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»Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Nummer gewählt haben, Sir?«, sagte der Polizeibeamte in zweifelndem Ton. »Hier hat niemand angerufen.«

»Aber Mr Austwick wohnt doch in Ihrem Bezirk?«, fragte Pitt mit einem plötzlichen flauen Gefühl im Magen.

»Ja, Sir.«

»Dann wollen wir uns vergewissern, dass ihm keine Gefahr droht. Wie lautet seine Adresse?«

Der Mann zögerte einen Augenblick und nannte sie dann. » Wir können gern selbst Leute hinschicken, Sir. Sie verstehen, wir wissen ja nicht wirklich, wer Sie sind.«

»Gut. Tun Sie das«, stimmte Pitt zu. » Wir kommen, sobald wir eine Droschke aufgetrieben haben.« Er hängte den Hörer wieder auf und ging zu Stoker ins Vestibül, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat.

» Wir brauchen eine Droschke«, sagte Pitt.

»Da werden wir bis zur Hauptstraße gehen müssen«, gab Stoker zur Antwort, öffnete die Tür und verließ das Haus, unübersehbar erleichtert. Sie schritten so rasch aus, wie sie konnten, ohne zu rennen.

Es dauerte einige Minuten, bis sie eine Droschke fanden. Dem Kutscher nannten sie Austwicks Anschrift und forderten ihn auf, so schnell wie möglich zu fahren. » Was haben Sie mit Austwick vor, Sir?«, erkundigte sich Stoker. Er musste die Stimme heben, um sich über dem Hufgetrappel und dem Rattern der Räder auf dem Kopfsteinpflaster verständlich zu machen.

»Er soll uns helfen«, gab Pitt zurück. »Da er die Leute nach Osborne House in Marsch gesetzt hat, ist er auch der Einzige,

»Meinen Sie denn, dass er das tut?«, fragte Stoker.

»Es ist unsere Aufgabe, ihn dazu zu überreden«, stieß Pitt grimmig hervor. »Croxdale ist tot, aber Narraway lebt. Ich bezweifle, dass die Königin selbst unter Lebensgefahr etwas unterschreiben würde, was die Macht oder die Würde der Krone einschränken könnte.«

Stoker gab keine Antwort, doch Pitt sah im Licht der nächsten Straßenlaterne, an der sie vorüberkamen, dass er lächelte.

Vor Austwicks Haus standen mehrere Polizeibeamte, die sich unauffällig im Schatten hielten.

Pitt und Stoker zeigten ihre Dienstmarken.

»Wie können wir Ihnen behilflich sein, Sir?«, erkundigte sich ein Wachtmeister diensteifrig.

Pitt traf seine Entscheidung umgehend. » Wir holen uns Mr Austwick und fahren alle miteinander, so schnell es geht, nach Portsmouth.«

Der Wachtmeister sah verwirrt drein.

»Rufen Sie von Austwicks Apparat aus am Bahnhof an, dass man den Nachtzug warten lässt«, teilte ihm Pitt mit. »Wir müssen unbedingt vor morgen früh auf der Isle of Wight sein.«

Zackig gab der Beamte zurück: »Verstanden, Sir. Ich … ich kümmere mich sofort darum.«

Mit einem Lächeln dankte ihm Pitt. Dann nickte er Stoker zu. Sie klopften so lange an Austwicks Haustür, bis ein schlaftrunkener Lakai im Nachthemd öffnete. Bevor er etwas sagen konnte, forderte Pitt ihn auf, beiseitezutreten. Der Mann sah die Polizeibeamten hinter Pitt und Stoker und befolgte die

» Was zum Teufel wird hier gespielt?«, erkundigte er sich aufgebracht. »Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist, Mann?«

Pitt warf einen Blick auf die Standuhr ihm gegenüber. »Gleich Viertel vor zwei«, sagte er. »Und wir müssen vor Tagesanbruch in Portsmouth sein.«

Austwick erbleichte, was selbst im schlecht beleuchteten Vestibül deutlich zu sehen war. Sofern Pitt noch einen Beweis dafür gebraucht hätte, dass der Mann Croxdales Plan kannte, hätte die unübersehbare Angst auf Austwicks Gesicht diesen geliefert.

