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«Mehr als ein oder zwei Tage wird es nicht dauern, denke ich. Ich möchte nicht zu lange aus London wegbleiben. Ich habe einiges zu erledigen - ich will ein Geschäft eröffnen.»

Mr. Entwhistle sah sich in dem beengten Wohnzimmer der winzigen Wohnung um. Es war unverkennbar, dass Greg und Susan sehr wenig Geld besaßen. Er wusste, dass ihr Vater den Großteil seines Geldes durchgebracht und seiner Tochter nichts hinterlassen hatte.

«Darf ich fragen, welche Zukunftspläne Sie haben?»

«Ich habe ein Haus in der Cardigan Street im Auge. Ich nehme an, Sie könnten mir notfalls vorab etwas Geld geben? Möglicherweise muss ich eine Anzahlung leisten.»

«Das ließe sich einrichten», meinte Mr. Entwhistle. «Ich habe Sie am Tag nach der Beerdigung mehrmals angerufen, aber es war nie jemand da. Ich dachte mir schon, dass Sie vielleicht einen Vorschuss haben möchten. Ich habe angenommen, dass Sie weggefahren waren.»

«Aber nein.» Susans Antwort kam rasch. «Wir waren den ganzen Tag zu Hause. Beide. Wir haben die Wohnung überhaupt nicht verlassen.»

«Weißt du, Susan, ich glaube, unser Telefon war an dem Tag kaputt», sagte Greg leise. «Erinnerst du dich, ich bin am Nachmittag nicht zu Hard and Company durchgekommen. Ich wollte es bei der Störungsstelle melden, aber am nächsten Tag hat es wieder funktioniert.»

«Telefone können manchmal sehr unzuverlässig sein», meinte Mr. Entwhistle.

«Woher hatte Tante Cora denn von unserer Heirat erfahren?», fragte Susan unvermittelt. «Wir haben nur Standesamtlich geheiratet und den Leuten erst hinterher davon erzählt!»

«Ich könnte mir vorstellen, dass Richard es ihr gesagt hat. Sie hat ihr Testament vor etwa drei Wochen umgeschrieben - zuvor wollte sie alles der Theosophischen Gesellschaft vermachen. Ungefähr zu der Zeit hat er sie besucht.»

Susan schaute überrascht drein.

«Onkel Richard hat sie besucht? Das wusste ich gar nicht!»

«Ich wusste es selbst nicht», erklärte Mr. Entwhistle.

«Da hat also ...»

«Also was?»

«Nichts», sagte Susan.

SECHSTES KAPITEL

I

«Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie gekommen sind», sagte Maude mit ihrer rauen Stimme, als sie Mr. Entwhistle auf dem Bahnsteig in Bayham Compton begrüßte. «Ich versichere Ihnen, Timothy und auch ich sind Ihnen sehr dankbar. Sie dürfen nicht vergessen, Richards Tod war für Timothy das Schlimmste, was passieren konnte.»

Bislang hatte Mr. Entwhistle den Tod seines Freundes noch nicht von dieser Warte aus betrachtet, aber für Mrs. Timothy Abernethie war das die einzige Warte, von der aus sie ihn sehen konnte. Das wurde ihm nun klar.

Während sie zum Ausgang schritten, vertiefte Maude das Thema.

«Anfangs war es nur ein entsetzlicher Schock - Timothy hat sehr an Richard gehangen, wissen Sie. Aber dann hat Timothy leider angefangen, ganz allgemein über den Tod nachzudenken. Gebrechlich, wie er ist, macht er sich doch ziemlich Sorgen um seine Gesundheit. Ihm ist klar geworden, dass er als Einziger von den Brüdern noch am Leben ist - und dann fing er an davon zu reden, dass er als Nächster abtreten würde ... dass es nicht mehr lange dauern würde - alles sehr morbid. Das habe ich ihm auch gesagt.»

Sie verließen den Bahnhof, und Maude führte den Notar zu einem klapprigen Wagen, der fast schon musealen Wert besaß.

«Entschuldigen Sie die alte Schrottkiste», meinte sie. «Wir wollen uns seit Jahren ein neues Auto kaufen, aber bis jetzt konnten wir es uns einfach nicht leisten. Wir haben schon zweimal einen neuen Motor einbauen lassen müssen - alte Autos brauchen wirklich viele Reparaturen. Ich hoffe, er springt an», fügte sie hinzu. «Manchmal muss man ihn ankurbeln.»

Sie betätigte mehrmals den Anlasser, der aber nur träge surr-te. Mr. Entwhistle hatte in seinem ganzen Leben noch nie einen Wagen angekurbelt und ihm wurde etwas bänglich. Aber Mau-de stieg beherzt aus, steckte die Kurbel in die vorgesehene Öffnung, und mit zwei heftigen Umdrehungen erwachte der Motor zum Leben. Ein Glück, dachte Mr. Entwhistle, dass Maude so kräftig gebaut war.

