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Baldhere wandte seinen stämmigen Wallach um, befahl der Eskorte mit donnernder Stimme anzuhalten — er konnte brüllen, wenn er wollte — und gab dem Kastanienbraunen dann die Sporen, um Ethenielle und Serailla wieder einzuholen. Es stand ein Treffen langjähriger Verbündeter bevor, aber als sie an Lomas vorüberritten, gab Baldhere dem Mann mit dem hageren Gesicht den knappen Befehl »zu wachen und Bescheid zu geben«. Falls etwas mißlänge, würde Lomas der Eskorte ein Zeichen geben, vorzurücken und die Königin in Sicherheit zu bringen.

Ethenielle seufzte, als Serailla bei dem Befehl zustimmend nickte. Langjährige Verbündete, und doch schürte die Zeit das Mißtrauen. Ihr Vorhaben beunruhigte sie. Zu viele Regenten des Südens waren im letzten Jahr gestorben oder verschwunden, als daß sie sich beim Tragen der Krone noch wohl gefühlt hätte. Zu viele Länder waren so gründlich vernichtet worden, wie es nur ein Heer Trollocs bewerkstelligen konnte. Wer auch immer er war — dieser al'Thor hatte viele Fragen zu beantworten. Sehr viele.

Hinter Lomas weitete sich der Paß zu einem ebenen Kessel, der fast zu klein war, um als Tal bezeichnet zu werden, und in dem die Bäume zu weit auseinander standen, um als Wald zu gelten. Lederblattbäume, Blautannen und Kiefern sowie einige wenige Eichen zeigten noch ein wenig Grün, aber die übrigen Bäume trugen braunes Laub oder wiesen nur noch kahle Zweige auf. Im Süden lag jedoch das, was diesen Ort zu einem guten Treffpunkt machte. Eine Turmspitze, schlank wie eine schimmernde, golden durchbrochene Säule, lag schräg geneigt und halbwegs verborgen an einem Hang, und die Spitze ragte gut siebzig Schritt über den Bäumen auf. Jedermann in den Schwarzen Hügeln wußte davon, aber das nächste Dorf war noch eine Reise von vier Tagen entfernt, und niemand würde sich der Spitze freiwillig auf mehr als zehn Meilen nähern. Die Geschichten um diesen Ort erzählten von Visionen des Wahnsinns, von umhergehenden Toten und der tödlichen Wirkung bei Berührung der Spitze.

Ethenielle hielt sich nicht für abergläubisch, und doch erschauderte sie leicht. Nianh hatte erzählt, die Spitze sei aus dem Zeitalter der Legenden übriggeblieben und harmlos. Mit etwas Glück hatten die Aes Sedai keinen Grund, sich der vor Jahren geführten Unterhaltung zu entsinnen. Schade, daß die Toten nicht dazu gebracht werden konnten, hier umherzugehen. Eine Legende besagte, daß Kirukan einen falschen Drachen eigenhändig enthauptet und einem anderen Mann, der die Macht lenken konnte, zwei Söhne geboren hatte. Oder vielleicht dem gleichen Mann. Sie hatte sicherlich gewußt, wie man seine Ziele erreicht und überlebt.

Wie erwartet, waren die ersten beiden jener Männer bereits angekommen, die Ethenielle treffen wollte, beide mit jeweils zwei Begleitern. Paitar Nachiman hatte mehr Falten in seinem länglichen Gesicht als der erstaunlich gutaussehende ältere Mann, den sie als Mädchen bewundert hatte, obwohl er kaum noch Haare aufwies und diese überwiegend grau waren. Er hatte glücklicherweise von der Mode der Arafeller, Zöpfe zu tragen, Abstand genommen und trug sein Haar kurz geschnitten. Er saß aufrecht in seinem Sattel, die Schultern der bestickten grünen Seidenjacke ungepolstert, und sie vermutete, daß er das Schwert an seiner Hüfte noch immer kraftvoll und geschickt führen konnte. Easar Togita, mit kantigem Gesicht und bis auf einen weißen Haarschopf geschorenem Schädel, die einfache Jacke in der Farbe alter Bronze, war einen Kopf kleiner und schlanker als der König von Arafel, und doch ließ er Paitar fast sanft erscheinen. Easar von Shienar runzelte nicht die Stirn —lediglich in seinen Augen schien ständig eine Spur Traurigkeit zu liegen —, aber er war vielleicht ebenso hart wie der Stahl des Langschwerts auf seinem Rücken. Sie vertraute beiden Männern — und hoffte, daß ihre Familienverbindung hilfreich wäre, dieses Vertrauen zu bewahren. Durch Heirat erzielte Bündnisse hatten die Grenzlande stets ebenso zusammengeschweißt, wie es ihr gemeinsamer Krieg gegen die Große Fäule getan hatte, und sie hatte eine Tochter mit Easars drittältestem Sohn und einen Sohn mit Paitars Lieblingsenkelin verehelicht, wie auch ein Bruder und zwei Schwestern in ihre Häuser eingeheiratet hatten.

