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Sie konnte nicht umhin, Zufriedenheit zu verspüren. Heute morgen im Sonnenpalast hatte Sorilea zu wissen verlangt, was Feuchtländer am meisten beschämte. Kiruna und die übrigen Schwestern verstanden nicht. Sie bemühten sich nicht wirklich zu verstehen, was hier draußen vor sich ging, vielleicht weil sie sich vor dem fürchteten, was sie erfahren könnten und daß solches Wissen ihre Eide beeinträchtigen könnte. Sie bemühten sich allenfalls, den Weg für sich selbst zu rechtfertigen, auf den das Schicksal sie verschlagen hatte, aber Verin hatte für den von ihr verfolgten Weg bereits Sinn und Zweck gefunden. Sie hatte außerdem eine Liste in der Tasche, die sie Sorilea übergeben wollte, wenn sie allein wären. Die anderen brauchten nichts davon zu wissen. Einigen der Gefangenen war sie noch niemals begegnet, aber sie glaubte, daß ihre Liste die Schwächen der meisten aufzeigte, nach denen Sorilea suchte. Das Leben würde für die Frauen in Schwarz noch weitaus schwieriger werden. Und ihre eigenen Bemühungen würden ihr mit etwas Glück weiterhin nützen.

Zwei große Aiel-Männer saßen unmittelbar vor dem Zelt und schienen in ein Fadenspiel vertieft, aber sie blickten sich sofort um, als ihr Kopf im Zelteingang erschien. Coram erhob sich trotz seiner Statur geschmeidig wie eine Schlange, und Mendan zögerte nur solange, bis er den Faden eingesteckt hatte. In aufrechter Haltung hätte ihr Kopf kaum bis zur Brust der Männer gereicht. Aber sie hätte sie natürlich dennoch beide züchtigen können, wenn sie es gewagt hätte. Sie war hin und wieder versucht gewesen. Sie waren ihre bestellten Berater, die sie vor Mißverständnissen im Lager bewahren sollten. Und sie gaben zweifellos alles, was sie sagte oder tat, weiter. Sie hätte es vorgezogen, Tomas bei sich zu haben, aber nur auf mancherlei Art. Es war weitaus schwieriger, Geheimnisse vor seinem Behüter als vor Fremden zu bewahren.

»Bitte sagt Colinda, daß ich mit Turanna Norill fertig bin«, wandte sie sich an Coram, »und ersucht sie. Katerine Alruddin zu mir zu schicken.« Sie wollte sich zunächst um die Schwestern kümmern, die keine Behüter besaßen. Er nickte einmal, bevor er wortlos davontrottete. Diese Aiel-Männer waren nicht sehr höflich.

Mendan kauerte sich wieder hin und beobachtete sie mit erschreckend blauen Augen. Einer von ihnen blieb, ungeachtet ihrer Befehle, stets bei ihr. Ein Streifen roten Tuchs war um Mendans Schläfen gebunden, der mit dem uralten Symbol der Aes Sedai gekennzeichnet war. Wie die anderen Männer, die dieses Abzeichen trugen, und wie die Töchter des Speers schien er darauf zu warten, daß ihr ein Fehler unterlief. Nun, sie waren nicht die ersten, und bei weitem nicht die gefährlichsten. Einundsiebzig Jahre waren vergangen, seit sie zuletzt einen ernsthaften Fehler begangen hatte.

Sie lächelte Mendan unbestimmt zu und wollte sich wieder ins Zelt zurückziehen, als plötzlich etwas ihren Blick auf sich zog. Wenn der Aiel in dem Moment versucht hätte, ihr die Kehle durchzuschneiden, hätte sie es vielleicht nicht einmal bemerkt.

Nicht weit von der Stelle entfernt, wo sie gebeugt im Zelteingang stand, knieten neun oder zehn Frauen in einer Reihe und rollten die Mühlsteine flacher Handmühlen ähnlich denen auf abgeschiedenen Bauernhöfen. Andere Frauen brachten in Körben Korn heran und trugen das grobe Mehl fort. Die Frauen in dunklen Röcken und hellen Blusen hatten ihre Haare mit gefalteten Tüchern zurückgebunden. Eine Frau, die deutlich kleiner war als die übrigen, diejenige, deren Haar nicht bis zur Taille reichte, trug weder eine Halskette noch ein Armband. Sie schaute auf, und der Groll vertiefte sich auf ihrem sonnengeröteten Gesicht, als sie Verins Blick begegnete. Jedoch nur einen Moment, bevor sie sich hastig wieder über ihre Arbeit beugte.

Verin zog sich rasch ins Zelt zurück, während ihr Magen rebellierte. Irgain gehörte der Grünen Ajah an. Oder vielmehr hatte sie der Grünen Ajah angehört, bevor Rand al'Thor sie dämpfte. Abgeschirmt zu sein, schwächte den Bund mit einem Behüter und machte ihn verschwommen, aber gedämpft zu sein, trennte ihn so sicher wie der Tod. Einer von Irgains beiden Behütern war offensichtlich vor Schreck tot umgefallen, und der andere war bei dem Versuch gestorben, Tausende von Aiel zu töten, ohne daß er zu entkommen versucht hätte. Irgain wünschte sich höchstwahrscheinlich, sie wäre ebenfalls tot. Gedämpft. Verin preßte beide Hände auf ihren Magen. Sie würde sich nicht übergeben. Sie hatte schon Schlimmeres als eine gedämpfte Frau gesehen. Viel Schlimmeres.

