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»Die Große Faule scheint zu schlafen«, murrte Terasian, der sich das fleischige Kinn rieb. »Ich habe sie noch nie so ruhig erlebt.«

»Der Schatten schläft niemals«, wandte Jagad gelassen ein, und Terasian nickte, als wäre auch das erwägenswert. Agelmar war der beste Befehlshaber unter ihnen, einer der besten überhaupt, aber Terasians Platz zu Paitars Rechten war beileibe nicht dadurch bedingt, daß er ein guter Trinkkumpan war.

»Ich habe genügend Soldaten zurückgelassen, die das Land beschützen, solange nicht wieder Trolloc-Kriege stattfinden«, sagte Ethenielle mit fester Stimme. »Ich vertraue darauf, daß Ihr alle ebenso klug gehandelt habt. Aber das ist bedeutungslos. Glaubt jemand, daß wir jetzt wirklich noch umkehren können?« Sie äußerte diese letzte Frage nüchtern, ohne eine Antwort zu erwarten, aber sie erhielt dennoch eine.

»Umkehren?« fragte eine Frau mit hoher Stimme hinter ihr. Tenobia von Saldaea galoppierte in die Versammlung und zügelte ihren weißen Wallach dann so ruckartig, daß er sich heftig aufbäumte. Dichte Perlenreihen zogen sich die dunkelgrauen Ärmel ihres Reitgewandes mit engen Röcken hinab, während üppige, rotgoldene Stickerei ihre schlanke Taille und den wohlgerundeten Busen betonte. Sie war für eine Frau groß, und sie war trotz einer bestenfalls verwegenen Nase hübsch, wenn nicht sogar schön. Große schrägstehende Augen von einem tiefen Dunkelblau verstärkten diesen Eindruck gewiß noch, aber ebenso ihre außergewöhnliche Selbstsicherheit. Wie erwartet, wurde die Königin von Saldaea nur von Kalyan Ramsin begleitet, einem ihrer zahlreichen Onkel, ein grauhaariger Mann mit einem pockennarbigen Adlergesicht und einem dichten, um seinen Mund abwärts gebogenen Schnurrbart. Tenobia Kazadi duldete den Rat der Soldaten, aber von niemand sonst. »Ich werde nicht umkehren«, fuhr sie zornig fort, »ungeachtet dessen, was Ihr anderen zu tun gedenkt. Ich habe meinen lieben Onkel Davram ausgesandt, mir den Kopf des falschen Drachen Mazrim Taim zu bringen, und nun folgen sowohl er als auch Taim diesem al'Thor, wenn ich auch nur die Hälfte dessen glauben darf, was ich gehört habe. Ich habe fast fünftausend Männer hinter mir, und was auch immer Ihr beschließen mögt — ich werde nicht umkehren, bis mein Onkel und al'Thor begriffen haben, wer Saldaea regiert.«

Ethenielle wechselte Blicke mit Serailla und Baldhere, während Paitar und Easar Tenobia versicherten, daß sie ebenfalls weiterziehen wollten. Serailla schüttelte kaum merklich den Kopf und zuckte mit den Achseln. Baldhere verdrehte ungehalten die Augen. Ethenielle hatte nicht wirklich gehofft, Tenobia würde letztendlich beschließen fernzubleiben, aber das Mädchen würde gewiß Schwierigkeiten machen.

Die Saldaeaner waren ein seltsamer Menschenschlag — Ethenielle hatte sich oftmals gefragt, wie ihre Schwester Einone es schaffte, eine solch gute Ehe mit einem weiteren Onkel Tenobias zu führen —, aber Tenobia trieb diese Seltsamkeit auf die Spitze. Man erwartete von jedem Saldaeaner auffälliges Verhalten, aber Tenobia genoß es, Domani vor den Kopf zu stoßen und Altarener langweilig erscheinen zu lassen. Das Temperament der Saldaeaner war legendär, aber ihres glich einem verheerenden Feuer bei Sturm, und man konnte niemals vorhersagen, was den Funken auslöste. Ethenielle mochte nicht einmal daran denken, die Frau gegen ihren Willen Vernunftgründen zugänglich machen zu wollen. Nur Davram Bashere hatte dies bisher erreichen können. Und dann war da noch die Frage der Heirat.

