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Natürlich wußte er, daß dieser Effekt zum allergrößten Teil nur in seiner Einbildung existierte. Nicht der Wagen oder gar dieser Wald – er war es, mit dem etwas nicht stimmte. Er war nervös. Er hatte keine Angst, aber er wußte, daß von diesem Moment an absolut nichts mehr schiefgehen durfte, denn es gab kein Zurück mehr. Ein winziger Fehler, und keiner würde diesen Wald lebend verlassen. Dafür würden schon die Zyankali-Tabletten sorgen, die jeder von ihnen in derTasche hatte. Und im Zweifelsfall sein G3. Nicht, daß Salid glaubte, die Waffe wirklich benutzen zu müssen. Sein Plan war – wie alle Pläne, die er je ausgearbeitet hatte – perfekt bis ins letzte Detail. Einer der Gründe, aus denen Salid zu einem so überaus erfolgreichenTerroristen geworden war, war der, daß er stets sogar das eigentlich Unvorhersehbare einkalkulierte, und bisher fast immer recht damit gehabt hatte. Salid glaubte nicht an Zufall oder unglückliche Umstände, und indem er sich weigerte, derlei Dinge zu akzeptieren, konnten sie ihm auch selten etwas anhaben. Und wenn doch … Die fünf Männer, die ihn begleiteten, hatten gewußt, worauf sie sich einließen. Sie waren bereit, für ihre Überzeugung zu sterben. Es war kein Himmelfahrtskommando, das er anführte – Salid hielt nichts von Selbstmordunternehmen, die über die Propagandawirkung hinaus selten etwas brachten – , aber sie alle hatten die Möglichkeit ihres eigenen Todes akzeptiert und würden nicht zögern, ihn hinzunehmen.

Und doch: Etwas war heute anders. Es war nichts Konkretes. Nur ein Gefühl. Aber Salid war ein Mann, der sich nie von Gefühlen hatte leiten lassen, und vielleicht machte es ihn gerade deshalb doppelt nervös.

Langsam näherten sie sich der Lichtung, auf der ihr Ziel lag. Der Weg machte einen scharfen Knick, dann lag plötzlich freies Gelände vor ihnen, sanft ansteigend und sorgsam von Unterholz und Gestrüpp befreit, vielleicht fünfzig Meter, hinter denen sich, gekrönt von den jetzt erloschenen Augen großer Flutlichtscheinwerfer und den ganz und gar nicht erloschenen Augen aufmerksamer Videokameras, ein doppelter Stacheldrahtzaun erhob. Dahinter, klein und geduckt unter dem noch immer fallenden Schnee, standen drei langgestreckte Baracken und ein klobiger Betonklotz, vor dessen Eingang zwei frierende Wachtposten von einem Bein auf das andere traten. Halb verdeckt hinter dem Betonbau ragte die Kanzel eines Militärhubschraubers in die Höhe. Rotorblätter und Glas waren bereits vom Schnee befreit. Die Maschine war startbereit.

Das große Tor in dem Stacheldrahtzaun war verschlossen, aber die Tür des kleinen Wachhäuschens daneben stand offen; ein Mann in einem glänzenden schwarzen Regencape war halb herausgetreten und sah dem Lastwagen mit deutlich sichtbarer Ungeduld entgegen.

Salids Hand senkte sich auf das G3, blieb einen Moment darauf liegen und hob sich dann wieder. Er ergriff das Lenkrad mit beiden Händen und gab Gas, um die letzten Meter schneller zurückzulegen. Der Wachtposten trat vollends aus dem Haus und kam dem LKW einige Schritte entgegen. Ein fragender Ausdruck, der allerdings nach ein paar Sekunden in ein schadenfrohes Grinsen überging, erschien auf seinem Gesicht, als er den defekten Scheibenwischer sah. Das Glas, das er eigentlich sauber halten sollte, war fast völlig unter einer pappigen Schicht aus Eis, Morast und Schnee verborgen. Das Einschußloch darin wäre nicht einmal aus allernächster Nähe zu sehen gewesen.

Der Soldat drehte sich um und winkte jemandem im Inneren des Wachhäuschens zu, dann machte er einen halben Schritt zurück, um nicht mit Schlamm vollgespritzt zu werden, als der LKW näher kam. Mit schrill heulendem Motor hielt der LKW an, keine fünf Meter vomTor entfernt. Salids Fuß ließ das Gaspedal nicht völlig los, so daß der Motor zwar etwas leiser wurde, aber noch immer laut genug rumorte, um jedes andere Geräusch zu übertönen, das eventuell bis ins Innere des Wachhäuschens gedrungen wäre.