«Das wäre geschafft», sagte sie. «Die alte Rostlaube hat in letzter Zeit viel Scherereien gemacht. Auf dem Heimweg von der Beerdigung hat sie mich sogar ganz im Stich gelassen. Ich musste drei Kilometer zur nächsten Werkstatt gehen, und die Mechaniker dort waren nicht gerade Könner ihres Fachs - eine einfache Dorfwerkstatt eben. Ich musste im Gasthaus übernachten, während sie daran herumgebastelt haben. Das hat Timothy natürlich noch zusätzlich aufgeregt. Ich habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass ich erst am nächsten Tag heimkommen würde. Da war er völlig aus dem Häuschen. Man versucht ja, so viel wie möglich von ihm fern zu halten, aber bei manchen Dingen geht es nicht - der Mord an Cora, zum Beispiel. Ich musste Dr. Barton holen, damit er ihm ein Beruhigungsmittel gibt. Sachen wie ein Mord sind einfach zu viel für jemanden, der so krank ist wie Timothy. Aber Cora war ja wohl immer schon ziemlich dumm.»

Diese Bemerkungen nahm Mr. Entwhistle schweigend zur Kenntnis. Ihm war nicht ganz klar, was Maude damit sagen wollte.

«Ich glaube, ich hatte Cora seit unserer Hochzeit nicht mehr gesehen», fuhr Maude fort. «Damals wollte ich Timothy nicht direkt sagen, dass ich seine jüngste Schwester für verrückt hielt, aber gedacht habe ich es mir. Sie hat schon damals die ungeheuerlichsten Sachen gesagt! Man wusste nie, ob man sich nun darüber aufregen oder lachen sollte. Wahrscheinlich hat sie ihr Leben lang in einem Wolkenkuckucksheim gelebt - eine Welt voller Melodramen und wirrer Fantasieträume. Und jetzt hat sie den Preis dafür bezahlen müssen, die arme Seele. Hat sie Protegés gehabt?»

«Protegés? Was meinen Sie damit?»

«Nur ein Gedanke. Einen jungen Maler oder Musiker, den sie ausgehalten hat - etwas in der Art. Jemand, den sie an dem Tag ins Haus gelassen und der sie dann ermordet hat, um an ihr Bargeld zu kommen. Ein Halbstarker vielleicht - in dem Alter sind sie manchmal etwas überdreht, vor allem, wenn sie zum neurotischen Künstlertyp gehören. Ich meine, es ist doch sehr merkwürdig, dass jemand am helllichten Nachmittag bei ihr einbricht und sie umbringt. Wenn man schon in ein Haus einbricht, tut man das doch nachts.»

«Nachts wären zwei Frauen im Haus gewesen.»

«Ach ja, natürlich, die Hausdame. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand eigens wartet, bis sie aus dem Haus ist, und dann einbricht und Cora überfällt. Welchen Sinn sollte das haben? Wer immer es war, kann doch nicht davon ausgegangen sein, dass sie viel Bargeld hatte oder sonst was Wertvolles, und es muss doch auch Gelegenheiten gegeben haben, wenn beide Frauen außer Haus waren. Dann wäre es viel einfacher gewesen. Es ist doch dumm, einen Mord zu begehen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.»

«Ihrer Ansicht nach war der Mord an Cora unnötig?»

«Er kommt mir einfach sinnlos vor.»

Sollte ein Mord sinnvoll sein, fragte Mr. Entwhistle sich. Rein logisch gesehen lautete die Antwort: Ja. Aber viele Morde waren sinnlos. Wahrscheinlich, überlegte Mr. Entwhistle, hing es vom Wesen des Mörders ab.

Was wusste er überhaupt von Mördern und ihren Gedankengängen? Sehr wenig. Seine Kanzlei hatte keine Gewaltverbrechen übernommen, und er selbst hatte sich nie mit Kriminologie befasst. Soweit er es beurteilen konnte, wurden die unterschiedlichsten Typen von Menschen zum Mörder. Einige aus reiner Eitelkeit, andere aus Machtgier. Manche, wie Seddon, waren Geizhälse gewesen und wieder andere fühlten sich unwiderstehlich zu Frauen hingezogen, wie Smith und Rowse. Und einige, Armstrong zum Beispiel, waren ausgesprochen angenehme Zeitgenossen gewesen. Edith Thompson hatte in einer Welt gewalttätiger Fantasie gelebt, Schwester Waddington hatte ihre betagten Patienten mit geschäftsmäßiger Nonchalance ins Jenseits befördert.

Maudes Stimme unterbrach seinen Gedankengang.