Ihre Begleiter waren genauso unterschiedlich wie ihre Könige. Ishigari Terasian sah stets so aus, als sei er gerade aus der Benommenheit nach einer durchzechten Nacht erwacht. Er war der dickste Mann, den Ethenielle jemals auf einem Pferd gesehen hatte. Seine edle rote Jacke war zerknittert, seine Augen trüb, die Wangen unrasiert. Kyril Shianri dagegen war groß und schlank und trotz des Staubs und Schweißes auf seinem Gesicht fast ebenso gepflegt wie Baldhere, mit Silberglöckchen an seinen Stiefelspitzen und Handschuhen sowie in seinen Zöpfen. Er trug seine übliche unzufriedene Miene zur Schau und hatte die Angewohnheit, stets an seiner Hakennase entlang auf jedermann außer Paitar kühl herabzusehen. Shianri war auf vielerlei Arten wirklich ein Narr — arafellische Könige gaben kaum jemals vor, auf ihre Berater zu hören, sondern verließen sich statt dessen auf ihre Königinnen —, aber er war mehr, als er auf den ersten Blick zu sein schien.

Agelmar Jagad hätte eine größere Ausgabe Easars sein können, ein einfacher, schlicht gekleideter, stahlharter Mann mit mehr Waffen am Körper als Baldhere — er schien nur auf eine Gelegenheit zu lauern, seine todbringenden Waffen einzusetzen —, während Alesune Chulin ebenso schlank wie Serailla beleibt, ebenso hübsch wie Serailla nichtssagend und ebenso temperamentvoll wie diese zurückhaltend war. Alesune schien für ihre edlen blauen Seidengewänder geboren. Man tat gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, daß es auch bei Serailla ein Fehler war, nur nach dem Äußeren zu urteilen.

»Friede und Licht mögen Euch gewogen sein, Ethenielle von Kandor«, sagte Easar verdrießlich, als Ethenielle ihr Pferd vor den Männern verhielt. Und Paitar hob im selben Moment an; »Das Licht umarme Euch, Ethenielle von Kandor.« Paitars Stimme konnte Frauenherzen noch immer schneller schlagen lassen. Auch das Herz einer Frau, die wußte, daß er ganz und gar ihr gehörte. Ethenielle bezweifelte, daß Menuki jemals in ihrem Leben eifersüchtig gewesen war oder Grund dazu gehabt hatte.

Sie begrüßte die Männer ebenso knapp und endete schroff: »Ich hoffe, Ihr seid hierher gelangt, ohne entdeckt zu werden.«

Easar schnaubte, lehnte sich in seinem Sattel zurück und betrachtete sie grimmig. Er war ein harter Mann, der aber seit elf Jahren verwitwet war und noch immer trauerte. Er hatte für seine Frau Gedichte geschrieben — hinter dem äußeren Anschein verbarg sich stets mehr. »Wenn wir bemerkt worden wären, Ethenielle«, grollte er, »könnten wir jetzt ebensogut umkehren.«

»Ihr sprecht bereits von Umkehr?« Shianri gelang es, seine Verachtung mit kaum ausreichender Höflichkeit zu verbinden, um einer Herausforderung vorzubeugen. Dennoch betrachtete Agelmar ihn kalt, wobei er sich leicht im Sattel vorbeugte, ein Mann, der genau wußte, wo sich jede seiner Waffen befand. Sie waren in vielen Kämpfen entlang der Großen Fäule Verbündete gewesen, aber jetzt begegneten sie sich mit neuem Mißtrauen.

Alesune brachte ihr Pferd, eine graue Stute so groß wie ein Streitroß, zum Tänzeln. Die schmalen weißen Streifen in Alesunes langem schwarzen Haar erschienen plötzlich wie ein Helmschmuck, und ihre Augen ließen jedermann rasch vergessen, daß shienarische Frauen niemals Waffen gebrauchten und auch keine Duelle ausfochten. Ihr Titel lautete einfach Bhatayan des Königshofs, und doch beging jedermann einen schweren Fehler, der glaubte, der Einfluß der Shatayan ende bei der Beaufsichtigung der Köche, Dienerinnen und Lieferanten. »Tollkühnheit hat nichts mit Mut zu tun, Lord Shianri. Wir verlassen die Große Fäule fast ungeschützt, und wenn wir scheitern — und vielleicht sogar wenn wir erfolgreich sind —, könnten einige von uns ihre Köpfe auf Spießen wiederfinden. Vielleicht sogar wir alle. Die Weiße Burg könnte sehr wohl dafür sorgen, wenn dieser al'Thor es nicht tut.«