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Draußen schneite es wie gesagt nicht. Drinnen surfte Katrin im Internet und klickte »Weihnachten« an, weil sie gerade daran gedacht hatte, indem sie nur ja nicht daran denken wollte. Da dumpten sich Reisebüros mit Last-Minute-Fluchtmöglichkeiten an die von Weihnachten entferntesten Strände der Welt nieder. Da rieselte der Reisig aus den offerten der Basare. Da duellierten sich die Krippen-Aussteller: Holz gegen Naturholz gegen Strohdach gegen Perlmutthirten. Da ließ die Gastronomie ihre fetten Gänse aufmarschieren und flehte um rechtzeitige Reservierung. Und da - hoppla. Was wollte der Typ? Seinen Hund anbringen? - Katrin hatte eine Idee.

3. Dezember

Max mochte Montage. Sie begannen gleich in der Früh. Sie kamen zur Sache. Sie forderten heraus. Sie gaben Max das Gefühl, dabei zu sein. Kein Montag ohne Max. Die Sonntage schienen auf ihn verzichten zu können. Die Montage freuten sich auf ihn. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Max war weite Strecken dieses Tages erfrischend geschäftlich unterwegs. Es war ein Tag, an dem sogar die Sonne geschienen hätte, wäre nicht eine dichte Nebelwand darunter eingeklemmt gewesen, die sich laut Prognose nur »zögernd auflösen« würde, das bedeutete etwa gegen Mitternacht. Max pendelte in seiner Arbeitszeit zwischen drei Büros, die ihm nicht gehörten, die auch nicht auf ihn warteten, die ihn aber duldeten, weil er dort beruflich tätig sein musste, um Geld zu verdienen, das sahen auch die Büros irgendwie ein. Max war Journalist, im etwas weiteren Sinne dieses Wortes. Er produzierte für die wöchentlich erscheinende »Rätselinsel« die gefürchtete »Max'sche Kreuzworträtselecke«, deren Ausfallsquote unter den Auflösern nach nur drei gemeisterten Worten bei etwa neunzig Prozent lag. Seine Spezialität waren erfundene Abkürzungen. (Zum Beispieclass="underline" Xenophonspielerin mit fünf Buchstaben. Richtige Lösung: Xphsp.)

Leider war der Job schlecht (an der Grenze zu gar nicht) bezahlt. Deshalb gestaltete Max im Büro Nummer zwei einer Wiener Bezirkszeitung zusätzlich das tägliche Kino- und Theaterprogramm. Die Kreativität war dabei insofern begrenzt, als Max die Veranstaltungen nicht selbst bestimmen, zeitlich festlegen und auf die Bühnen und Leinwände verteilen konnte. Er schrieb das Programm vielmehr von bestehenden Vorgaben ab. Aber er machte das sehr gewissenhaft. Und es gab niemanden, der daran interessiert zu sein schien, ihm diesen Job bei dieser Bezahlung streitig zu machen.

Max' drittes und entscheidendes berufliches Aufgabengebiet betraf Kurt, seinen reinrassigen Deutsch-Drahthaar. Zumindest theoretisch. Denn in der Praxis betraf Kurt nichts. Er war dagegen immun, von irgendeiner Sache der Welt betroffen zu sein oder zu werden. Max verfasste im Büro Nummer drei für das wöchentlich, wenn auch beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinende Tiermagazin »Leben auf vier Pfoten« die Hundekolumne »Treue Augenblicke«, deren Star kein Geringerer, aber auch kein Lebendigerer war als Kurt. An dieser Stelle muss zurückgeblendet werden, denn »Treue Augenblicke« hatte einen ziemlich tragischen Hintergrund.

Es war gut zwei Jahre her, als die Medien des Landes dahinter kamen, was die Leser und Seher des Landes tatsächlich am Geschmacksnerv ihres Interesses packt: Hundegeschichten. Schluss mit der Tagespolitik, dem Phrasen-Friedhof der Einfallslosen, dem Foyer der ständig schleimenden, um Wählerstimmen heischenden Mandatare und ihrer schwitzenden und geschwätzigen Reporter. Die Leute wollen wissen, was wirklich in der Welt passiert. Startkollision am Nürburgring. Sexskandal im Vatikan. Achtzig Prozent der griechischen Schafhirten sind olivensüchtig. Verona Feldbusch kauft ein Wörterbuch. - Das sind Meldungen, das sind Themen, das sind Schlagzeilen.

