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Er warf ihr einen tadelnden Blick zu. «Bis vor einem Jahr war Richard Abernethies Testament sehr einfach», fuhr er fort. «Von einigen Legaten abgesehen, wollte er alles seinem Sohn Mortimer vermachen.»

«Der arme Mortimer», warf Cora ein. «Kinderlähmung ist einfach schrecklich.»

«Mortimers tragischer und plötzlicher Tod war ein schwerer Schlag für Richard. Er brauchte mehrere Monate, um darüber hinwegzukommen. Ich erklärte ihm, dass es vielleicht ratsam wäre, ein neues Testament aufzusetzen.»

Maude Abernethie fragte mit ihrer tiefen Stimme: «Was wäre passiert, wenn er kein neues Testament aufgesetzt hätte? Wäre dann ... wäre dann alles an Timothy gegangen - weil er der nächste Anverwandte war, meine ich?»

Mr. Entwhistle öffnete den Mund, um zu einer Abhandlung über das Thema nächster Anverwandtschaft anzusetzen, sah dann aber doch davon ab. «Auf meinen Rat hin entschied Richard sich, ein neues Testament zu machen», sagte er spitz. «Doch zuerst wollte er die jüngere Generation etwas näher kennen lernen.»

«Er hat uns regelrecht auf Tauglichkeit geprüft.» Susan lachte unvermittelt auf. «Zuerst George, dann Greg und mich und zum Schluss Rosamund und Michael.»

Gregory Banks’ schmales Gesicht wurde rot. «So solltest du das wirklich nicht ausdrücken, Susan.» Sein Ton war schneidend. «Auf Tauglichkeit geprüft! Ich bitte dich!»

«Aber darum ging es doch, oder nicht, Mr. Entwhistle?»

«Hat er mir etwas hinterlassen?», fragte Cora wieder.

Mr. Entwhistle hüstelte und erklärte dann kühclass="underline" «Sie alle werden von mir eine Kopie des Testaments erhalten. Ich könnte es Ihnen, wenn Sie möchten, jetzt in ganzer Länge vorlesen, aber die juristische Terminologie könnte Ihnen etwas undurchsichtig erscheinen. Kurz gesagt, umfasst es Folgendes: Von mehreren kleinen Vermächtnissen abgesehen und einer größeren Summe für Lanscombe, mit der er sich eine Leibrente kaufen kann, wird der Großteil des Vermögens - und das ist beträchtlich - in sechs gleiche Teile geteilt. Vier davon gehen nach Abzug aller Steuern an Richards Bruder Timothy, seinen Neffen George Crossfield, seine Nichte Susan Banks und seine Nichte Rosamund Shane. Die anderen beiden Teile werden treuhänderisch verwaltet und das Einkommen daraus kommt Mrs. Helen Abernethie, der Witwe seines Bruders Leo, zugute sowie seiner Schwester Mrs. Cora Lansquenet, und zwar auf Lebenszeit. Nach deren Tod geht das Kapital auf die vier anderen Erben beziehungsweise deren Nachkommen über.»

«Wie schön!», rief Cora Lansquenet sichtlich erfreut. «Ein Einkommen! Wie viel?»

«Ich - äh - das kann ich im Augenblick nicht genau sagen. Die Erbschaftssteuer ist natürlich sehr hoch, und ...»

«Können Sie mir nicht eine Ahnung geben?»

Mr. Entwhistle wurde klar, dass er Coras Neugier befriedigen musste.

«Möglicherweise etwa drei- bis viertausend Pfund pro Jahr.»

«Toll!» Cora war begeistert. «Dann fahre ich nach Capri.»

Helen Abernethie sagte leise: «Das ist wirklich sehr nett von Richard, und sehr großzügig. Seine Aufmerksamkeit berührt mich tief.»

«Er war Ihnen sehr zugetan», erklärte Mr. Entwhistle. «Leo war sein Lieblingsbruder, und dass Sie ihn nach Leos Tod immer noch besuchten, bereitete ihm große Freude.»

«Ich wünschte, mir wäre klar gewesen, wie krank er wirklich war», sagte Helen bedauernd. «Ich habe ihn kurz vor seinem Tod noch einmal besucht. Ich wusste zwar, dass er krank war, aber dass es so schlimm um ihn stand, hatte ich nicht gedacht.»

«Es stand in der Tat schlimm um ihn», erwiderte Mr. Entwhistle. «Aber er wollte nicht, dass darüber gesprochen wurde, und meines Wissens erwartete niemand, dass sein Ende so rasch kommen würde. Ich weiß, dass der Arzt sehr überrascht war.»

«(Plötzlich, auf seinem Wohnsitz>, so hieß es in der Zeitung», meinte Cora und nickte. «Ich habe mich gewundert.»

