Выбрать главу

» Warten Sie, bis er herauskommt«, flüsterte Stoker. »Ich gehe auf die andere Seite und stelle mich neben die Tür. Sie lenken seine Aufmerksamkeit auf sich, und dann packe ich ihn von hinten. Stellen Sie sich darauf ein, dass er sich wehren wird.«

Pitts Herz schlug so heftig, dass er überzeugt war, diese Bewegung teile sich seinem ganzen Körper mit. War ihm seine Beförderung auf den Posten des Dienststellenleiters zu Kopf gestiegen, und stand er jetzt im Begriff, das Unüberlegteste zu

Und wenn nun Stoker der Verräter war und Pitt mit voller Absicht in diese Falle lockte? Wenn er in Austwicks Auftrag arbeitete und jetzt den einzigen Mann festnahm, der ihnen noch im Weg stand?

War das Ganze womöglich ein abgekartetes Spiel mit dem Ziel, den Sicherheitsdienst zugrunde zu richten, ihn jeglicher Glaubwürdigkeit zu berauben, so dass man ihn abschaffen konnte?

Er erstarrte.

Stoker schlich auf Zehenspitzen durch das Vestibül und blieb, kaum als Schatten wahrnehmbar, im Rahmen der Tür neben dem Arbeitszimmer stehen, so dass ihm Croxdale den Rücken zukehren würde, wenn er herauskam, um mit Pitt zu sprechen.

Die Sekunden schlichen dahin.

Telefonierte Croxdale da drin mit dem Premierminister? Was konnte er ihm dabei sagen? Würde er ihn persönlich aufsuchen müssen, um die Erlaubnis zu erwirken, Osborne House mit einem Trupp Bewaffneter zu entsetzen? Nein – hier handelte es sich um einen Notfall. Es gab keine Zeit für langes Hin und Her oder große Erklärungen. Stand er im Begriff, Austwicks Festnahme zu veranlassen?

Die Tür zum Arbeitszimmer bewegte sich, und Croxdale trat heraus. Jetzt musste Pitt handeln, während der Minister durch das unbeleuchtete Vestibül auf das Empfangszimmer zuging.

Er trat vor. »Sir Gerald, Austwick ist nicht der Anführer des geplanten Anschlags.«

Croxdale blieb stehen. » Was zum Teufel soll das? Falls jemand anders dahintersteckt, warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«

» Weil ich es da noch nicht wusste«, gab Pitt unumwunden zurück.

Croxdales Gesicht war wegen der Dunkelheit nicht zu erkennen. »Und jetzt wissen Sie es?«, fragte er leise. War das Ungläubigkeit, oder hatte er endlich begriffen?

»Ja.«

Lautlos schlich sich Stoker bis auf einen Schritt an Croxdale heran, wobei er darauf bedacht war, keinen Schatten zu werfen.

»So, so. Und wer soll das sein?«, fragte Croxdale.

»Sie.«

Völliges Schweigen trat ein.

Croxdale war ein breitschultriger, schwerer Mann. Pitt fragte sich, ob er und Stoker imstande sein würden, ihn zu überwältigen, falls er sich wehrte und nach dem Lakaien rief, der sich sicher irgendwo in der Nähe bereithielt – hoffentlich in der Küche, denn um ihn dort zu erreichen, würde man nach ihm läuten müssen.

»Sie haben einen Fehler begangen«, teilte ihm Pitt mit, allein schon, damit Croxdale es nicht hörte, falls Stoker doch irgendein Geräusch verursachte.

»Tatsächlich? Und welchen?« Croxdales Stimme klang nicht beunruhigt. Binnen Sekunden hatte er seine Haltung wiedergefunden.

»Der Betrag, den Sie an Mulhare gezahlt haben.«

»Das war er wert. Er hat uns Byrne ausgeliefert«, gab Croxdale zurück. In seiner Stimme lag unverhohlene Verachtung. »Falls Sie Ihr Aufgabengebiet kennen würden, wäre Ihnen das bewusst.«

»Das kenne ich gut«, gab Pitt zurück und sah Croxdale unverwandt an, damit sich dieser auf keinen Fall umdrehte und

»Ja, und?«, fragte Croxdale. »Dagegen ist nichts einzuwenden, denn sie war rechtmäßig.«

»Sie hat dazu gedient, Narraway auszubooten – und Sie hatten gesagt, dass Sie nichts davon wüssten«, erinnerte ihn Pitt.

Croxdale nahm die Hände aus den Taschen. In der Linken hielt er eine kleine Pistole. Während er sie hob und in Anschlag brachte, brach sich ein schmaler Lichtstrahl darin, der hinter Pitts Rücken aus dem Empfangszimmer ins Vestibül fiel.

Pitt drehte sich rasch um, als stehe Stoker hinter ihm. Im selben Augenblick hob dieser ein Bein und trat Croxdale gezielt gegen den linken Ellbogen.