Und was noch viel wichtiger ist: Leser wollen unterhalten werden. Und zwar gut. Am besten köstlich. Und bitte ohne Kindergeschrei, das hat man ohnehin daheim (oder braucht es selbst dort nicht). So begann die goldene Ära der Hundegeschichten. Ein Journalist hatte damit angefangen, in einer wöchentlichen Kolumne seinen rosaweißen Zwergpudel Rüdiger zu porträtieren. Tausende Leser wurden süchtig, die Gehsteige und Promenadenwege waren bald voll von rosaweißen Zwergpudeln namens Rüdiger. Eine Rasse, die wegen chronischer Hässlichkeit bereits auszusterben drohte, schüttete unter entzückten Passantenblicken plötzlich die städtischen Laternenmaste zu und düngte Hunderte Hektar Grünland.

Chefredakteure, die nicht schliefen, reagierten sofort. Bald gab es in jeder namhaften Gazette eine prominent platzierte Hundekolumne, zumeist gleich neben dem politischen Leitartikel, um diesen ein wenig aufzulockern. Jede war ein bisschen anders angelegt. Großer Hund, kleiner Hund. Altes Herrl, junges Fraul. Herrl beschreibt Hund. Hund beschreibt Herrl (wobei Herrl für Hund Schreibarbeit verrichtet, da Hund Computer höchstens abschleckt). Fraul spricht wie Hund. Hund studiert Sexualverhalten von Fraul. Beide ziehen über Männer her. Und so weiter.

Das war der Zeitpunkt, als Max, 32, gewerbsmäßiger Studienabbrecher und frisch angelernter Polizeireporter bei der auflagenstarken liberalkonservativen Tageszeitung »Horizonte«, seine große Chance erkannte und nützte. Er mochte zwar keine Hunde. Aber er kaufte Kurt. Denn er sah die Marktlücke: Im Autoren-Rudel der Rüden und Weiberl fehlte ein Tier mit artistischer Begabung, ein begnadeter Hundekörper, der Kunststücke zu Wege bringen konnte, die zu beschreiben Millionen Lesern organisierte Tränenströme in die Augen triebe. Es war Kurt.

Max entdeckte ihn bei einem Pressetermin der Suchtgiftfahnder. Sie präsentierten ihre neuen Waffen im Kampf gegen die südostkolumbianische Drogenmafia. Kurt wurde mitgenommen, um den Medienvertretern zu zeigen, wie ein Hund aussieht, der auf Kokain anspricht. Kurt legte gleichzeitig seine Vorder- und Hinterbeine über Kreuz und bog den Körper wie eine zu leicht gespannte Hängematte zu Boden. Dazu drehte er den Kopf in kleinen konzentrischen Kreisen, als würde er die Nackenmuskulatur trainieren. Sein Maul war weit aufgerissen, die Zunge hing S-förmig heraus, die Augen waren geschlossen. »Er schläft gerade«, meinte der verantwortliche Beamte ernst wie ein Chirurg, um der verheerenden Wirkung von Kokain ein neues erschütterndes Zeugnis auszustellen.

Als Kurt gleich darauf drehpirouettenartig erwachte, als sich die Hälfte seines verknautschten Gesichtes als geöffnete Augen entpuppte, in denen dicke, kaffeebraune Glaswürfel tanzten, und als seine Abertausenden Deutsch-Drahthaare wie unter Strom in alle Richtungen drifteten, wusste Max, dass er ihn haben musste, um über ihn zu schreiben.

Da Kurt ohnehin nur ein Vorzeigemodell und aufgrund des hohen Alters (zwölf Jahre) bereits ein Auslaufmodell war und mit Drogen in Wirklichkeit überhaupt nichts am Hut hatte, erklärte sich die Polizeidirektion nach Wochen des Bettelns und aus Angst vor einer negativen Presse bereit, Kurt an den lästigen Journalisten abzutreten.

In den folgenden Wochen schlief Max zwar nachts nicht, sondern öffnete lieber Wildbeuschel-Dosen und suchte das Balli, um den röhrenden Fremdkörper aus dem Bett zu bekommen, wo dieser für den Olympischen Hundezehnkampf zu trainieren schien. Aber seine Kolumne »In den Wind gesabbert« machte ihn nach nur drei Folgen zum »Horizonte«- Star - und Kurt zum berühmtesten Hund des Landes, noch vor Hofburg-Bullterrier »Ferstl«, jenem des neuen Bundespräsidenten.

Erste Kolumne: »Wie Kurt durch drei Zähne pfeift, um sein Wildbeuschel einzufordern.« Zweite Kolumne (zur Eröffnung der Ballsaison): »Wie Kurt auf drei Beinen Linkswalzer tanzt.« Dritte Kolumne: »Wie sich Kurt in Irish Setter Alma verliebt und ihr mit Rückwärtssalti zu imponieren trachtet.«