«Es war für uns alle ein Schock», fügte Maude Abernethie hinzu. «Das hat den armen Timothy sehr mitgenommen. So plötzlich, sagte er immer wieder. So plötzlich.»

«Aber es ist ja alles gut vertuscht worden, oder nicht?», fragte Cora.

Alle starrten sie an, und auf einmal wurde sie unsicher.

«Ich glaube, ihr habt völlig Recht», fuhr sie hastig fort. «Ich meine, es hilft ja nichts, es publik zu machen. Das wäre nur unerfreulich für uns alle. Das sollte wirklich in der Familie bleiben.»

Die Gesichter, die ihr zugewandt waren, blickten noch verständnisloser.

Mr. Entwhistle beugte sich vor. «Cora, leider verstehe ich nicht, was Sie damit sagen wollen.»

Cora Lansquenet sah sich mit weit aufgerissenen Augen im Kreis um. Dann legte sie wie ein Vögelchen den Kopf zur Seite.

«Aber er ist doch ermordet worden, oder nicht?», fragte sie.

DRITTES KAPITEL

I

Auf der Fahrt nach London, die er auf dem Fensterplatz eines Abteils erster Klasse verbrachte, dachte Mr. Entwhistle über Cora Lansquenets horrende Bemerkung nach. Ihm war etwas unwohl dabei. Natürlich, Cora war eine eher unausgeglichene und außerordentlich dumme Person und schon als Mädchen für ihre peinliche Art bekannt gewesen, mit unliebsamen Wahrheiten herauszuplatzen. Aber nein, nicht mit Wahrheiten, das war das völlig falsche Wort; mit unbedachten Bemerkungen - das war der richtige Ausdruck.

In Gedanken ging er noch einmal die Minuten direkt nach diesem unglückseligen Satz durch. Erst durch die vielen Augenpaare, die sich entsetzt und missbilligend auf sie richteten, war Cora die ganze Tragweite ihrer Frage aufgegangen.

«Aber wirklich, Cora!», hatte Maude gerufen. «Liebe Tante Cora», hatte George gesagt, und jemand anders hatte gefragt: «Was meinst du bloß damit?»

Der Ungeheuerlichkeit überführt, war Cora Lansquenet sofort beschämt in einen wirren Redeschwall ausgebrochen.

«Ach, es tut mir Leid ... ich wollte doch nicht ... das war wirklich dumm von mir, aber ich dachte, nach dem, was er mir sagte ... Ach, natürlich weiß ich, dass alles in Ordnung ist, aber sein Tod kam so plötzlich ... bitte vergesst einfach, dass ich überhaupt etwas gesagt habe ... ich wollte nicht so dumm ... Ich weiß schon, ich sage immer das Verkehrte.»

Dann hatte sich die Aufregung wieder gelegt und eine praktische Diskussion über die Veräußerung der persönlichen Gegenstände des Verstorbenen hatte begonnen. Das Haus und sein Inhalt, so hatte Mr. Entwhistle ergänzt, würden verkauft werden.

Coras unglückseliger Fauxpas war vergessen. Schließlich war sie immer schon - nun, vielleicht nicht beschränkt, aber doch unverzeihlich naiv gewesen. Sie hatte nie begriffen, was man sagen oder nicht sagen durfte. Mit neunzehn hatte das noch keine so große Rolle gespielt. Bis zu dem Alter kann man einem Enfant terrible seine Eigenheiten nachsehen, aber ein Enfant terrible von fast fünfzig war entschieden zu viel des Guten. Mit unliebsamen Wahrheiten herauszuplatzen ...

Mr. Entwhistles Gedankengang kam zu einem abrupten Stillstand. Zum zweiten Mal war ihm das leidige Wort in den Sinn gekommen. Wahrheiten. Und warum war es so leidig? Weil genau das - die Wahrheit - der Grund war, warum Coras freimütige Bemerkungen schon immer Empörung ausgelöst hatten. Weil ihre naiven Äusserungen entweder der Wahrheit entsprochen oder zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten hatten -eben deswegen waren alle stets peinlich berührt gewesen.

Obwohl Mr. Entwhistle in der fülligen neunundvierzigjähri-gen Frau kaum etwas gesehen hatte, das ihn an das linkische Mädchen früherer Zeiten erinnerte, waren ihr einige ihrer Manierismen erhalten geblieben - die kleine vogelartige Kopfbewegung, wenn sie eine besonders unerhörte Bemerkung machte, der Ausdruck beinahe gespannter Erwartung. Genau auf diese Art hatte Cora einmal als Mädchen über die Figur eines Küchenmädchens gesprochen. «Mollie kommt ja fast nicht mehr an den Küchentisch ran, weil ihr Bauch so vorsteht. Das ist aber erst in den letzten ein, zwei Monaten so. Warum wird sie bloß so dick? Das würde ich gerne wissen.»