Die Waffe flog durch die Luft. Pitt streckte sich, und es gelang ihm, sie zu fangen. Blitzschnell fuhr Croxdale zu Stoker herum, verdrehte ihm den Arm, so dass er zu Boden sank, und nahm ihn in den Würgegriff.

»Geben Sie mir die Pistole zurück, wenn Sie nicht wollen, dass ich ihm das Genick breche«, stieß Croxdale mit sich beinahe überschlagender Stimme hervor.

Pitt zweifelte keine Sekunde daran, dass er diese Drohung wahrmachen würde. Die Maske war gefallen: Croxdale hatte nichts mehr zu verlieren. Mit Sicherheit würde Stoker den Würgegriff nicht lange durchhalten, und so blieb Pitt keine Wahl. Noch befand sich Stoker halb seitlich von Croxdale, wurde aber von ihm immer mehr herübergezogen. Es würde nur noch wenige Augenblicke dauern, bis Stoker bewusstlos war, dann konnte Croxdale ihn nach Belieben als lebenden Schutzschild benutzen.

Pitt zielte auf Croxdales Kopf und traf. Das überraschte ihn selbst, nicht wegen der Entfernung, denn die war gering, wohl aber, weil er noch nie zuvor auf einen Menschen geschossen hatte.

Croxdale stürzte rücklings zu Boden. Von Blutspritzern bedeckt, sank Stoker taumelnd neben ihn. Pitt ließ die Waffe fallen, ergriff seine Hand und zog ihn auf die Füße.

Stoker sah zu der Pistole hin.

»Lassen Sie sie liegen!«, sagte Pitt, der verblüfft feststellte, dass seine Stimme fast völlig normal klang. »Der Minister hat sich erschossen, als er gemerkt hat, dass wir Beweise für seinen Hochverrat besitzen. Wir wussten nicht, dass er eine Waffe hatte, und konnten ihn daher nicht daran hindern.« Jetzt zitterte er doch, und es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, sich auf den Beinen zu halten. » Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«, fuhr er mit einem Mal Stoker an. »Er hätte Sie glatt umgebracht!«

Keuchend rieb sich Stoker den Hals. »Ich weiß«, gab er mit rauer Stimme zurück. »Nur gut, dass Sie geschossen haben, sonst läge jetzt ich dort tot am Boden. Danke, Sir.«

Gerade als ihm Pitt mitteilen wollte, dass es ausgesprochen dumm von ihm gewesen sei, sich von Croxdale auf diese Weise packen zu lassen, kam ihm die plötzliche Erkenntnis, dass er das mit voller Absicht getan hatte. Er hatte das eigene Leben ganz bewusst aufs Spiel gesetzt, um zu erreichen, dass Pitt auf Croxdale schoss. Er musterte Stoker mit einem Blick, als sehe er ihn zum ersten Mal.

» Was hätten wir sonst gegen ihn ausrichten können, Sir?«, fragte Stoker pragmatisch. »Hätten wir ihn etwa fesseln sollen? Dann hätten ihn seine Dienstboten gefunden und befreit. Hätten wir ihn in einer Droschke mitnehmen oder einer von uns hierbleiben und ihn bewachen sollen?«

»Sie haben Recht!«, schnitt ihm Pitt das Wort ab. »Jetzt aber müssen wir so schnell wie möglich zur Isle of Wight, um

Dann kam ihm ein weiterer Gedanke. »Für den Fall, dass er Austwicks Festnahme veranlasst hat – wohin hat er ihn da wohl in der Eile bringen lassen?«

»Austwick?« Stoker begriff nicht.

»Ja. Wo mag der jetzt sein? Wie lässt sich feststellen, wo er wohnt? Oder wissen Sie es?«

»In Kensington, Sir, nicht weit von hier«, gab Stoker zur Antwort. »Falls Croxdale überhaupt jemanden angerufen hat, dann die Polizei von Kensington.«

»Sofern er es nicht getan hat, werden wir das jetzt tun«, sagte Pitt, der inzwischen eine genaue Vorstellung davon hatte, wie er weiter vorgehen musste. »Vorwärts, es eilt. Wir wissen nicht, wen Croxdale angerufen hat – auf keinen Fall war es der Premierminister.« Er ging auf das Arbeitszimmer zu.

»Sir!«, sagte Stoker verwirrt.

Pitt wandte sich zu ihm um. »Falls einer der Dienstboten herunterkommt, sagen Sie ihm, dass sich Sir Gerald erschossen hat. Tun Sie alles, was Sie können, um dafür zu sorgen, dass es glaubhaft aussieht. Ich rufe die Polizeiwache von Kensington an.« Da er keine Zeit hatte, lange nach der Nummer zu suchen, nahm er den Hörer ab und teilte der Vermittlung mit, dass er dringend eine Nummer brauche. Vielleicht hatte Croxdale es ja ebenso getan. Als sich die Polizei meldete, stellte