»Es gibt wohl keine Hoffnung mehr?« murmelte Turanna mit belegter Stimme. Sie weinte lautlos und starrte den Silberbecher in ihren zitternden Händen wie einen entfernten und erschreckenden Gegenstand an. »Keine Hoffnung.«

»Es gibt immer einen Ausweg, wenn man nur danach sucht«, erklärte Verin und tätschelte der Frau beiläufig die Schulter. »Ihr müßt stets danach suchen.«

Ihre Gedanken rasten, doch keiner berührte Turanna. Das Licht wußte, daß Irgains Dämpfung ihr Inneres sich umkehren ließ. Aber warum mahlte die Frau Korn? Und weshalb war sie wie eine Aiel-Frau gekleidet? Mußte sie genau an dieser Stelle arbeiten, damit Verin sie sehen konnte? Eine törichte Frage. Selbst bei so starkem Ta'veren wie Rand al'Thors in nur wenigen Meilen Entfernung gab es Grenzen der Anzahl an Zufällen, die sie akzeptieren würde. Hatte sie sich verrechnet? Aber es konnte schlimmstenfalls kein allzu großer Fehler sein. Allerdings erwiesen sich kleine Fehler manchmal als ebenso tödlich wie große. Wie lange konnte sie aushalten, wenn Sorilea sie zu brechen beschloß? Vermutlich nur beunruhigend kurze Zeit. Sorilea war auf vielerlei Weise härter als jeder andere Mensch, dem sie jemals begegnet war. Und sie konnte nichts vorbringen, um ihr Einhalt zu gebieten. Aber darum würde sie sich ein anderes Mal sorgen. Es hatte keinen Zweck, gedanklich vorauszueilen.

Sie kniete sich hin und bemühte sich ein wenig, Turanna zu beruhigen, aber nicht allzu sehr. Ihre tröstenden Worte klangen für Turanna wohl ebenso hohl wie für sie selbst, wenn man die Leere in ihren Augen betrachtete. Nichts konnte Turannas Lage ändern außer Turanna, und das mußte sie selbst vollbringen. Die Weiße Schwester weinte nur noch heftiger, wenn auch lautlos, während ihre Schultern bebten und Tränen ihr Gesicht herabströmten. Das Eintreten zweier Weiser Frauen und zweier junger Aiel-Männer, die sich im Zelt nicht aufrichten konnten, bedeutete eine gewisse Erleichterung, jedenfalls für Verin. Sie erhob sich und vollführte einen geschmeidigen Hofknicks, aber keiner der vier schenkte ihr auch nur die geringste Aufmerksamkeit.

Daviena war eine Frau mit grünen Augen und rotblondem Haar, und Losaine hatte graue Augen und dunkles Haar, das nur in der Sonne ein wenig Rot zeigte. Beide waren über einen Kopf größer als Verin und machten ein Gesicht, als sei innen eine unangenehme Aufgabe zugedacht worden, die sie jemand anderem wünschten. Keine konnte die Macht ausreichend stark lenken, um Turanna allein halten zu können, aber sie verbanden sich, als hätten sie schon ihr ganzes Leben lang Zirkel gebildet, wobei das Licht Saidars um die Frauen zu verschmelzen schien, obwohl sie ein Stück voneinander entfernt standen. Verin zwang sich zu einem Lächeln, um nicht grimmig zu erscheinen. Wo hatten sie das gelernt? Sie hätte ihren ganzen Besitz darauf verwettet, daß sie es noch vor wenigen Tagen nicht gekonnt hatten.

Dann ging alles schnell und reibungslos vonstatten. Als die beiden Männer Turanna an den Armen hochzogen, ließ sie den Silberbecher fallen, der zu ihrem Glück leer war. Sie wehrte sich nicht, was ebensogut war, weil sie bedachte, daß jeder der Männer sie wie einen Sack Mehl unter einem Arm hätte davontragen können, aber ihr Mund stand offen, und sie stieß lautlos Verwünschungen aus. Die Aiel kümmerten sich nicht darum. Daviena in der Mitte des Zirkels übernahm den Schild, und Verin ließ die Quelle vollkommen los. Keine von ihnen vertraute ihr, ungeachtet der Eide, die sie geschworen hatte, in ausreichendem Maße, um sie Saidar ohne ersichtlichen Grund festhalten zu lassen. Niemand schien es zu bemerken, aber sie hätten es gewiß gemerkt, wenn sie an der Macht festgehalten hätte. Die Männer zerrten Turanna davon, wobei ihre bloßen Füße über die auf dem Boden des Zeltes ausgelegten Teppiche schleiften, und die Weisen Frauen folgten ihnen hinaus. Dann war alles vorbei. Was mit Turanna getan werden konnte, war getan worden.