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Ich verschwand von den Titelseiten, aber die Mutmaßungen blieben: Entführung, Flucht aus der ehelichen Wohnung wegen Mißhandlung (Foto eines Kellners, der angab, wir hätten häufig gestritten − tatsächlich kann ich mich erinnern, daß ich einmal in einem Restaurant eine wütende Auseinandersetzung mit Esther hatte, deren Meinung über einen südamerikanischen Schriftsteller ich ganz und gar nicht teilte). Ein englisches Sensationsblatt behauptete − zum Glück ohne größere Folgen −, meine Frau sei untergetaucht und unterstütze eine islamische Terroristenorganisation.

Aber in dieser Welt voller Verrat, Scheidungen, Morde, Attentate hatte das große Publikum die Angelegenheit einen Monat später vergessen. Jahrelange Erfahrung hatte mich gelehrt, daß Nachrichten dieser Art meine treuen Leser nicht beirren konnten (es war noch nicht lange her, daß das argentinische Fernsehen einen Journalisten gezeigt hatte, der erklärte, »Beweise« dafür zu haben, daß ich in Chile ein heimliches Stelldichein mit der zukünftigen First Lady des Landes gehabt hätte − und meine Bücher blieben auf der Bestsellerliste). Fünfzehn Minuten Ruhm wird jeder einmal haben, hat ein amerikanischer Künstler einmal gesagt. Ich hatte ganz andere Sorgen − ich mußte mein Leben neu organisieren, eine neue Liebe finden, wieder Bücher schreiben und die Erinnerung an meine Frau in dem Teil des Herzens verwahren, der sich zwischen Liebe und Haß befindet. Oder, besser gesagt (ich mußte den Begriff akzeptieren), die Erinnerung an meine Exfrau.

Meine Vorahnungen erfüllten sich tatsächlich, zumindest teilweise. Eine Zeitlang tat ich keinen Schritt vor die Haustür: Ich wußte nicht, wie ich meinen Freunden gegenübertreten, wie ich ihnen in die Augen sehen und einfach sagen sollte: »Meine Frau hat mich wegen eines jüngeren Mannes verlassen.« Wenn ich ausging, stellte mir niemand Fragen, aber nach ein paar Gläsern Wein fühlte ich mich bemüßigt, auf das Thema zu kommen − als könnte ich die Gedanken der anderen lesen, als würden sie tatsächlich darauf brennen, zu erfahren, was in meinem Leben passierte, seien aber zu wohlerzogen, um direkt zu fragen. Je nach meiner jeweiligen Stimmung war Esther dann entweder die Heilige, die ein besseres Schicksal verdient hatte, oder die perfide Verräterin, die mich in die mißliche Lage gebracht hatte, sogar als Verbrecher zu gelten.

Die Freunde, die Bekannten, die Verleger, all diejenigen, die bei den vielen Galadiners, an denen ich teilnehmen mußte, meine Tischnachbarn waren, hörten mir anfangs mit einer gewissen Neugier zu. Doch irgendwann merkte ich, daß sie versuchten, das Thema zu wechseln. Anfangs − ja, da hatte sie meine Geschichte interessiert, doch jetzt war sie für sie nicht mehr aktuell, und die Schauspielerin war viel interessanter, die von ihrem Freund, einem Sänger, getötet worden war, oder die junge Frau, die ein Buch über ihre Affären mit bekannten Politikern geschrieben hatte. Eines Tages, in Madrid, fiel mir auf, daß die Einladungen zu Abendessen und Veranstaltungen seltener geworden waren.

Obwohl es mir guttat, über meine Gefühle zu reden, Esther zu beschuldigen oder in den Himmel zu heben, begriff ich, daß ich etwas Schlimmeres geworden war als ein betrogener Ehemann: Ich war ein langweiliger Mensch, den niemand mehr zum Tischnachbarn haben wollte.

Daraufhin beschloß ich, still zu leiden, und von da an überschwemmten die Einladungen wieder meinen Briefkasten.

Aber der Zahir, an den ich anfangs voller Zärtlichkeit oder Zorn gedacht hatte, wuchs in meiner Seele immer weiter. Ich begann Esther in jeder Frau zu suchen, der ich begegnete. Ich sah sie in allen Bars, Kinos, an allen Bushaltestellen. Mehr als einmal ließ ich den Taxichauffeur mitten auf der Straße anhalten oder jemandem folgen, bis ich mich davon überzeugt hatte, daß es nicht Esther war.

Gegen den Zahir, der meine Gedanken ganz einzunehmen begann, brauchte ich ein Gegengift, etwas, was mich davor bewahrte, zu verzweifeln.

Und es gab nur eine mögliche Lösung: eine Freundin zu finden.