»Das Spiel ist aus«, sagte Pitt. »Croxdale hat sich erschossen, als wir ihm eröffnet haben, dass wir seinen Plan kennen. Narraway ist aus Irland zurück und befindet sich bei der Königin in Osborne House. Sie haben die Wahl, Austwick: Wir können Sie an Ort und Stelle festnehmen, dann werden Sie wegen Hochverrats vor Gericht gestellt. In dem Fall wird man Sie hängen, und Ihre Angehörigen werden ihres Lebens nicht mehr froh. Noch Ihre Enkel, falls Sie welche haben, müssten sich Ihres Namens schämen.« Er erkannte das Entsetzen auf Austwicks Zügen, konnte sich aber kein Mitgefühl leisten. »Die andere Möglichkeit besteht darin, dass Sie mit uns kommen und Ihre Leute aus Osborne House zurückrufen«, fuhr er fort. »Sie haben zwei Minuten Zeit, sich zu entscheiden. Wollen Sie als geächteter Verräter am Galgen enden – oder uns begleiten und als Held leben oder sterben?«

Austwick brachte kein Wort heraus. Er war sichtlich vor Angst wie gelähmt.

»Schön«, sagte Pitt entschlossen. »Sie kommen also mit. Das habe ich mir gleich gedacht. Wir nehmen den Nachtzug nach Portsmouth. Beeilen Sie sich.«

Stoker fasste Austwick mit festem Griff am Arm, und sie traten in die Nacht hinaus.

Sie mussten ihn halb in die wartende Droschke heben, dann nahmen sie links und rechts von ihm Platz. Der Polizeiwachtmeister und ein weiterer uniformierter Beamter folgten in einer zweiten Droschke, bereit, erforderlichenfalls die Straße freizumachen.

Schweigend ging es im gestreckten Galopp der Themse und dem an ihrem Südufer gelegenen Bahnhof entgegen, wo sie den Postzug nach Portsmouth nehmen wollten. Pitt merkte, dass er unwillkürlich die Hände zu Fäusten geballt hatte. Sein ganzer Körper schmerzte vor Anspannung, weil er nicht wusste, ob der Zug wirklich warten würde. Der Beamte hatte von Austwicks Haus aus auf der eigenen Wache angerufen, damit die Kollegen die Leute bei der Bahn instruierten. Wenn nun der Bahnhofsvorsteher der Nachtschicht ihm nicht geglaubt oder nicht begriffen hatte, wie dringend die Sache war? Was, wenn der Mann einer solchen Krisensituation nicht gewachsen war?

Weiter ging es durch nahezu verlassene Straßen, über die Themsebrücke von Battersea, dann scharf nach Westen durch die High Street. In einem Augenblick fürchtete er, dass sie zu langsam fuhren, und im nächsten, wenn die Droschke in rasender Fahrt eine Kurve nahm, dass sie zu schnell fuhr und umstürzen würde.

Am Bahnhof sprangen sie hinaus, und Pitt bezahlte dem Kutscher viel zu viel, weil er es sich nicht leisten konnte, auf das Wechselgeld zu warten. Sie stürmten im Laufschritt in die Halle und zerrten Austwick mit. Der Polizeiwachtmeister wies seine Dienstmarke vor und rief dem Bahnhofsvorsteher zu, er solle ihnen den Weg zum Zug nach Portsmouth zeigen.

Der Mann gehorchte bereitwillig, doch mit unübersehbarem Unbehagen. Als er voller Mitleid Austwicks aschfahles Gesicht

Die Lokomotive stand schon unter Dampf. Ein sichtlich ungeduldiger Schaffner wartete neben der offenen Tür seines Dienstabteils, die Trillerpfeife an den Lippen.

Pitt dankte dem Polizeiwachtmeister und dessen Männern von ganzem Herzen. Er nahm sich vor, ihn zur Beförderung vorzuschlagen, immer vorausgesetzt, er überlebte die Nacht und sein Ruf war danach so, dass sich seine Empfehlung positiv auswirken konnte.

Kaum waren sie eingestiegen, als der Schaffner abpfiff. Die Lokomotive ruckte an wie ein Pferd, das sein Reiter nur mühsam hatte zurückhalten können.

Der Schaffner, ein kleiner Mann mit leuchtend blauen Augen, sah zweifelnd zu Pitt hin und sagte: »Ich hoffe nur, dass der Aufwand die Mühe wert ist. Sie werden Erklärungen abgeben müssen, junger Mann. Ist Ihnen klar, dass Sie uns volle zehn Minuten haben warten lassen?« Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr und steckte sie wieder ein. »Elf«, korrigierte er sich. »Dieser Zug befördert die königliche Post. Nichts und niemand hält ihn auf, kein Regen, keine Überschwemmung und auch kein Gewitter. Und dann stehen wir für Leute wie Sie däumchendrehend auf dem Bahnhof herum.«

»Danke«, sagte Pitt ein wenig außer Atem.

Der Schaffner sah ihn an. »Nun … wenn sich einer zu benehmen weiß, ist das gut und schön, aber trotzdem kann man die königliche Post nicht so mir nichts, dir nichts warten lassen. Solange ich dafür zuständig bin, gehört sie der Königin. «