das sich vor seinen Augen abzeichnete, und auf die Namen derer, die an den jeweiligen Aktionen beteiligt waren.

Dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit. »Ist das Willy Portman?«, fragte er und wies auf einen Bericht über bekannte Agitatoren, die man in Birmingham beobachtet hatte.

»Ja, Sir, sieht ganz so aus. Was hat der hier zu suchen? Das ist ein ziemlich übles Subjekt. Gewalttätig. Wo der sich beteiligt, kommt nichts Gutes dabei heraus.«

»Ich weiß«, gab ihm Pitt Recht. »Aber nicht darauf will ich hinaus. In diesem Bericht hier heißt es, man habe ihn bei einer Versammlung zusammen mit Joe Gallagher gesehen. Es ist aber allgemein bekannt, dass die beiden seit Jahren miteinander verfeindet sind – was könnte die veranlassen, etwas gemeinsam zu unternehmen?«

Stoker sah ihn an. »Das ist noch nicht alles«, sagte er leise. »In Sheffield hat man McLeish zusammen mit Mick Haddon gesehen.«

Pitt kannte auch diese Namen. Es handelte sich um zwei extrem gewalttätige Männer, von denen ebenfalls bekannt war, dass sie einander bis aufs Blut hassten.

»Außerdem Fenner«, fügte er hinzu und wies auf das Blatt, wo der Name stand. »Hinzu kommen Guzman und Scarlatti. Das ist ein durchgehendes Muster. Ganz gleich, worum es sich bei der Sache handelt, sie scheint diesen Erzfeinden so wichtig zu sein, dass sie plötzlich zusammenarbeiten, und das hier in unserem Land.«

Ein Anflug von Besorgnis trat in Stokers Augen. »Ich bin aus einer ganzen Reihe von Gründen durchaus für Reformen, Sir, aber ich möchte nicht, dass dabei gleich alles Gute aufgegeben wird. Außerdem ist Gewalt nicht der richtige Weg, denn einerlei, was man damit bewirkt, es geht dann immer auf die gleiche Art weiter. Wenn man den König hinrichtet, hat man entweder einen religiösen Diktator wie Cromwell am Hals, der das Volk stärker unterdrückt hat, als je vor ihm ein König, und man muss zusehen, wie man den wieder los wird – oder ein Ungeheuer wie Robespierre mit seiner Schreckensherrschaft in Frankreich taucht auf, und anschließend kommt dann noch ein Napoleon. Ganz zum Schluss hat man dann doch wieder einen König auf dem Thron, zumindest eine Zeit lang. Lieber als all das möchte ich, dass die Dinge bei uns im Lande bleiben, wie sie sind, mit allen Mängeln.«

»Mir geht es ebenso«, stimmte Pitt zu. »Aber solange wir nicht wissen, wer diese Leute sind und wann und auf welche Weise sie losschlagen wollen, können wir der Sache nicht Einhalt gebieten. Ich fürchte, uns bleibt nicht viel Zeit.«

»Nein, Sir. Und wenn Sie gestatten, dass ich es offen sage, wir haben auch keine Verbündeten, jedenfalls nicht hier in Lisson Grove. Wer immer das war, der Mr Narraways Namen in den Schmutz gezogen hat, er hat gründliche Arbeit geleistet, und Ihnen traut hier im Hause niemand, weil Sie Narraways Mann sind.«

Pitt lächelte grimmig. »Ich bin sicher, dass noch viel mehr dahintersteckt, Stoker. Ich bin ganz neu in dieser Position und kenne die Hintergründe nicht. Keiner von den Männern wird mir mehr trauen als Austwick, was man ihnen kaum übelnehmen kann.«

»Ist Austwick Ihrer Ansicht nach ein Verräter, Sir?«

»Vermutlich. Aber möglicherweise nicht der einzige.«

»Ich weiß«, sagte Stoker kaum hörbar.

KAPITEL 11

Vom Deck der Fähre blickte Narraway nach Westen. Mit einem Gefühl von Dankbarkeit und Erleichterung sah er, wie die vertraute Küste Irlands am Horizont versank, ohne dass ein Boot der Polizei oder Küstenwache die Verfolgung aufnahm. Zumindest einige Stunden lang konnte er seine ungeteilte Aufmerksamkeit der Frage zuwenden, wie es nach dem Anlegen in Holyhead weitergehen sollte. Am nächstliegenden wäre es natürlich, den ersten Zug nach London zu nehmen, der von dort fuhr – doch was, wenn andere das voraussahen und ihn festnehmen ließen, kaum, dass er eingestiegen war? Wenn er sich hingegen länger am Ort aufhielte, gäbe das womöglich jenen, die vermutlich nach wie vor darauf brannten, ihn zu fassen, eine Gelegenheit, mit einem leichteren und schnelleren Boot die Irische See zu überqueren und ihn in ihre Gewalt zu bringen, bevor er Hilfe herbeiholen konnte.

Charlotte, die neben ihm stand, war erkennbar erschöpft. Obwohl nach wie vor der Ausdruck tiefer Besorgnis auf ihren Zügen lag, erschien sie ihm schön. Der allzu glatten Vollkommenheit schon lange überdrüssig, vertrat er die Ansicht, wer auf den Anblick einer vollkommenen Komposition von Farbe, Proportionen, glatter Haut und ebenmäßigen Gesichtszügen aus war, möge sich Kunstwerke ansehen, von denen es auf der

Eine wirkliche Frau strahlte Wärme aus, war verletzlich, kannte Ängste und Sorgen. Natürlich hatte sie auch Schwächen – wie könnte sie sich sonst liebevoll mit denen eines Partners abfinden? Ein Mensch ohne Lebenserfahrung war ein Gefäß, das darauf wartete, gefüllt zu werden, denn es war leer, auf wie herrliche Weise auch immer es gefertigt sein mochte. Für einen Menschen voll Mut oder Leidenschaft ging Erfahrung mit einem gewissen Maß an Schmerz, begangenen Fehlern, gelegentlichen Fehleinschätzungen und dem Bewusstsein erlittener Verluste einher. Wie reizend junge Frauen eine Zeit lang auch sein mochten, sie langweilten ihn schon bald.

Zwar war er durchaus an Einsamkeit gewöhnt, doch mitunter schmerzte ihn ihre drückende Last so sehr, dass er sich ihrer stets bewusst war. So wie in Irland und auch jetzt, da er neben Charlotte an Deck stand und sah, wie ihr der Wind das Haar aus den Haarnadeln zerrte und ins Gesicht blies.

Sie hatte ihm bereits berichtet, was sie über Fiachra McDaid, Talulla Lawless, John Tyrone und das Geld in Erfahrung gebracht hatte. Die Dinge lagen äußerst kompliziert. Narraway hatte sich die Zusammenhänge zwar teilweise aus O’Caseys Erklärungen zusammengereimt, aber ohne zu verstehen, welche Rolle Talulla darin spielte. Sie hätte Cormac O’Neil wohl kaum Vorhaltungen gemacht, wenn ihr Fiachra McDaid nicht eingeredet hätte, ihre Eltern seien schuldlos gewesen. Natürlich hätte sie Narraway trotzdem noch mit Vorwürfen überschüttet, aber das war durchaus verständlich. Seine Schuld an Kates Tod war ebenso groß wie die irgendeines anderen, denn dieses Ende war vorhersehbar gewesen. Er hatte gewusst, was Sean für sie empfand.