Tenobia war noch jung, wenn auch Jahre über das Alter hinaus, in dem sie hätte heiraten sollen — die Eheschließung war für jedes Mitglied eines Herrscherhauses eine Pflicht und um so mehr für den Herrscher selbst, da Bündnisse geschlossen und Erben hervorgebracht werden mußten —, aber Ethenielle hatte das Mädchen niemals für einen ihrer eigenen Söhne in Erwägung gezogen. Tenobias Ansprüche an einen Ehemann umfaßten sämtliche Erwartungen an alle anderen um sie herum. Er mußte in der Lage sein, sich einem Dutzend Myrddraal zu stellen und sie zu töten —während er gleichzeitig die Harfe spielte und Gedichte schrieb. Er mußte in der Lage sein, Gelehrte zu verwirren — während er auf einem Pferd eine steile Klippe hinabritt. Oder vielleicht hinauf. Natürlich würde er sich ihr beugen müssen — sie war immerhin eine Königin —, nur daß Tenobia hin und wieder von ihm erwarten würde, daß er ignorierte, was auch immer sie sagte, und sie sich gefügig machte. Das Mädchen wollte genau das! Und das Licht helfe ihm, wenn er sie bezwingen wollte, wenn sie Ergebenheit verlangte, oder sich ihr beugte, wenn sie es wiederum anders haben wollte. Sie äußerte nichts von alledem jemals offen, aber jede Frau mit Verstand, die sie über Männer reden hörte, konnte es sich bald zusammenreimen. Tenobia würde als Jungfrau sterben. Was bedeutete, daß ihr Onkel Davram den Thron erben würde, wenn sie ihn nach alledem am Leben ließe, oder ansonsten Davrams Erbe.

Ein Wort erweckte Ethenielles Aufmerksamkeit und ließ sie sich jäh im Sattel aufrichten. Sie hätte aufpassen sollen. Zuviel stand auf dem Spiel. »Aes Sedai?« fragte sie scharf. »Was ist mit den Aes Sedai?« Bis auf Paitars Ratgeber waren alle Berater aus der Weißen Burg bei der Nachricht über die Zerwürfnisse in der Burg gegangen, wobei ihre eigene Nianh und Easars Aisling sogar spurlos verschwanden. Wenn Aes Sedai einen Hinweis auf ihre Pläne erhalten hatten... Nun, Aes Sedai hatten stets eigene Pläne. Stets. Sie würde nicht gern feststellen müssen, daß sie ihre Hände in zwei Hornissennester steckte anstatt nur in eines.

Paitar zuckte mit den Achseln und schien ein wenig verwirrt. Das war bei ihm erstaunlich, denn er ließ sich, ebenso wie Serailla, durch nichts erschüttern. »Ihr habt doch wohl kaum von mir erwartet, daß ich Coladara zurücklasse, Ethenielle«, sagte er besänftigend. »Selbst wenn ich die Vorbereitungen vor ihr hätte geheimhalten können.« Das hatte sie tatsächlich nicht erwartet. Seine Lieblingsschwester war eine Aes Sedai, und Kiruna hatte ihn zutiefst für die Burg eingenommen. Ethenielle hatte es nicht erwartet, aber sie hatte es zumindest gehofft. »Coladara hatte Besucher«, fuhr er fort. »Sieben Besucher. Es schien mir vernünftig, sie unter den gegebenen Umständen mitzubringen. Glücklicherweise mußte ich sie nicht lange überzeugen. Tatsächlich überhaupt nicht.«

»Das Licht bescheine und bewahre unsere Seelen«, keuchte Ethenielle und hörte Serailla und Baldhere das gleiche äußern. »Acht Schwestern, Paitar? Acht?« Die Weiße Burg kannte inzwischen gewiß jeden ihrer beabsichtigten Schritte.

»Und ich habe noch fünf weitere bei mir«, warf Tenobia beiläufig ein. »Sie begegneten mir, unmittelbar bevor ich Saldaea verließ. Zufällig, dessen bin ich mir sicher. Sie schienen genauso überrascht darüber zu sein wie ich. Als sie erfuhren, was ich vorhatte —ich weiß noch immer nicht, wie sie es erfuhren, aber sie wußten es —, war ich überzeugt, sie würden eiligst Memara aufsuchen.« Sie furchte finster die Stirn. Elaida hatte sich schwer verrechnet, als sie eine Schwester sandte, um Tenobia einzuschüchtern. »Statt dessen«, endete sie, »waren Illeisien und die übrigen mehr auf Geheimhaltung bedacht als ich.«

»Dennoch«, beharrte Ethenielle. »Dreizehn Schwestern. Es muß nur eine von ihnen eine Möglichkeit finden, eine Nachricht zu übermitteln. Nur wenige Zeilen. Glaubt irgend jemand von Euch, er könne sie aufhalten?«

»Die Würfel sind gefallen«, stellte Paitar schlicht fest. Was geschehen war, war geschehen. Arafeller waren für Ethenielle fast ebenso seltsam wie Saldaeaner.

»Weiter südlich«, fügte Easar hinzu, »wird es vielleicht von Nutzen sein, dreizehn Aes Sedai unter uns zu haben.« Schweigen folgte, während greifbar war, was die Worte bedeuteten. Aber niemand wollte es aussprechen. Dies war etwas vollkommen anderes, als sich der Großen Fäule entgegenzustellen.