Der Posten kam wieder näher. »What happened?« rief er feixend. »You're late, and – «

Salids Finger krümmte sich um den Abzug der Waffe. Das G3 ruckte hart auf seinen Knien. Die Kugel durchschlug die Fahrertür, traf den Posten in den Hals und schleuderte ihn zu Boden. Gleichzeitig trat Salid das Gaspedal mit einem Ruck durch und ließ die Kupplung kommen.

Der Ford machte einen Satz. Die Stoßstange krachte gegen die Sperrholzwand des Wachhäuschens und ließ das ganze Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Eine halbe Sekunde später prallte die Schnauze des Wagens gegen dasTor und riß es aus den Angeln.

Funken stoben hoch. Ein häßliches elektrisches Zischen erklang, und für eine halbe Sekunde spielte blaues Feuer um den Kühlergrill des Ford. Die beiden notdürftig geflickten Reifen zerplatzten, und einTeil der Plane fing Feuer. Die zerschossene Hälfte der Windschutzscheibe zerbrach endgültig und ergoß sich als Sturzbach kleiner würfelförmiger Glasscherben über Salids Hände und in seinen Schoß. Dann war der Laster hindurch und raste schaukelnd auf die drei Baracken zu, wobei er einenTeil des niedergewalztenTores hinter sich herschleifte.

Eine Alarmsirene begann zu heulen. Irgendwo begannen Männer zu schreien, hinter sämtlichen Fenstern der drei Baracken flammte im gleichen Augenblick Licht auf, und die beiden Posten, die soeben noch vor der Bunkertür dem Ende ihrer Wachperiode entgegengedöst hatten, fuhren plötzlich herum und verschwanden mit einem einzigen Satz im Inneren des Gebäudes. Sie versuchten nicht einmal, ihre Waffen zu heben. Ihre Befehle lauteten anders. Noch ehe der LKW auch nur zwanzig Meter zurückgelegt hatte, rastete die schwere Panzertür mit einem dumpfen Krachen ein. Um sie jetzt noch aufzubrechen, hätte es schon eines schweren Geschützes bedurft.

Der Lastwagen schlingerte weiter. Aus einer der Baracken heraus begann jemand zu schießen, helle peitschende Pistolenschüsse, die Funken aus dem Metall schlugen, aber kaum nennenswerten Schaden anrichteten. Der Wagen raste unbeeindruckt weiter auf die mittlere der drei Baracken zu, verlor auf halbem Wege das Tor, das sich an seinen Aufbauten verhakt hatte, und stellte sich nahezu quer, als Salid mit aller Gewalt auf die Bremse trat.

Die Plane flog hoch. Drei, vier Gestalten in geflecktenTarnhosen und Parkas sprangen heraus und begannen zu schießen, noch während sie zu Boden sprangen. Das Heulen der Alarmsirene ging im peitschenden Rattern der russischen MPis unter, dem Splittern von Holz und Glas und gellenden Schreien. Ein Soldat stolperte aus einer der Baracken und fiel, versuchte hochzukommen und stürzte getroffen nach hinten. Etwas Kleines, Dunkles flog über ihn hinweg und verschwand in der offenstehenden Tür der Baracke. Aus dem Gebäude erklang ein einzelner, heller Schrei, dann ein Knall, sonderbar weich und gedämpft, dann wieder ein Schrei und Sekunden später das qualvolle Husten mehrerer Männer.

Die vierTerroristen feuerten weiter, deckten die beiden Baracken rechts und links des Lasters mit wütenden Garben aus ihren Waffen ein und rannten gleichzeitig im Zickzack über den Hof, während der Lastwagen schwerfällig zurücksetzte und plötzlich mit aufheulendem Motor auf die dritte Baracke zu schoß. Das tonnenschwere Fahrzeug krachte gegen die Tür des Holzbaus und zermalmte sie, durchbrach die Wand und blieb schließlich stecken, wie ein Korken in einen zu engen Flaschenhals gerammt.

Salid ergriff sein Gewehr mit beiden Händen, sprengte die Tür mit der Schulter auf und ließ sich aus dem Wagen fallen. Schüsse peitschten. Auch die zweite Hälfte der Windschutzscheibe zerplatzte. Jemand schrie, mit schriller, überschnappender Stimme und auf englisch, und Salid sah einen verschwommenen Schatten davonhasten, den er unter Feuer nahm, ohne zu treffen. Von draußen drang noch immer das wütende Rattern der Kalaschnikows herein, dann die dumpfe Detonation einer zweiten Gasgranate.

Salid sprang auf die Füße, sah einen Schatten aus den Augenwinkeln und schoß, ohne lange zu zielen. Ein schriller Schrei antwortete ihm, dann das dumpfe Poltern eines Gewehrs, eine Sekunde später gefolgt von einem schwereren, weichen Körper, der auf dem Boden aufschlug. Dann war niemand mehr da, der auf die beiden Eindringlinge hätte schießen können.