Ich traf mehrere Frauen, die ich attraktiv fand. Am Ende interessierte ich mich für Marie, eine fünfunddreißigjährige französische Schauspielerin. Sie war die einzige, die nicht diesen Unsinn der Sorte ›Ich mag Sie als Mann und nicht, weil Sie jemand sind, den alle kennenlernen wollen‹ oder

›Mir wäre lieber, Sie wären nicht berühmt‹ oder, noch schlimmer, ›Geld interessiert mich nicht‹ von sich gab. Sie war auch die einzige, die sich ehrlich über meinen Erfolg freute, denn auch sie war berühmt und wußte, daß Berühmtheit zählt. Berühmtheit ist ein Aphrodisiakum. Mit einem berühmten Mann zusammenzusein und dabei zu wissen, daß er sie erwählt hatte, obwohl er viele andere hätte haben können, tat ihrem Ego gut.

Wir wurden häufig auf Festen und Empfängen zusammen gesehen: Es gab Spekulationen über unsere Beziehung, doch weder Marie noch ich bestätigten oder dementierten, so daß den Zeitschriften nichts anderes übrigblieb, als auf das berühmte Kußfoto zu warten − das nie erschien, da wir beide diese Art öffentlicher Zurschaustellung vulgär fanden.

Marie fuhr zu ihren Filmaufnahmen nach Mailand, ich hatte meine Arbeit in Paris; wenn es sich einrichten ließ, reiste ich nach Mailand, wenn sie es einrichten konnte, traf sie mich in Paris, wir fühlten uns einander nahe, aber wir waren nicht voneinander abhängig.

Marie tat so, als wisse sie nicht, was in meiner Seele vorging, ich tat so, als wisse ich nicht, was in ihrer vorging − eine unglückliche Liebe zu ihrem verheirateten Mann, ausgerechnet sie, eine Frau, die, wenn sie nur wollte, absolut jeden Mann haben konnte. Wir waren Freunde, Gefährten, wir amüsierten uns über dieselben Fernsehsendungen. Ich ging sogar so weit, zu sagen, es gebe Raum für eine bestimmte Art von Liebe − die anders war als das, was ich für Esther empfand oder Marie für ihren Mailänder.

Ich hielt wieder meine Signierstunden ab, nahm Einladungen für Vorträge, Wohltätigkeitsdiners, Fernsehsendungen, Projekte mit Nachwuchsautoren an. Ich tat alles mögliche, nur das nicht, was ich tun sollte: ein Buch schreiben.

Doch es war mir gleichgültig, im Grund meines Herzens hielt ich meine Karriere als Schriftsteller für beendet, denn die, die mich dazu angestoßen hatte, war nicht mehr bei mir. Ich hatte meinen Traum, solange er währte, intensiv gelebt, war an einen Punkt gelangt, den zu erreichen wenige das Glück hatten, und würde nun den Rest meines Lebens damit verbringen können, mich zu amüsieren.

Das dachte ich jeden Morgen. Nachmittags jedoch spürte ich deutlich, daß das einzige, was ich wirklich gern tat, schreiben war. Wenn es Nacht wurde, redete ich mir dann ein, ich hätte meinen Traum bereits verwirklicht und sollte etwas Neues ausprobieren.

Das nächste Jahr war ein Heiliges Jahr für Santiago de Compostela. Ein Ano santo ist immer dann, wenn der fünfundzwanzigste Juli auf einen Sonntag fällt. Eine bestimmte Tür der Kathedrale bleibt dreihundertfünfundsechzig Tage lang geöffnet; es heißt, daß jeder, der diese Tür durchschreitet, besonders gesegnet sein wird.

In Spanien wurden verschiedene Gedenkfeiern abgehalten, und als dankbarer Jakobspilger beschloß ich, zumindest an einer Veranstaltung teilzunehmen: einer Serie von Vorträgen, die im Januar im Baskenland stattfinden sollten. Um der Routine zu entgehen − versuchen, ein Buch zu schreiben − zu einem Fest gehen − Flughafen − Marie in Mailand besuchen − zu einem Abendessen gehen − Hotel − Flughafen − Internet − Flughafen − Interview − Flughafen −, beschließe ich, die tausendvierhundert Kilometer allein im Wagen zurückzulegen.

Jeder Ort − auch die Orte, an denen ich noch nie gewesen bin − erinnert mich an meinen Zahir. Überall muß ich denken, daß Esther hingerissen wäre, hier zu sein, es genießen würde, in diesem Restaurant zu essen, an jenem Flußufer spazierenzugehen. Ich übernachte in Bayonne, und bevor ich die Augen schließe, schalte ich den Fernseher ein und erfahre, daß wegen eines unerwarteten Schneesturms an die fünftausend Lastwagen an der französischspanischen Grenze festsitzen.